Der VfL Wolfsburg sehnt sich seit Jahren nach Glanz und Gloria. Nun wurde ein Trainer verpflichtet, den in Deutschland kaum einer kennt. Oliver Glasner heißt der Mann.
Das ominöse Trainerkarussell der Fußball-Bundesliga hat zuletzt ziemlich viel Schwung aufgenommen. Borussia Mönchengladbach hielt Ausschau nach einem Nachfolger für Dieter Hecking und fand diesen in Marco Rose, Hertha BSC braucht Ersatz für die langjährige Identifikationsfigur Pal Dardai, die TSG Hoffenheim setzt auf den Niederländer Alfred Schreuder, weil Julian Nagelsmann seine Zukunft in Leipzig sieht. Auch Schalke 04 sucht nach einem geeigneten Coach für den nächsten Neuanfang, während sich Hannover 96, der 1. FC Nürnberg und der VfB Stuttgart noch nicht ganz sicher sind, wie sie sich nach einer jeweils wenig erquicklichen Saison neu aufzustellen gedenken.
Und dann ist da auch noch der VfL Wolfsburg. Der hat trotz hoher Ansprüche und kostspieliger Transfers magere Jahre hinter sich und schaffte 2017 (gegen Braunschweig) wie auch 2018 (gegen Kiel) den Klassenerhalt jeweils nur über die Relegation. Entsprechend hoch ist Bruno Labbadias Leistung anzurechnen, die von Volkswagen großzügig alimentierte Mannschaft wieder in die Spur gebracht zu haben.
Eigentlich wollte Labbadia mit dem Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga erst mal nichts mehr zu tun haben. Nach seinen Rettungsmissionen beim VfB Stuttgart und dem Hamburger SV wollte der ehemalige Stürmer sein Image als erfolgreicher Feuerwehrmann eigentlich ganz gern loswerden. Endlich mal eine Mannschaft nach den eigenen Vorstellungen aufbauen, und nicht „nur" Mängelverwaltung betreiben. Als die Anfrage des VfL Wolfsburg kam, hat sich der gebürtige Darmstädter aber noch mal hinreißen lassen. Schließlich sind die Trainerstellen in der Fußball-Bundesliga enorm begrenzt – und mit den Wölfen klopfte auch noch ein Team an, das vor drei Jahren noch im Champions-League-Viertelfinale stand. Letztlich hat der Coach also doch in den „sauren Apfel" (O-Ton Labbadia) gebissen und die Anforderungen, die in ihn gesetzt wurden, voll erfüllt.
Labbadia könnte sich zum Abschied krönen
Doch am Mittellandkanal reicht das nicht. Zumindest nicht, wenn der Sportchef Jörg Schmadtke heißt. Der gab im Februar via „Bild" freimütig Einblick in das wenig vertrauliche Verhältnis zu Labbadia. Er werde mit ihm „keine Kochrezepte austauschen oder einen gemeinsamen Urlaub planen". Das sei zwar nicht schlimm, aber: „Manchmal stimmt die Chemie einfach nicht." Mehr habe sich „einfach nicht entwickelt". Sätze wie Ohrfeigen, denen kurz darauf die offizielle Erklärung folgte, dass sich der VfL und Labbadia zum Saisonende trennen werden. So begab sich Schmadtke, wie so viele seiner Kollegen in der Bundesliga auch, auf Trainersuche – und wurde in Österreich fündig. Oliver Glasner heißt der Mann, der die „Wölfe" ab Sommer übernehmen wird. Der 44-Jährige war zwar noch nie in Deutschland aktiv, hatte sich in den vergangenen Monaten hierzulande aber dennoch einen Namen gemacht. Schließlich hatte er einen Logenplatz auf dem Trainerkarussell und wurde bei fast jedem nach einem neuen Übungsleiter fahndenden Bundesligisten gehandelt. Ohnehin scheint Österreich derzeit im Trend zu liegen, wenn es um neue Trainer geht. Immerhin hatte sich Gladbachs Wunschtrainer, der gebürtige Leipziger Marco Rose, als Coach von RB Salzburg empfohlen und auch Eintracht Frankfurt mit Adi Hütter einen überzeugenden Griff getan. Nicht zu vergessen ist Peter Stöger, der dem 1. FC Köln vier Jahre lang eine ungeahnte Phase der Stabilität verleihen konnte, ehe er sich mit dem damaligen FC-Sportchef Schmadtke überwarf.
Jener Peter Stöger ist überzeugt, dass der VfL Wolfsburg einen guten Fang gemacht hat. Den größten Unterschied zur bisherigen Arbeit in Österreich sieht Stöger ohnehin nicht im sportlichen Bereich, sondern in der zuweilen unrealistischen Erwartungshaltung und im Bändigen der Medien. Diesbezüglich geht es in der Alpenrepublik etwas beschaulicher zu als in Deutschland. Im Interview mit dem „Kicker" hält Stöger Glasner aber für gerüstet, um das Abenteuer im Norden zu bestehen: „Da ist der Olli gut aufgestellt. Er war schon als Gegner in Ried ein Führungsspieler, der vorangegangen ist. Es überrascht mich nicht, dass er als Trainer erfolgreich ist."
