Die Eisbären Berlin erzwingen im Viertelfinale gegen Meister Red Bull München ein sechstes Spiel. Der Umbruch in der Sommerpause ist aber unumgänglich.
igentlich war die Sache klar. „Ihr habt noch 60 Minuten", sangen die Fans von Red Bull München in Richtung der Spieler und Anhänger der Eisbären Berlin vor dem fünften Spiel im Play-off-Viertelfinale. Kaum jemand hatte daran gezweifelt, dass der Titelverteidiger aus München zu Hause im Olympiapark seinen ersten „Matchball" verwandelt und die Berliner in den vorzeitigen Sommerurlaub schickt. Doch es kam anders. Die Eisbären zwangen den Meister mit 3:0 (1:0, 0:0, 2:0) in die Knie und erkämpften sich zumindest ein sechstes Spiel am Freitag, 29. März, in der heimischen Arena am Ostbahnhof. Beim Stand von 2:3 in der Best-of-seven-Serie sind die Berliner zwar weiter der Außenseiter, doch dieser unerwartete Auswärtssieg schenkt dem DEL-Rekordmeister Hoffnung. „Ich bin stolz auf die Mannschaft", sagte Coach Stéphane Richer. „Sie hat Charakter gezeigt." Manche Fans dürften sich jedoch gefragt haben: Warum erst so spät in der Saison?
Dass die Berliner bereits im Viertelfinale gegen den großen Titelfavoriten antreten müssen, haben sie sich durch eine missratene Hauptrunde selbst zuzuschreiben. Doch wieder einmal zeigen die Eisbären Biss, wenn es drauf ankommt. Wie schon so oft in den Play-offs der vergangenen Jahre. „Wir waren mental einfach nicht da", haderte Münchens Trainer Don Jackson, der einst mit den Eisbären fünf Meistertitel gefeiert hatte. „Berlin war etwas schneller." Das traf vor allem auf Austin Ortega zu. Der nur 1,73 Meter kleine Amerikaner war von den Münchner Verteidigern kaum zu halten, er machte mit einem Doppelpack innerhalb von 37 Sekunden den Überraschungssieg perfekt. „Wir sind gekommen, um zu spielen. Wir waren ein anderes Team heute", sagte der Angreifer hinterher. Auch der in der Serie zuvor unauffällige Torjäger Jamie MacQueen war wieder ein Faktor, er traf zur 1:0-Führung.
„Es ist besonders in München wichtig, dass du das erste Tor schießt", sagte Richer. Doch auch der Interimstrainer, der eigentlich als Sportdirektor bei den Eisbären angestellt ist, hatte seinen Anteil am Sieg. Richer hatte alle vier Sturmreihen kräftig durcheinandergewirbelt, der Erfolg gab ihm Recht. „Wir haben die wichtigen Zweikämpfe gewonnen, die Scheibe gut herausgespielt, gute Entscheidungen getroffen", lobte der Kanadier.
„Wir waren ein anderes Team heute"
Die Münchner schienen die Eisbären etwas zu unterschätzen, die Berliner dagegen stemmten sich mit allen Mitteln gegen das frühe Saison-Aus. „Wir müssen jetzt darauf aufbauen, mit dieser Verzweiflung weiterspielen", forderte Matchwinner Ortega. „Keiner will jetzt schon in den Urlaub fahren." Doch egal, wie das Duell am Ende ausgeht: Nach der Saison wird es einen Umbruch im Team des DEL-Rekordchampions geben.
Aufsichtsratschef Luc Robitaille hatte bereits seine Unzufriedenheit über die lange Zeit schwachen Leistungen zum Ausdruck gebracht. „Wir erwarten in jeder Saison, dass wir um die Meisterschaft kämpfen", sagte der frühere NHL-Star der „Berliner Zeitung". Dringendste Aufgabe sei es, einen neuen Trainer zu verpflichten, „der zur Vision der Kultur unseres Hockeyclubs für die Zukunft passt".
Fest steht: Sportdirektor Richer, der nach der Entlassung von Clément Jodoin kurz vor Weihnachten als Interimscoach eingesprungen war und eine Trendwende erst spät einleiten konnte, wird diesen Platz wieder freimachen. „Sobald ein passender Trainer auf dem Markt ist, holen wir ihn", kündigte Richer an. Der Sportdirektor umschrieb auch das Anforderungsprofil: „Er muss zur Eisbären-Philosophie passen. Wir wollen junge Spieler aufbauen und schnelles Eishockey spielen."
