Der erste Brexit-Termin ist ausgefallen, der nächste steht vor der Tür. Das Chaos auf der Insel trifft vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Der Präsident der Britischen Handelskammer in Deutschland, Michael Schmidt, warnt: Fast die Hälfte der betroffenen Firmen ist nicht vorbereitet.
Herr Schmidt, haben Sie als Präsident der Britischen Handelskammer das Gefühl, die Deutschen wissen wirklich, was da mit dem Brexit auf sie zukommt?
Ich habe den Eindruck, dass wir hier in Deutschland insgesamt als Gesellschaft auf der Tribüne sitzen und uns das Schauspiel, was sich da gerade auf der Insel abspielt, ansehen, aber noch nicht so richtig begriffen haben, welche Auswirkungen das haben wird. Irgendwann ist das Schauspiel vorbei, wir verlassen die Tribüne, gehen nach Hause und glauben, nichts habe sich verändert. Das ist aber nicht so, denn nach dem Brexit werden wir ein anderes Europa vorfinden.
Eine Studie im Auftrag Ihrer Handelskammer belegt, fast die Hälfte der Unternehmen im deutsch-britischen Handel ist nicht auf den anstehenden Brexit vorbereitet. Was bedeutet das?
In Zahlen heißt das, 47 Prozent der Unternehmen sowohl in England als auch in Deutschland sind überhaupt nicht auf den Brexit vorbereitet, das ist absolut besorgniserregend. Das kann ich zum Teil nachvollziehen, vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Denn angesichts der vielen Szenarien können die nicht für alle Varianten eine Lösung erarbeiten; es fehlt schlicht die Manpower dazu. Aber was alle machen können und sollten, das ist eine Risikoabschätzung. Also, wo wäre ich bei welchem Szenario wie betroffen. Das sollte jedes Unternehmen schon getan haben.
Aber sie sagen ja selbst, es ist nicht ganz so einfach mit der Vorbereitung auf den Brexit.
Ja, das ist natürlich von der juristischen Materie her sehr kompliziert. Dazu kommt die Vielzahl der Szenarien zum Ausstieg. Allein in der letzten Märzwoche wurde im britischen Parlament über acht Varianten erfolglos abgestimmt. Ich habe aufgehört, da überhaupt noch mitzuzählen. Es ist auch völlig irrelevant, wie viele Möglichkeiten bestehen. So lange nicht klar ist, was passieren soll, werden sich Unternehmen sowieso nur zum Teil vorbereiten können, das geht gar nicht anders.
Also tragen die britische Regierung und das Unterhaus die Hauptschuld an den anstehenden Verwerfungen?
Ich befürchte, da hat man sich bei der Reaktion der Europäischen Union verkalkuliert. Die Europäische Union hat von Anfang an klargemacht, wo sie steht und zu welchen Kompromissen sie bereit ist und vor allem, wo sie ihre roten Linien zieht. Diese roten Linien wurden nicht überschritten, da hat sich die EU sehr konsequent durchgesetzt. Wenn man dem Brexit überhaupt irgendetwas Positives abgewinnen will, dann ist es der Zusammenhalt der 27 EU-Staaten.
Können sich also große Unternehmen, weil sie mehr Geld und Manpower haben, besser auf die verschiedenen Varianten des Brexits vorbereiten als kleinere?
Grundsätzlich stimme ich dem zu, wobei das weniger etwas mit Geld zu tun hat, sondern viel mehr mit vorhandenem Personal. So eine Vorbereitung auf völlig neue Handelsbeziehungen stellt hohe Anforderungen an das Management. In einem kleinen Unternehmen ist der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin mit dem Tagesgeschäft voll ausgelastet, die können sich da nicht einfach mal ausklinken, um die diversen Szenarien durchzuspielen. Sie müssen sich auf das Tagesgeschäft konzentrieren.
Das ist ja dann ein klarer Wettbewerbsvorteil für die Großunternehmen. Bedeutet dies, kleinere Unternehmen haben eine höhere Chance, durch den Brexit empfindlicher getroffen zu werden?
Nein, das würde ich so auf keinen Fall sagen, weil man das auch zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht absehen kann. Es gibt noch keinen klaren Gewinner, aber auf jeden Fall viele Verlierer. Nahezu alle Unternehmen werden unter der neuen Situation leiden, allein schon im administrativen Bereich. Der Aufwand für die Zollbestimmungen und die geänderte Logistik wird viel Arbeitskraft kosten, und das werden dann auch die Kunden an den Preisen merken. Das wird dann aber bei großen und kleinen Unternehmen das Gleiche sein, da wird es kaum Unterschiede geben, alle haben einen erheblichen Mehraufwand, der in die Kalkulation geht. Die großen Unternehmen haben sicherlich mehr Ressourcen, um das Mehr an Aufgaben besser abzuarbeiten, aber die kleineren sind wesentlich flexibler, um sich schnell auf die neue Situation einstellen zu können.
Sie haben es angedeutet, auch wir Verbraucher werden die Verlierer sein?
Ja, auf jeden Fall, denn jeder administrative Mehraufwand kostet Geld, und das wird, da es alle betrifft, auf die Produkte aufgeschlagen, egal ob es sich um ein großes oder kleines Unternehmen handelt. Aber für viele Unternehmen ist ja auch ihre bisherige Preisstabilität ein Kauf-Argument für ihre Kunden gewesen. Auch da müssen die Unternehmen dann nachsteuern, zum Beispiel über das Marketing. Es hängt also ein ganz schöner Rattenschwanz an zusätzlichem Aufwand am Brexit. Auf diese Effekte und Risiken sollten sich die Unternehmen irgendwie vorbereiten, und es hat bisher nur etwa die Hälfte getan. Da wird der eine oder andere Firmenchef noch reichlich ins Schwitzen kommen.
Wie sieht das bei Ihnen aus? Als Präsident der Britischen Handelskammer in Deutschland haben sie ja seit Monaten einen aufregenden Job. Zu aufregend?
Es sind spannende Zeiten, in denen wir leben, und wir erleben hier ein zentrales Ereignis der britisch-europäischen Geschichte. Niemand kann sagen, wo das hinführen und welche Auswirkungen das haben wird. Über diese Auswirkungen werden aber vermutlich noch in 100 Jahren die Historiker schreiben. Ich hatte diese derzeitige Entwicklung bereits vor Monaten befürchtet, aber gehofft, dass sie nicht eintritt, nun machen wir das Beste draus.