Chancen auf Arbeit und vielleicht sogar ein Mittel gegen die Landflucht: das bietet der boomende Tourismussektor in Südafrika. Nachhaltige Angebote stärken nicht nur Dorfgemeinschaften jenseits der großen Städte, sondern lassen Besucher Menschen und Kultur hautnah erleben.
Natürlich sei das kein berauschendes Wahlergebnis für den ANC, den Afrikanischen Nationalkongress, das gibt Ashlé, die mit ihrem Mann für eine Kinderhilfsorganisation außerhalb der Millionenstadt Durban arbeitet, kurz nach den südafrikanischen Wahlen Anfang Mai sofort zu. Aber an einer weiteren Amtszeit für Präsident Ramaphosa bestehe doch kein Zweifel: 57,5 Prozent der Stimmen waren auf den ANC entfallen, der seit 1994 die Regierung in Südafrika stellt. Immer noch eine absolute Mehrheit, dennoch ein deutlicher Stimmenverlust. Viele hätten weniger für den ANC als für eine weitere Amtszeit von Cyril Ramaphosa gestimmt, meint Ashlé. Denn Ramaphosa habe bereits einiges anstoßen können, vor allem damit begonnen, die unter seinem Vorgänger Jacob Zuma grassierende Korruption endlich einzudämmen. Und er habe klare Visionen für eine Weiterentwicklung des Landes – vor allem, was die wirtschaftliche Lage betreffe.
Die sieht tatsächlich in dem Jahr, in dem Südafrika 25 Jahre Demokratie feiert, für viele nicht besonders gut aus. Im Gegenteil, die Arbeitslosigkeit liegt bei gut 27 Prozent und ist seit 2008 kontinuierlich angestiegen. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich daher immer weiter. Was vielleicht weniger in ländlichen Regionen, sondern mehr in den Metropolen des Landes augenfällig wird: Dort liegen nicht selten hypermoderne Shopping Malls mit ihren Hochglanzfassaden und Gated Communities dicht neben Townships mit Wellblechhütten und ungepflasterten Straßen. Die Unzufriedenheit, die Frustration sei in Teilen der Bevölkerung groß, weiß Ashlé; sie arbeitet mit vernachlässigten oder misshandelten Kindern in einem Township bei Durban. Gerade junge Leute aus ärmeren Familien, die sich weiterführende Schulen oder gar eine Uni-Ausbildung für ihren Nachwuchs nicht leisten können, hätten das Gefühl, keinerlei Perspektiven zu haben. Sicher ist auch das ein Grund, weshalb sich viele in der Altersgruppe unter 30 gar nicht erst zur Wahl hatten registrieren lassen.
Keine Frage, die sich jetzt unter Führung des ANC neu bildende Regierung steht vor gewaltigen Herausforderungen. Es gilt, die Infrastruktur des Landes weiter auszubauen, auch strukturschwache Regionen zu erschließen. Und vor allem gilt es, Jobs zu schaffen, gerade für die weniger oder kaum Qualifizierten. Große Hoffnung setzt die Regierung auf den Tourismussektor, der seit Beginn der 1990er-Jahre mit stabilen Wachstumsraten punktete und im vergangenen Jahr für Gesamteinnahmen von rund 12,5 Millionen Rand (rund 800 Millionen Euro) sorgte. Das sah 1993, vor knapp einem Vierteljahrhundert, noch ganz anders aus: Damals kamen 3,4 Millionen Touristen nach Südafrika; die dadurch erzielten Einnahmen machten 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Heute ist dieser Anteil etwa aufs Doppelte gestiegen, die Zahl der internationalen Ankünfte hat sich gar verdreifacht und liegt bei knapp 10,5 Millionen (2018). Rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze sind in Südafrika momentan direkt und indirekt an die Reiseindustrie gekoppelt.
