Sechs Jahre lag eine der wichtigsten Anlaufstellen fürs qualifizierte Trinken im Westen der Stadt im Dornröschenschlaf. Vor Kurzem erweckten Barchef Thomas Altenberger und seine Crew die „Lützow Bar" am gleichnamigen Platz mit selbst kreierten Cocktails und Highballs wieder zu neuem Leben.
Diskretion im gedämpften Licht erwünscht! „What happens in the bar, stays in the bar." Wem das gute, alte Bar-Motto womöglich ob des einen oder anderen Drinks in Vergessenheit gerät, den erinnert ein überlebensgroßes David-Bowie-Konterfei mit „Psst!"-Geste daran. Dabei ist die „Lützow Bar" bereits kurze Zeit nach ihrer Wiedereröffnung Mitte März schon wieder gut besucht. Vielleicht ist sie noch nicht wieder ganz so brummend voll wie in ihrer ersten Hoch-Phase in den 90ern. Doch es gibt eine Klassiker-Frage zum Einstieg in ein Gespräch – zumindest ab einem gewissen Alter der Gäste: „Warst du damals auch schon hier?"
Antworten darauf kann wohl so ziemlich jeder ausgehfreudige „alte West-Berliner" geben. In den 90er-Jahren war die „Lützow Bar", im Hinterland vom Hotel Esplanade und Kurfürstenstraße mit Möbelhauswüste, Straßenstrich und dem „Einstein" gelegen, eine der wenigen Anlaufstellen für das qualifizierte Trinken in dem wild durchwachsenen Kiez. Barchef Thomas Altenberger ist die Gegend vertraut: Der vielfach ausgezeichnete Barkeeper war bereits in seinem ersten beruflichen Leben in der „Harry’s New York Bar" im Esplanade und im „Lebensstern" im „Einstein" tätig. Später konzipierte er die Bar des nahen „Golvet" und war Barchef der „Vesper Bar" am Kurfürstendamm.
Die „Bar am Lützowplatz" dagegen fiel im Jahr 2013 in den Dornröschenschlaf und konservierte sich seither im quasi originalen Design-Erhaltungszustand. Der 16-Meter-Tresen, das dunkle Holz und die Spiegeldecke, die Schummerlämpchen mit den Faden-Glühbirnen und die Chesterfield-Sofas – alles ist noch da.
Seit März mischt die Bar also erneut im Trinkgeschehen der Stadt mit – wiedereröffnet als „Lützow Bar". In den Tumblern und Cocktailgläsern blieb die Zeit keineswegs stehen. Zeitgenössische Techniken und Zutaten sind Standard: „Wenn ich in eineinhalb Stunden eine Ananas in Wodka sous vide infusionieren kann, um das Aroma zu gewinnen, ohne die Textur zu verändern, dann mache ich das", sagt Thomas Altenberger. So werden die Drinks feiner. Ein Erdbeerdaiquiri etwa kann „ohne matschige, schlotzige Textur" hergestellt werden. Gedörrtes Obst, das als Einlage seine Aromen langsam in den Drink abgibt, oder selbstgemachte Säfte aus Gurken oder Wassermelonen gehören ebenfalls zum Repertoire.
Klassiker werden auch gern einmal neu interpretiert
Nur einen Rotationsverdampfer, „eine richtige Investition!", gibt es nicht. Noch nicht? Der nicht unerhebliche Platz für das Do-it-yourself-Chemielabor für den Mixologen von Welt wäre in einer Küche durchaus vorhanden. Insbesondere zum Wochenbeginn sind die fünf Barmänner besonders aktiv und probieren Neues aus. Aber nicht vor Publikum. Dienstags ist immer Vorbereitungs- und Experimentiertag für den zweiten Teil der Woche.
Fragen die Gäste nach einem Mai Tai, so wie „damals", werden sie ihn bekommen. „Wir wollen, dass unsere Gäste glücklich sind und erfüllen jeden Wunsch – sofern wir können", sagt Thomas Altenberger. Das Grundrauschen ist: klassische Drinks mit modernem Twist. Auf der Karte stehen zwölf Eigenkreationen, teils Abwandlungen dieser guten alten Bekannten. Die Karte ist, auch mit Einzel-Spirituosen in qualitätvoller Auswahl, übersichtlich. Schließlich muss genügend Spielraum bleiben, um „den Gast zu lesen", wie Altenberger sagt. Eine Stimmung oder eine Erinnerung an einen besonders gern genommenen Drink im Gespräch herauszukitzeln, gehört zum Job. „Man darf nicht vergessen: Wir machen Handwerk", sagt er. „Plus 80 Prozent Psychologie und Kommunikation."
Ich vermute, inmitten der Retrogelüste erweckenden Atmosphäre war ich mit meinem Wunsch sehr leicht zu lesen: „Endlich mal wieder einen richtig guten Cosmopolitan!" Damit der Fotograf und ich beim vergleichenden Bildungstrinken theoretisch und praktisch gleichermaßen vorankommen, gibt’s nicht nur den „HBO-Cosmopolitan" à la „Sex and the City". Barkeeper Maximilian von Bassenheim wirbelt und schüttelt, seiht ab, gießt und drapiert das Original von anno 1934 und seine Revival-Version aus den 2000er-Jahren in die Gläser. Ein klarer Fall: Der Fotograf und ich sind Team 1934. In der opak rosafarbenen Flüssigkeit vereinen sich „Mom"-Gin –
benannt nach der royalen Gin-Liebhaberin, der „Queen Mum" – mit Beerenaroma, Cointreau, Limettensaft und Himbeersirup. Ein eher blütiges und himbeerlastiges, aber dennoch kompaktes Getränk für die Süß-Fraktion. Der zeitgenössische Cosmopolitan ist durch die Verwendung von Zitrus-Wodka, Cranberry- und Limettensaft sowie Cointreau herber, umdrehungsärmer und für den softeren Schwips geeignet.
