In der Damenmode hat der Erfolg der Curvy-Models schon etwas an den Grundpfeilern des antiquierten Schönheitsideals gerüttelt. In der Menswear sieht es dagegen für Plus-Size-Männer noch ziemlich düster aus. Wieso? Weil die Designer den modebewussten kräftigen Mann bislang weitgehend schnöde links liegen ließen.
Der normale Mann hat es schwer – jedenfalls dann, wenn er mit einer Kleidergröße ein ganzes Stückchen jenseits der Schallmauer 54 gesegnet ist. Denn die Suche nach neuen Klamotten kann schnell zu einem wahren Alptraum werden. Vor allem dann, wenn er modisch interessiert ist und sich daher nicht mit dem Angebot von XXL-Spezialisten wie Hirmers „Große Größen", Billigketten, Versandhändlern, Online-Shops oder Discountern bescheiden möchte. Im gängigen Einzelhandel ist das Sortiment jenseits von XL häufig arg ausgedünnt. Wer sich mit einem etwas fülligeren Bauchumfang auf die Jagd nach High Fashion, aktuellen Trend-Teilen oder gar avantgardistischer Streetwear begeben möchte, sollte besser gleich zu Hause bleiben – und damit das Klischee vom Herren der Schöpfung als Shopping-Muffel weiter bestätigen. Denn die Designer haben kräftige Männer mit Statur noch immer modisch ausgegrenzt, bekanntermaßen ein geschlechterübergreifendes Problem, unter dem auch Plus-Size-Frauen ein Stückchen jenseits der Kleidergröße 44 zu leiden haben, sofern sie sich nicht unbedingt zeltähnliche Teile überstreifen möchten. Allerdings ist in die Übergrößen-Damenmode in den vergangenen Jahren etwas Bewegung hineingekommen.
Das ist dem Erfolg diverser Curvy-Models wie Ashley Graham, Tess Holiday oder Angelina Kirsch geschuldet und führte zu einer spürbaren Verbesserung des femininen Plus-Size-Angebots. Sogar einige progressive Luxuslabels wie Prabal Gurung aus den USA, dem Land der XXL-Burger-Bürger schlechthin, animierte es zum Entwerfen von Designer-Fashion weit jenseits der Laufsteg-Idealgröße 36. Hierzulande passen gerade einmal 15 Prozent aller Frauen hinein. Obwohl in der Damenmode immer mehr Firmen den großen Plus-Size-Markt für sich entdeckt haben und ihr Sortiment dementsprechend erweitert haben, findet sich im femininen Luxussegment kaum Fashion in großen Größen. Daran konnten auch die Curvy-Models, diverse Influencer oder Bloggerinnen bislang nichts Wesentliches ändern. Das Selbstwertgefühl vieler etwas fülligerer Damen dürfte sich allerdings durch das Infragestellen des antiquierten Schönheitsideals gesteigert haben. Dazu hat auch die Verwendung positiv besetzter Begriffe wie Plus-Size-Fashion, Body Positivity oder Body Image beigetragen. Von „Übergrößenkollektion" oder „Molly-Mode" wagt kaum jemand mehr zu sprechen, geschweige denn, wie vormals die Größe 40 noch in die Plus-Size-Kategorie einzuordnen. Die wird inzwischen auch von normalgewichtigen Damen getragen.
Diskussion kommt ins Rollen
Von diesen erfreulichen Entwicklungen in der Damenmode ist in der Plus-Size-Menswear noch so gut wie nichts zu sehen. Zwar ist nicht genau definiert, wo die Übergröße bei den Männern anfängt. Aber eigentlich beginnt sie ja schon mit der Konfektionsgröße 52, wodurch die meisten muskulösen, im Fitnessstudio gestählten Kerle schon zur Plus-Size-Kategorie gehören. Eigentlich verrückt, weil kein Durchschnittsmann aussieht wie Karl Lagerfeld, der nur dank strenger Hungerkur und strikte Diäteinhaltung Anzüge in Größe 48 tragen konnte.
