Wenn ein Autor in Deutschland als „Geheimtipp" gilt, weil ihn keiner liest, wünscht man sich im Namen aller Krimifans, dass der großartige haitianische Autor Gary Victor hierzulande ganz schnell diesen Status verliert.
Victors Held Inspektor Dieuswalwe Azémar ist ein schielender Sonnenbrillenträger, Alkoholiker, Adoptivvater und aufrechter Polizist. Er muss nicht nur eine Mordserie unter Zuckerrohrschnapstrinkern mit einer kulinarischen Vorliebe für Katzenfleisch aufklären, sondern soll – auf die dringliche Bitte seines Vorgesetzten – auch noch die Entführung eines gewissen Georges aus hohem Hause untersuchen. Azémar kämpft nicht nur gegen Kriminalität, sondern auch gegen die allgegenwärtige Korruption und Vetternwirtschaft – die Haiti und seine Bewohner schon so lange quälen.
Gary Victors Roman ist scharfe Sozialkritik, unterlegt mit Galgenhumor und einer Prise Voodoo. Der karibische Kult ist bei Victor aber weniger Glaube oder Aberglaube, sondern eine Wahrnehmungsebene zwischen Imagination und Realität, auf der der Geist der Menschen manipuliert wird. Der Humor kommt in diesem Buch jedenfalls nicht zu kurz: Victors Schilderung eines skurrilen Trinkwettbewerbs ist an kauziger Komik kaum zu überbieten.
Gary Victor, geboren 1958 in Port-au-Prince, arbeitete einst als Beamter im Planungsministerium, dann als Journalist, und heute schreibt er Drehbücher und Krimis. Dass Victor, der nach wie vor in Haiti lebt, in seinen Werken die Probleme in seiner Heimat kompromisslos und offen thematisiert, kommt bei seinem heimischen Publikum gut an, bei denen die er aufs Korn nimmt, weniger.
Victor hat nie einen Hehl aus seiner Ansicht gemacht, dass Haitis Hauptproblem seine Regierenden sind. Seiner schonungslosen Offenheit bleibt er treu, und deshalb hat Gary Victor in der haitianischen Bourgeoisie wenig Freunde. Umso mehr Freunde wird er sich hoffentlich mit diesem Buch bei deutschen Krimifans machen.