Neue Arbeitsplätze entstehen im „Small Business"-Bereich
Und das soll sich im kommenden Jahrzehnt noch steigern – so die Vision von Derek Hanekom, der bis zu den Wahlen Tourismusminister der Regierung Ramaphosa war. Bis 2028 wolle man die Anzahl der Arbeitsplätze im Tourismus auf mehr als zwei Millionen steigern. Dabei sei man, sagt Hanekom, an einer nachhaltigen Entwicklung des Tourismussektors interessiert, wolle beispielsweise bislang wenig von Touristen besuchte Regionen des Landes wie das Northern Cape oder die Provinz North West behutsam erschließen. Überhaupt gelte es, das „Small Business" – etwa familiengeführte Betriebe wie Gästehäuser oder lokale Tourenanbieter – zu stärken. Denn hier könnten am einfachsten neue Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung entstehen, zum Beispiel im Service, in der Küche oder als Guide. Und von Locals organisierte Touren stünden doch gerade für die authentischen Reiseerlebnisse, bei denen der Tourist wirklich von Einheimischen etwas über ihr Leben, ihre Kultur erfahre, und die man mit Südafrika verbinde.
Ähnlich sieht das auch Ayanda von der NGO (Nichtregierungsorganisation) „Africa!Ignite", die seit 2004 in der Provinz Kwazulu Natal Kleinunternehmen auf dem Land fördert, in Zusammenarbeit mit der „Tui Care Foundation". Dabei geht es auch darum, Jugendliche und Frauen aller Altersgruppen bei Geschäftsideen zu unterstützen und diese markttauglich zu machen, erzählt Ayanda auf der „Indaba" in Durban, Afrikas größter Tourismusmesse. Ein Beispiel: traditionelles Kunsthandwerk. Oft sei den Frauen in den Dörfern gar nicht bewusst, welche besonderen Fertigkeiten sie beispielsweise bei der Perlenweberei und -stickerei besäßen. Daher organisiert „Africa!Ignite" Workshops, bei denen Kunsthandwerkerinnen in Marketing und Vertrieb ausgebildet werden – rund 50 dieser informellen Trainings haben in den vergangenen Jahren bereits stattgefunden.
Wie kann so etwas touristisch vermarktet werden? Auf zweierlei Weise, erklärt Ayanda. Das in den von der NGO betreuten Dörfern gefertigte Kunsthandwerk wird auf „Wowzulu" genannten Marktplätzen in der Nähe von Sehenswürdigkeiten verkauft, aber auch über die Organisation im Rahmen der „Fair Trade Prinzipien" vertrieben – häufig auf Messen oder lokalen Design- und Kunsthandwerkermärkten. Das beschere den Produzentinnen bereits ein regelmäßiges kleines Einkommen, alleine hätten sie keine Chance, ihre Arbeiten über diese unterschiedlichen Vertriebswege an den Kunden zu bringen. Das Interesse an ihren Produkten, der bescheidene wirtschaftliche Erfolg – all das helfe, das Selbstbewusstsein der Frauen und damit der Dorfgemeinschaft zu stärken. Und es könne möglicherweise die Landflucht etwas eindämmen, wenn es auch abseits der großen Städte Möglichkeiten gibt, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Dörfer stärken, die Infrastrukturen auf dem Land verbessern und neue touristische Angebote schaffen, dazu haben Ayanda und ihre Kollegen von „Africa!Ignite" auch eine ganze Reihe von Touren konzipiert, die Besucher über sie buchen können. So geht es beispielsweise nach Inanda, dem Geburtsort von John Langalibalele Dube, dem ersten Präsidenten des ANC: Dort gründete Mahatma Gandhi 1904 eine dorfähnliche Siedlung, und ebenfalls dort gab Nelson Mandela 1994 bei den ersten freien Wahlen seine Stimme ab. Ein geschichtsträchtiger Ort, den Touristen mit lokalen von „Africa!Ignite" geschulten Guides entdecken können. Und zugleich ein Ort, wo – wer will – den Kunsthandwerkerinnen nicht nur zuschaut, sondern selbst die Basics lernt: Unter Anleitung stellen die Gäste kleine Kunstwerke aus bunten Glasperlen her – als Erinnerung für zu Hause an ein authentisches Reiseerlebnis.