Davon war der siebenmalige DEL-Meister in dieser Saison oft weit entfernt. Vor allem die deftigen Pleiten gegen die Topteams aus Mannheim (0:7) und München (2:6) bleiben in Erinnerung. „So darf man sich zu Hause nicht präsentieren", ärgert sich Richer noch heute. „Es ist eine Frage des Stolzes. Wir wollen diesen Stolz zurück."
Das Verletzungspech – zwischenzeitlich waren neun Stammspieler ausgefallen – hat die Eisbären geschwächt, keine Frage. Aber viele Experten behaupten, dass auch der volle Kader nicht die Qualität für den großen Wurf hat. Geschäftsführer Peter John Lee reiste kürzlich zu NHL-Club Los Angeles Kings, der durch den gemeinsamen Besitzer, die Anschutz Entertainment Group, eine Art Kontrollfunktion bei den Eisbären ausübt. „Natürlich muss man etwas mehr erklären, wenn es nicht gut läuft", sagt Lee. In den Gesprächen sei ihm ein Budget für die kommende Saison zugesichert worden, bei dem der einstige Serienmeister keine großen Abstriche machen muss. „Wir reden über einen Kader, der uns in die Top Vier bringt", sagt Lee. Inbegriffen in den Planungen seien auch Auflösungen von noch laufenden Verträgen.
„Er hat gute Augen und gute Hände"
Es können sich also nicht viele Profis sicher sein – auch nicht die Helden von einst. Jens Baxmann, der mit den Eisbären sieben Meistertitel gewann, wird den Verein verlassen. Florian Busch besitzt zwar noch einen Vertrag über den Sommer hinaus, doch beide Seiten müssen sich stark überlegen, ob eine weitere Zusammenarbeit noch Sinn ergibt. Der Stürmer ist oft verletzt und strahlt nur noch wenig Torgefahr aus.
Das trifft auch auf André Rankel zu, der Kapitän schoss in der Hauptrunde erstmals seit elf Jahren weniger als zehn Tore (acht). Als Führungsfigur ist Rankel zwar wichtig. Beim sportlichen Neuanfang wird der Verein jedoch verstärkt auf andere setzen. Noch fraglicher ist die Zukunft von Torjäger MacQueen in Berlin. Der 30 Jahre alte Kanadier kommt zwar immer noch auf eine gute Scorer-Quote, doch an seinem Defensiv-Verhalten verzweifeln die Trainer und Fans.
Andere Spieler wie Thomas Oppenheimer oder Kevin Poulin genießen dagegen weiterhin das Vertrauen der Clubführung. Außerdem dürften sich Lee und Richer um einen Anschlussvertrag für Ortega bemühen. Der erst Mitte Februar vom schwedischen Meister Växjö Lakers gekommene Amerikaner war von Beginn an eine Verstärkung für die schwächelnden Eisbären. Dem schnellen und trickreichen Angreifer gelangen 17 Scorer-Punkte in zwölf Spielen. Man habe auf Anhieb sehen können, „dass er gute Augen und gute Hände hat", sagte Richer. „Und er weiß auch, wo das Tor steht." Diese Qualitäten erhoffen sich die Verantwortlichen auch bei den möglichen Neuzugängen. Hoch gehandelt werden Leonhard Pföderl (Nürnberg Ice Tigers) und Anthony Camara (Iserlohn Roosters).
Was auch immer am Ende der kommenden Saison für die Eisbären herauskommt, sie wird mit einem Eishockey-Leckerbissen beginnen. Am 29. September gastiert NHL-Club Chicago Blackhawks in der Arena am Ostbahnhof. Der letzte Gastauftritt eines Teams aus der nordamerikanischen Profiliga in Berlin ist bereits elf Jahre her. Bei den Blackhawks stehen der deutsche Olympia-Held Dominik Kahun sowie die Stürmerstars Patrick Kane und Jonathan Toews unter Vertrag. „Es ist eine coole Sache, dass die NHL wieder nach Deutschland kommt", sagt Kahun. „Es wird schön, wieder nach Berlin zu kommen. Ich mag die Stimmung da und liebe die Arena."