Khrystyna Rymsha-Davidov hat Glück. Aus ihrem Wunsch, etwas mit Kunst zu machen, wurde tatsächlich ein Beruf. Jetzt steht sie kurz vor ihrem Diplom an der HBK Saar. Teil III der Serie Absolventen der Hochschule der Bildenden Künste (HBK) Saar.
Manchmal sitzt Khrystyna Rymsha-Davidov mehrere Stunden vor einem Blatt Papier, ohne sich zu regen. „Dann schaut es für meinen Ehemann so aus, als ob ich gar nichts mache, außer vor mich hinzustarren und mich zu langweilen", erzählt die angehende HBK-Absolventin mit einem Lächeln. Dem sei natürlich nicht so, nur erfordert der künstlerische Arbeitsprozess eine gewisse Zeit. „Forschungszeit" um es mit den Worten der Künstlerin auszudrücken. „In solchen Situationen fühlt mein Mann sich dazu berufen mich aufzuheitern oder mich in ein Gespräch zu verwickeln. Deswegen bin ich auch von zu Hause geflüchtet, in mein eigenes Atelier im Herzen von Saarbrücken. Dort kann ich in Ruhe arbeiten, ohne mich stören zu lassen."
Tatsächlich erfordern ihre Kunstwerke Präzision und eine solide Grundidee, aus der die Bilder herauswachsen können. „Mit meiner konzeptuellen Kunst erkunde ich die Dimension der Linie", erklärt Rymsha-Davidov, „dabei gilt mein Interesse der Entwicklung von raumgreifenden organischen Formen, die auf dem Prinzip eines in der Natur vorkommenden Wachstumssystems aufgebaut sind."
Aus einzelnen gezeichneten Linien und ihrer bewussten Anordnung auf der Leinwand entstehen in der Menge zweidimensionale, optisch raumgreifende, künstliche „Organismen". Die fertigen Bilder erinnern den Betrachter an von der Natur vorgegebene organische Formen. „Oder ihre Mutation", erzählt Rymsha-Davidov. Dabei bezieht sich die bald diplomierte Künstlerin auf die Genforschung. „Wenn der Mensch in die natürlichen Systeme eingreift, kann etwas sehr Wertvolles entstehen," überlegt die gebürtige Ukrainerin, „aber gleichzeitig auch etwas Grauenhaftes auslösen, wie zum Beispiel genmanipulierte Lebensmittel, die zwar ansprechend aussehen, aber gleichzeitig auch krebserregend sein können." Mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, werden die Manipulationen an den Strukturen erst unter einem Mikroskop sichtbar. Und genau hier fängt auch ihr Schaffensprozess an. Sie geht zum Ursprung der Dinge und setzt sich damit auseinander. Und das kommt an. Eines ihrer Gemälde – eine ganze Wandzeichnung – ziert beispielsweise das Haus der Ärzte in Saarbrücken.
Dass Khrystyna Rymsha-Davidov „etwas mit Kunst" machen wollte, wusste die junge Frau seit ihrem zwölften Lebensjahr. Damals lebte die Wahlsaarländerin noch in ihrer Heimatstadt Odessa in der Ukraine. Von ihrem Talent überzeugt, schickten ihre Eltern sie auf eine Kunstschule. „Es war eine tolle, aufregende Zeit", erzählt sie. Allerdings dauert sie nicht lange an. Politisch-wirtschaftliche Probleme in ihrem Heimatland zwangen die Familie dazu, zu immigrieren. „Als ich wieder angefangen habe zu malen, war ich schon 16."
Wie betrachtet die Künstlerin die Welt?
Ihre erste Bewerbung bei der HBK gab Rymsha-Davidov im „sagen wir mal, reifen Alter ab", erzählt sie und lacht. „Mit 23 Jahren, das muss man sich mal vorstellen. Der Rest der HBK-Anwärter war wesentlich jünger als ich." Sie ließ sich davon nicht beirren, gab ihre Bewerbungsmappe ab und wurde abgelehnt. Die Absage hatte natürlich nichts mit ihrem Alter zu tun, vielmehr ging es um die Art ihrer künstlerischen Präsentation. „Ich dachte, dass ich vor den Professoren punkten könnte, wenn ich sie mit unterschiedlichen Kunst-Techniken konfrontiere und zeige, was ich alles kann", beschreibt sie ihre erste Begegnung mit der HBK Saar. „Später fiel mir dann auf, dass es um etwas ganz anderes geht: Sie wollten nicht meine Technik sehen, sondern mich als Künstler. Wie sehe ich die Welt? Was möchte ich dem Betrachter erzählen? All diese Fragen waren für die Professoren wesentlich wichtiger als beispielsweise richtig aufgetragene Schattierungen."
Mit ihrer zweiten Bewerbungsmappe trifft die Künstlerin ins Schwarze. Sie wird genommen, beginnt ihr Studium und brilliert parallel in Einzel- und Gruppenausstellungen. Doch mit dem Erfolg sieht sie auch die Schattenseiten, die das Künstlerleben mit sich bringt. Wer Geld verdienen will, muss selbstständig sein. „Also sich entweder als Selbstständiger oder Kleinunternehmen anmelden", erklärt die 34-Jährige. „Und dann kommt der große Verwaltungsbrocken: Mit Steuererklärungen, Buchhaltung, Rechnungen schreiben, das war für mich ein absoluter Albtraum."
Dabei geht es für sie gar nicht darum, sich in die Bürokratie einzuarbeiten. „Das wäre noch in Ordnung", betont die angehende Absolventin. Vielmehr ist es die Zeit, die solch eine Selbst-Organisation einfordert. „Und genau diese Zeit fehlt mir, um an den Bildern weiterzuarbeiten."
Leben kann sie von ihrer Kunst nicht. Zumindest noch nicht. Um sich über Wasser zu halten und das kleine Atelier in der Bleichstraße zu finanzieren, arbeitet sie parallel in gleich zwei Bereichen: Als freie Mitarbeiterin der Stadtgalerie und als Aushilfskraft im Billard-Café in St. Arnual. In diesen Räumen findet auch ihre Diplom-Ausstellung statt. „Etwas unkonventionell, dafür aber mit einem persönlichen Bezug." Sie hat auch schon einen konkreten Plan, wie es mit ihr nach dem Diplom weitergehen soll. „Mein Mann hat einen Job in der Nähe von Düsseldorf gefunden", erzählt die Künstlerin, „deswegen werden wir auch bald umziehen." Ob sie dann auch ohne Nebenjob von ihrer Kunst leben kann, weiß sie noch nicht. „Wenn es aber der Fall sein sollte, wäre es natürlich herrlich", gibt sie ehrlich zu, „dann könnte ich mich endlich auf das Wesentliche konzentrieren."