In der Waldsiedlung Wandlitz residierten neben Erich Honecker und seiner Frau noch andere Familien aus der DDR-Elite. Heute können Touristen durch das frühere Wohndorf spazieren und allerlei Interessantes erfahren.
Stasi-Boss Erich Mielke achtete penibel auf Sauberkeit, Genosse Kurt Hager ging gern spazieren, Staatschef Erich Honecker bekamen selbst Mitarbeiter selten zu Gesicht: Auch fast 30 Jahre nach dem Mauerfall sind Geschichten über die berüchtigte Waldsiedlung Wandlitz nordöstlich von Berlin allgegenwärtig. Vor Ort, im Wald zwischen Bernau und Wandlitz, kann man dieses Stück deutscher Geschichte hautnah erleben. Wo sich die DDR-Führung einst verschanzte, spazieren heute Touristen völlig unbehelligt oder machen einen Abstecher zum nahen Liepnitzsee. Hinweistafeln erinnern an das Privatleben der SED-Politbüro-Prominenz. Neu hinzu kam nach der Wende die Brandenburg-Klinik, die 1990 nebenan ihre Pforten öffnete. Auch in einigen Wohnhäusern der früheren Machthaber sind heute medizinische und soziale Einrichtungen untergebracht. Im Pool für Aquafitness drehte einst Stasi-Chef Mielke um Punkt fünf Uhr morgens seine Runden. Außer ihm hätten aber nur wenige Genossen das Schwimmbecken genutzt, ist bei einer Führung zu erfahren. Dann geht’s zum Habichtweg, Haus 11, wo Margot und Erich Honecker wohnten. Auf einer Info-Tafel stehen die wichtigsten Fakten über den „Staatsratsvorsitzenden" sowie über die „Volksbildungsministerin".
Ein Geschäft hatte Waren aus dem Westen
Feudal lebten beide augenscheinlich nicht. Doch in der Waldsiedlung, sie gehört übrigens zur Stadt Bernau, nicht zu Wandlitz, existierte ein Wohnkomfort, den normale DDR-Bürger selten erreichten. Zankapfel und Ärgernis war nach der Wende das sogenannte Ladenkombinat Sonderversorgung. In dem Geschäft konnten die Bewohner begehrte Westwaren – also Konsumgüter vom Klassenfeind – kaufen. Lieferscheine sowie Quittungen zeigten nach der Wende, dass Ministerin Margot Honecker gern westdeutsche Produkte wie Nivea oder Penaten-Creme orderte. Laut dem Buch „Waldsiedlung Wandlitz – Eine Landschaft der Macht" ließ die erste Frau im Staat Kleider und Röcke sogar direkt in Westberlin beschaffen. Gatte Erich bevorzugte der Lektüre zufolge Büchsenbier von DAB, Nescafé und Langnese-Honig. Eine frühere Haushälterin beschreibt den Lebensstil der Honeckers dennoch als insgesamt „sehr bescheiden". Lieblingsgericht des obersten DDR-Funktionärs: Kasseler mit Sauerkraut. Tagsüber durfte es gern ein Kirschsaft sein.
Das Honecker-Wohnhaus war eins von 23 Wohnstätten von ranghohen Politbüro-Mitgliedern. Die Gebäude hatten bis zu 15 Zimmer. Etwa 60 Hausbedienstete standen rund um die Uhr abrufbereit. Insgesamt arbeiteten in dem abgeschirmten Komplex um die 650 Beschäftigte. Fast alle waren beim Ministerium für Staatssicherheit angestellt. Auf Info-Stelen wird der Alltag in der Waldsiedlung sowie die tägliche Protokollstrecke zu den jeweiligen Arbeitsorten der Bewohner erläutert. Sehr gern fuhr man den Angaben nach Wagen der schwedischen Automarke Volvo, was zum Spitzname für die Siedlung „Volvograd" führte.
Eine der wenigen, die mit dem eigenen Pkw das Gelände verließ, war Margot Honecker. Ihr Wartburg stand bei Wind und Wetter abfahrbereit, wie sich Ex-Honecker-Leibwächter Bernd Brückner erinnert. Mit Perücke und Sonnenbrille fuhr die Ministerin seinen Worten nach „in die Republik". Wohin, wusste kein Mensch, was die Gerüchteküche über angebliche Liebschaften anfeuerte. Honeckers Nachfolger Egon Krenz soll eher widerwillig in die märkische Abgeschiedenheit gezogen sein. Auch Kurt Hager, der SED-Chefideologe, wollte erst nicht vor die Tore der Hauptstadt ziehen. Andere Genossen monierten aufwendige Anmeldeverfahren für Besucher. Kindern beziehungsweise Enkeln der hohen SED-Kader fehlten Spielpartner. Dafür nahmen viele Angehörige von Spitzenfunktionären gern die Möglichkeit wahr, in der Waldsiedlung ihre Privat-Pkw kostenlos zu betanken.