Als Spieler schon ein Chef gewesen
Glasner ist ein elementarer Bestandteil des österreichischen Fußballs. Mehr als 400 Spiele bestritt der gebürtige Salzburger als Abwehrspieler in der Bundesliga für die SV Ried und überzeugte dabei so sehr, dass er in Ried zum Ehrenkapitän auf Lebenszeit ernannt wurde. Dieses Leben hätte beinahe schon 2011 ein Ende gefunden, als Glasner das Abschlusstraining vor dem Europapokalspiel bei Bröndby Kopenhagen wegen starker Kopfschmerzen abbrechen musste. Ein paar Tage zuvor hatte sich der damals 36-Jährige bei einem Kopfballduell eine Gehirnerschütterung zugezogen, diese aber nicht ausheilen lassen. So kam es zu einer Gehirnblutung. Eine Notoperation rettete Glasners Leben. Kurz darauf beendete er seine Spielerkarriere und startete eine neue als Trainer. Die erste Station führte Glasner zurück in seine Heimatstadt zu RB Salzburg, zunächst als Sportlicher Koordinator, anschließend als Co-Trainer unter Roger Schmidt. Es folgte 2014 ein einjähriges Intermezzo als Cheftrainer bei seinem langjährigen Club in Ried, ehe Glasner beim Linzer ASK zu seinem Meisterstück ansetzte.
Hinter dem LASK liegen schwere Zeiten. Die Oberösterreicher gehören zwar zu den namhafteren Clubs Österreichs, die letzte Meisterschaft datiert allerdings von 1965. Die jüngere Vergangenheit war stattdessen eher von finanziellen und sportlichen Tiefflügen geprägt. Doch mit Glasner kehrten die schöneren Momente des Fußballs in die drittgrößte Stadt des Landes zurück. 2017 gelang die Rückkehr in die Bundesliga, die mit einem überraschenden vierten Platz gekrönt wurde. Der Lohn: die Rückkehr in den Europapokal, auch wenn dort bereits in der dritten Qualifikationsrunde für die Europa League Feierabend war. In der laufenden Saison winkt sogar die Vizemeisterschaft hinter Branchenführer Salzburg, aber vor gestandenen Vereinen wie Austria und Rapid Wien oder Sturm Graz. Entsprechend geschätzt wird Glasner für seine erfolgreiche Arbeit. Er gilt als hervorragender Entwickler von Spielern, der seine Ziele sachlich und beharrlich verfolgt und einen charmanten Umgang mit der Öffentlichkeit pflegt. Kein Wunder, dass auch ORF-Sportredakteur Andreas Blum nichts Schlechtes sagen konnte, als ihn der Südwestfunk kürzlich zu Glasner befragte: „Ich vergleiche Oliver Glasner gern mit Adi Hütter. Er ist ziemlich ruhig, hat aber eine klare Idee vom Spiel seiner Mannschaft. Er legt großen Wert aufs Pressing und auf eine offensive Spielweise seines Teams. Sein Team, der Linzer ASK, spielt aktuell den attraktivsten Fußball in Österreich." So war es nur eine Frage der Zeit, bis Glasner verlockende Angebote aus Deutschland ins Haus flattern. Dem Vernehmen nach waren auch der VfB Stuttgart und Schalke 04 überaus interessiert. Auch wenn sie bei Glasner bekanntermaßen kein Glück hatten, wird das Trainerkarussell auch für sie einen Kandidaten zu bieten haben.
Schmadtkes gute Einkäufe
Zum Beispiel Bruno Labbadia? Labbadia war schon immer von Ehrgeiz getrieben und machte schnell allen klar, dass er mit dem VfL zu neuen Ufern aufbrechen wolle – allerdings ohne gleich nach den Sternen zu greifen. Heißt im Klartext: Erfolgreich ist nicht der, der am lautesten schreit, sondern der, der seine Arbeit konzentriert erledigt und demütig bleibt. So ist es in Labbadias Karriere immer gewesen, und das sollte auch in Wolfsburg nicht anders sein. Die Marktlage für ihn ist gut. Man wird ihn ziemlich bald in der Bundesliga wiedersehen.
Denn seine Bilanz kann sich in Wolfsburg sehen lassen. Die Ziele für die Saison wurden bewusst klein gehalten. Labbadia wollte im Einklang mit den Führungsgremien der Volkswagen AG eine „stabile Saison, in der wir mehr Punkte holen als im Vorjahr". Dieses Saisonziel erreichte Wolfsburg mit dem 3:0-Erfolg gegen Mainz 05 bereits am 22. Spieltag und musste sich nie ernsthaft mit dem Abstiegskampf auseinandersetzen.
Die sportlichen Erfolgsfaktoren waren vielfältig. Zum Beispiel bewies Schmadtke bei den Neuverpflichtungen einen guten Riecher und warf, entgegen üblicher Wolfsburger Mechanismen, nicht wahllos mit Geld um sich, sondern investierte mit Ziel und Maß. Wout Weghorst, der für elf Millionen aus Alkmaar kam, entwickelte sich an der Seite von Daniel Ginczek (für zehn Millionen Euro aus Stuttgart) zu einem der besten Bundesliga-Torjäger. Zudem entwickelten sich die im Vorjahr lange Verletzten John-Anthony Brooks, Marcel Tisserand, Admir Mehmedi und vor allem Kapitän Joshua Guilavogui zu den Leistungsträgern, die sie eigentlich schon in der vergangenen Saison sein wollten. Am Ende könnte sogar die Qualifikation für die Europa League stehen. Dann hätten sowohl Labbadia als auch Schmadtke alles richtig gemacht.