Der deutsche Durchschnittsmann hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur an Größe zugelegt, sondern auch an Brustumfang. Bei der jüngsten repräsentativen Messung kam er dabei auf 106 Zentimeter, was schon mal einer Kleidergröße von 52 bis 54 entspricht. Davon nimmt die Designer-Welt aber offenbar kaum Notiz. Selbst bei hiesigen Top-Marken für den eleganten Herrn wie van Laack, Aigner oder Strenesse findet man nur mit Glück Klamotten jenseits von Größe 56. Es ist ja ganz nett, dass in jüngster Zeit in diversen Medien der „Dad bod" gefeiert wird, das Markenzeichen des leicht aus der Form geratenen Herrn jenseits der 40: die Wampe oder auch Dad-Plauze. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass damit eine „modische Emanzipation des dicken Mannes" stattgefunden hat, wie es die „Welt" vor geraumer Zeit schon mal in einem Stil-Artikel verkündet hatte. Dafür mangelt es schlicht und einfach an den entsprechenden hochwertigen Klamotten. Und der gesellschaftliche Schlankheitsimperativ, der Sixpack-Wunschtraum, ist damit auch noch nicht aus den Köpfen der männlichen wie weiblichen Bevölkerung verbannt worden. Schließlich steht noch immer der fitte, schlanke Männer-Body für Erfolg und Leistungsfähigkeit ‒ und eben nicht mehr der einstige Wirtschaftswunderbauch.
Es ist ja ganz schön, wenn die ersten männlichen Plus-Size-Models, die kaum jemand kennt, geschweige denn dass sie stilbildend wären, auf Fotoseiten selbst in der „Vogue" präsentiert werden. Aber was soll der internationalen Männerwelt der Auftritt des US-amerikanischen Internet-Komödianten „The Fat Jew", dessen wirklicher Name Josh Ostrovsky lautet, eigentlich bringen? Okay, er hat bei Instagram mehr als sieben Millionen Follower und ist damit fraglos ein Online-Star mit viel Werbekohle, reichlich Medienpräsenz und inzwischen sogar einem Model-Vertrag bei der renommierten New Yorker Agentur One Management. Aber auch dieser „Dad bod" hat in Designer-Kreisen bislang höchstens die Diskussion halbwegs ermuntern können, ob nicht vielleicht doch das Entwerfen von Mode für Männer mit Bauch eine lukrative Angelegenheit sein könnte. Mehr aber auch noch nicht. Immerhin kann sich der kräftig gebaute, fashion-affine Herr inzwischen mit Basics bei Tommy Hilfiger, Levis oder Hackett London eindecken.
Mit Ostrovkys Landsmann Zach Miko hat ein zweites wohlbeleibtes Male-Model einen gewissen Bekanntheitsgrad durch einen Vertrag bei der renommierten Pariser Model-Agentur IMG erhalten. Wobei IMG seinen Klienten nicht unter dem Etikett „Plus-Size" anpreist, sondern in Bezug auf ihn nur von „brawn" spricht, was so viel wie Muskel oder Muskelkraft bedeutet. Zach Miko, der eigentlich Schauspieler und Comedian ist und sich selbst als „first big and tall model" bezeichnet, ist ein Bär von einem Mann: 1,98 Meter groß, 107 Zentimeter Brustumfang, Schuhgröße 48. Vermutlich dürfte es daher auch für ihn beim privaten Shopping gar nicht so einfach sein, die perfekt sitzenden Fashion-Teile zu finden. Man darf gespannt sein, ob dank Miko und Co. auch bei Männern die sinnvolle Debatte um Körperformen und Body Positivity in Gang kommen wird.
Blogs könnten hilfreich sein, um etwas zu bewegen
Ob sich die beiden genannten Male-Model als Identifikationsfiguren für die modische Herren-Welt eignen, ist hingegen eine ganz andere Frage. Denn viele Männer sind, ganz im Gegensatz zum Klischee, durchaus eitel, wenn es um ihren Körper geht. Von daher dürften sich die meisten kaum an beleibteren Artgenossen orientieren wollen.
Diese Erfahrung hat jedenfalls Dominique Van Eijs von der Münchner Agentur Brigitte Models im Gespräch mit der österreichischen Tageszeitung „Der Standard" kundgetan: „Wenn wir Übergrößenmodels suchen und Männer auf der Straße ansprechen, sind manche schnell eingeschnappt." Ebenso wie die Hamburger Agentur Model Management akquiriert sie seit einigen Jahren auch Plus-Size-Männer. Es habe sich als hilfreich erwiesen, das Wort „Übergröße" zu vermeiden und stattdessen lieber von „gut gebauten Männern" zu sprechen.
Ob in absehbarer Zeit stolze Träger des „Dad bods" mehr gesellschaftliche Akzeptanz erfahren, bleibt abzuwarten. Einen in diese Richtung weisenden Versuchsballon hatte der belgische Avantgarde-Modemacher Walter Van Beirendonck jedenfalls schon mal in der Sommersaison 2010 auf dem Laufsteg gestartet. Hilfreich dabei könnten auch diverse Blogs wie extra-inches.de oder gentlemenscurb.com sein, die sich der Thematik annehmen. Und Tipps für kräftige Mode-Männer gibt es nicht zuletzt auch in Magazinen wie „GQ".