Nicht nur die Wirtschaft, auch Kulturschaffende kämpfen mit den Brexit-Folgen. Die Internationalen Musikfestspiele Saar sind davon nicht unberührt. Bernhard Leonardy über Verwerfungen, die Rolle der Musik für die Jugend in Europa und die Verantwortung von Künstlern und Veranstaltern.
An Warnungen hat es nun wahrlich nicht gemangelt. Ungezählt dürften die Brandbriefe sein, die Theresa May erreicht haben. Dass Sorgen um die wirtschaftlichen Folgen des Brexits den größten Teil davon ausgemacht haben dürften, liegt auf der Hand. Es waren aber nicht die einzigen. Vor einem halben Jahr sorgte ein von Bob Geldof initiierter offener Brief für Aufsehen, in dem Musiker vor den Brexit-Folgen für Kulturschaffende warnten. „Wir sind dabei, einen riesigen Fehler zu machen", hieß es dort. Zu den Unterzeichnern gehörte auch der Dirigent Simon Rattle, Ex-Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und Chef beim London Symphony Orchestra.
Künstler und Veranstalter können durch die Bank kein Verständnis für das aufbringen, was sich in den vergangenen Jahren im Vereinigten Königreich abgespielt hat, erst recht nicht für das Schauspiel der letzten Tage vor dem magischen 29. März. Bernhard Leonardy, der mit seinem Team die ebenso traditionsreichen wie international renommierten Musikfestspiele Saar organisiert, verweist auf die Entwicklung des European Union Youth Orchestra, das dieses Jahr die Musikfestspiele eröffnet. Das europäische Jugendorchester hat bereits als Konsequenz seine Zentrale von London nach Italien verlegt. „Da ist schon ein Bruch mit der Tradition, was schade ist, weil gerade in England hervorragende Nachwuchsmusiker sind", kommentiert Leonardy die Entwicklung.
Lebenselixier eines bunten Kontinents
Mit dem Zeitpunkt zwischen Brexit und Europawahl, der Auswahl der Künstler und Themen sind die Internationalen Musikfestspiele in diesem Jahr „fast schon ein politisches Statement". Dabei spannt Leonardy den Bogen vom dem international viel beachteten Friedenskonzert in Verdun im vergangenen Jahr bis zu dem in diesem Jahr geplanten Abschlusskonzert im europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim auf der deutsch-französischen Grenze mit der Big Band der Bundeswehr, „ein symbolischer Partner, der Musik macht, also friedensstiftend unterwegs ist".
Kulturschaffende „sind zwar keine Politiker, aber nie ganz unpolitisch", ordnet Leonardy einerseits die neue Konzeption der Musikfestspiele, aber auch die grundsätzliche Funktion insbesondere der Musik ein. „Musik ist ein sehr wichtiges politisches Mittel, um Menschen zusammenzubringen und Europa anders zu gestalten". Dabei macht der Brexit einerseits deutlich, wie weit man in Europa eigentlich schon gekommen war, und was jetzt auf dem Spiel steht. „Das geht bis hin zu den Stipendien", macht Leonardy deutlich. „Gerade die Musik lebt vom Austausch der europäischen Länder." Der Alte Kontinent mit seinen unterschiedlichen deutschen, französischen, russischen und eben auch englischen Traditionen in der Musik, „das lernt jeder in seinem Studium". In den Jahrzehnten haben sich die Musikfestspiele gerade dadurch einen Namen gemacht, dass sie jeweils ein Land mit seinen Besonderheiten in den Mittelpunkt gestellt haben und diese Tradition in der neuen Konzeption („New Generation") mit neuen Formen fortführen wollen. Der große Anspruch ist, „die Höhepunkte abendländischer Kultur an die nächste Generation weiterzugeben", sozusagen als „Lebenselixier" eines bunten und vielfältigen Kontinents.
In Zeiten des Brexits und lauter werdender nationaler Töne mutet das auf den ersten Blick recht abgehoben an. Aber gerade in den aktuellen Entwicklungen scheint der bekannte Ausspruch von Jean Monnet, einem der großen Europäer, aktueller denn je: „Wenn ich nochmals mit dem Aufbau Europas beginnen könnte, dann würde ich mit der Kultur beginnen." Daran knüpft auch Karin Maria Piening vom Festivalteam an: „Das rein Wirtschaftliche reicht als Fundament für eine Begeisterung für Europa nicht aus", ohne die gemeinsamen kulturellen Wurzeln und „die gemeinsame Sehnsucht nach Frieden".
Ein Festival wie die Musikfestspiele könne, gerade wenn es sich an die junge Generation richte, dazu beitragen, sich den Fragen zu stellen, die die politischen Entwicklungen aufdrängen: „Wie kann man Europa, wie kann man sich selbst neu definieren?"
Europa zeichne sich durch „Einheit in Vielfalt" aus, unterstreicht Leonardy, und gerade Musik zeige, dass es nicht um eine Vereinheitlichung gehe, sondern darum, „Buntheit und Farbigkeit zu bewahren und darzustellen, das, was Europa auszeichnet: ein reicher Schatz, der wichtiger ist als die rein wirtschaftlichen und egoistischen Motive".
Fehlentwicklungen kann man korrigieren
Eva Karolina Behr, die auch als Musiklehrerin tätig ist, verweist in diesem Zusammenhang auch auf einen besonderen Aspekt der Konzeption „New Generation". Die Beschäftigung gerade junger Menschen mit klassischer Musik könne etwas lehren, „was viele heute nicht mehr können: zuhören". Was man dabei entdecken könne, ist, dass vieles „im Grunde gar nicht so fragmentiert ist, wie man auf den ersten Blick meint. Es hängt viel mehr zusammen". Konkret und praktisch wird das am Beispiel der geplanten Aufführung von Mendelssohn Bartholdys „Lobgesang" (1840). Diesen „Lobgesang der Schöpfung", sagt Leonardy, wolle man dem „Umweltgedanken der Jugend widmen". Dazu gebe es bereits Kontakte zu (kirchlichen) Jugendorganisationen bis hin zu den Organisatoren der „Fridays for future"-Bewegung. Womit sich ein Kreis schließt. Nachhaltigkeit, Bewahrung der Schöpfung, Erhalt der Umwelt, Fragen, die aktuell weltweit junge Menschen zu Kundgebungen versammeln, sind nicht mit nationalen Egoismen zu beantworten.
Statt Fernsehbilder zu produzieren, auf denen der russische Präsident Putin mit dem deutschen Außenminister Maas nebeneinander herlaufen, ohne sich was zu sagen haben, „hätte man besser mal ein russisches und ein deutsches Jugendorchester spielen lassen sollen", sagt Leonardy bewusst provozierend. Im Übrigen ist er der optimistischen Überzeugung, dass Investitionen in Bildung und Kultur „vor politischen Verwerfungen schützen" können, weshalb er ebenso überzeugt den Regisseur, Intendanten und Kulturpolitiker August Everding zitiert: „Es rechnet sich nicht, aber es zahlt sich aus."
Übrigens ist er ob der „Ratlosigkeit der Politik" angesichts der aktuellen Entwicklungen in Europa weniger sorgenvoll. Man könne einem Kind schließlich noch so oft vor einer heißen Herdplatte warnen, die Erfahrung mache es dann doch selbst. „Erkenntnis ist ein Weg der Menschheit", und Fehlentwicklungen könnten korrigiert werden. Dass er dabei Kultur und insbesondere der Musik eine besondere Rolle zumisst, „diesen verrückten Bestrebungen entgegenzuarbeiten", versteht sich von selbst.