Neben Touristen und Geschichtsinteressierten prägen heute Patienten und Rekonvaleszenten der benachbarten Klinik das Ortsbild im neuen Bernauer Stadtteil „Waldsiedlung". Behandelt wird in Fachabteilungen wie Neurologie, Orthopädie und Kardiologie. Nach Angaben aus der Stadtverwaltung ist die Brandenburg-Klinik heute größter Arbeitgeber Bernaus.
Frühere und neue Gebäude werden dabei auch von anderen Gesundheitseinrichtungen genutzt. Dazu zählt die Kindernachsorgeklinik Berlin-Brandenburg für herz- und krebskranke Kinder. In der Nähe siedelten sich unter anderem eine Möbelfirma sowie eine Gärtnerei an. Dienstleister, wie Schneider und Friseur sind ebenso ansässig. Mittlerweile erschließen elf Straßen das Gelände. Eine Buslinie verbindet den Ortsteil „Waldsiedlung" mit der rund zehn Kilometer entfernten Kernstadt Bernau. „30 Jahre nach der Wende scheint hier das ganz normale Leben eingekehrt zu sein", so eine Touristin aus Berlin. Die rüstige Seniorin will noch weiter zum Waldbad Liepnitzsee spazieren. „Das soll die bevorzugte Badestelle von Walter Ulbricht und Genossen gewesen sein", erfuhr sie den eigenen Worten nach in einer Ausstellung zum Thema im Wandlitzer Naturparkzentrum Barnim-Panorama.
Ein Wachregiment sicherte das Gelände
Insgesamt fällt das Echo auf Schautafeln und Erläuterungen vor Ort bei heutigen Spaziergängern unterschiedlich aus: „Wer hier ein blühendes Paradies erwartet, wird ernüchtert sein. Die Behausungen der DDR-Genossen wirken auf mich eher bieder und kleinbürgerlich", beschreibt ein Berliner seinen Eindruck. Ein Brandenburg-Besucher aus dem thüringischen Altenburg sieht es anders: „Man muss diese SED-Riege an ihren eigenen Ansprüchen messen – und im Vergleich zum Volk lebten die hier wie die Fürsten."
Seit 2017 stehen Teile der früheren Waldsiedlung Wandlitz unter Denkmalschutz. Zu DDR-Zeiten war das knapp zwei Quadratkilometer große Areal auf keiner Landkarte verzeichnet. Geführt und kontrolliert wurde es von der Hauptabteilung Personenschutz des Ministeriums für Staatssicherheit. Im inneren Ring umgab das Gelände eine zwei Meter hohe und grün angestrichene Mauer. Im äußeren Ring war es durch einen unscheinbaren Maschendrahtzaun begrenzt. Wanderer lasen hier einst Schilder mit dem Hinweis „Wildforschungsgebiet". Das Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski" sicherte vier Eingangstore und die Mauer.
Die Idee zu dem zwischen 1958 und 1960 errichteten Wohnkomplex, der am Ende über 27 Millionen DDR-Mark verschlang, entstand Mitte der 50er-Jahre. Als Auslöser des gestiegenen Sicherheitsbedürfnisses der DDR-Machthaber galt der Ungarn-Aufstand von 1956. Das frühere Wohn-Getto der Genossen am Majakowskiring in Berlin-Pankow lag zudem nur ein paar Kilometer vom damaligen Westberlin entfernt. Zu riskant, befand Honeckers Vorgänger Walter Ulbricht. Für den früheren SED-Lenker war offensichtlich ein weiterer Aspekt, dass sich Lebensstil und Sonderversorgung der Partei-Nomenklatura umgeben von normalen Wohngebieten nicht gänzlich verbergen ließen.
Heute steht die Waldsiedlung als Symbol für Privilegien und Abschottung der SED-Chefetage vor der DDR-Lebenswirklichkeit. Ausflügler erleben nicht nur pure Idylle, sondern ein Stück deutscher Geschichte.