Das ist nicht so verkehrt, stehen doch gleich wieder zwei gut gefüllte Gläser vor uns. Eine Gurkenschlange wickelt sich aus einem Tumbler empor. Yes, it’s „DillIcious"! So taufte Altenberger die Kreation aus Dill-Aquavit, frischer und „gemaddelter" Gurke sowie einem Zitronen-Dill-Sirup. Erfrischend und trügerisch leicht heranflatternd macht er uns Lust auf warme Abende auf der ruhigen Terrasse zum Lützowplatz hin. Für den „Drink der Woche", einen „Mez-Cal", hätten wir dagegen die Bitternoten und Rauch liebende Freundin dabei haben müssen. Der Agavenschnaps mit Honig-Ananassirup, Zitrone, rosa Pfeffer und „Hellfire Bitter" erscheint mir jedenfalls teuflisch rauchig.
Fokussiert auf renommierte Winzer
Wie immer im Genusskosmos gilt: alles Geschmackssache. Ich warte lieber, bis wieder ein anderes Special auf der Kreidetafel steht. Die Freundin hätte sicher mit dem in einem „Bernhardiner-Fässchen" angesetzten Haus-Negroni mit seinem typischen Wermut- und Campari-Bestandteilen ebenfalls viel Spaß gehabt. Die Cocktails und Highballs sind allesamt für trinkfreundliche zehn bis zwölf Euro zu haben.
In der nächsten Runde zollen wir der Historie des Ortes im Glas Tribut. Barkeeper Burak Yurdakos kredenzt uns einen „Lützow Spritzer". Er ist ein Mix aus „La Copa" Dry Vermouth, Campari, Wassermelone und einem Rosé Crémant de Loire. „Der macht den Twist zum Aperol", sagt Yurdakos. Der Drink verweist auf eine Berliner Bar-Ikone, den Chef der „Hildegard Bar" und wegweisenden Barchef der „Bar am Lützoplatz": „Thomas Pflanz hat hier den ‚Watermelon Man‘ kreiert." Wir fliegen anschließend weiter in den Urwald. Ein „Jungle Bird" basiert auf Rum, mit Campari, Limette, Zucker, frischgepresster Ananas und Grapefruit akzentuiert. Wir fühlen uns wohl in den Tropen.
Bevor wir nach ausgiebigem Probieren dem „Endgegner Frischluft" gegenübertreten, wie Maximilian von Bassenheim warnt, leeren wir sicherheitshalber das eine oder andere Begleitglas Wasser. Wir lassen die Blicke erneut umherschweifen. Ja, schon um 18.30 Uhr war ein erster Schwung Gäste zu einem qualifizierten Feierabend-Drink in der durchgängig rauchfreien Bar zugegen. Dieses Getränk darf grundsätzlich ebenfalls gern ein Glas Wein sein. Thomas Altenberger und Barbetreiber Stilian Laufer legen großen Wert auf gute, offene Weine. „Zwei weiße, zwei rote und ein Rosé", sagt Altenberger. Ein fokussiertes Programm von renommierten Winzern: Ein Sauvignon Blanc von Knipser aus der Pfalz und ein „Diel de Diel", eine Cuvée aus Riesling, Weiß- und Grauburgunder von der Nahe stehen auf der weißen Seite der Karte. Knipser steuert ebenfalls seine Cuvée Rosé „Clarette" bei.
Bei den Roten geht’s mit einem 2014er Cabernet Sauvignon von Carnivor nach Kalifornien und mit einem 2016er „Lagone" von Aia Vecchia in die Toskana. Sehr angenehm: Die entspannte Atmosphäre, die zum Chillen und Plaudern in Begleitung einlädt. Mit einer Einschränkung: Die gute Grundlage bitte nicht vergessen! In der „Lützow Bar" gibt’s nichts zu essen. Vielleicht entsteht aber spätestens zur Terrassensaison eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem benachbarten italienischen Restaurant? Ab 21 Uhr wird’s an diesem Freitagabend merklich voller, die Drinks substanzieller. Klar, ein Bar-
Urgestein wie Thomas Altenberger kann Alkohol und zwar so, dass es idealerweise mit dem „ernsthaften, vernünftigen Trinken", wie er es formuliert, klappt. Wir fühlen uns ob des berufsbedingten Kreuz- und Quer-Probierens eher unvernünftig. Dazu gehört auch, dass ich mir vor dem Einsteigen in den „großen Gelben" für die sichere Heimfahrt noch einen „White Russian" wünsche. Mir war gerade so retro-sahnig zumute!
Geheimzutat: ein Tropfen Liebe
Der Fotograf tut sich währenddessen an einem „Est-Teamater" gütlich. Ein Drink mit Showeffekt: Birkensaft wird zusammen mit Bergamotte-Saft im Syphon aufgeschäumt und ins Glas gesprüht. Dort vereint er sich mit Vodka 23, Jasmintee sowie, laut Maximilian von Bassenheim, einer „ganz geheimen Zutat: einem Tropfen Liebe." Eines ist in der neuen „Lützow Bar" klar: „Unsere Gäste sollen aus dem Laden herausgehen und wiederkommen, ohne genau zu wissen, warum", sagt Thomas Altenberger. „Dann haben wir alles richtig gemacht." Ich würde sagen: das klappt.