Sir Elton John, 72-jährig, geadelte Musiklegende, wird nun von Dexter Fletcher im schillernden Mix aus Musikfilm und Biopic „Rocketman" gewürdigt. Taron Egerton schlüpft dabei in dessen Haut, um die Metamorphose vom unscheinbaren Sing- und Pianotalent zum fluoreszierenden Rock- und Poptitan zu mimen.
Keine Frage, schon im zarten vorpubertären Alter von elf Lenzen zählt ein dicklicher, blässlicher Junge namens Reginald Kenneth Dwight als musikalischer Wunderbub. Der Spross von Sheila Eileen Dwight (Bryce Dallas Howard) büffelt fleißig an der „Royal Academy of Music", doch bis zum entscheidenden Durchbruch als extravaganter Jahrhundertmusiker mit pinkfarbener Riesenbrille und quietschbunten Kostümierungen wird der Weg noch steinig sein. Es sah auch anfangs nicht allzu rosig aus. Die Prämisse lautete: Wie zaubert frau/man aus einem scheuen, kleinen Jungen einen Rockstar? „Du solltest jenen, als der du geboren wurdest, zugunsten deiner Wunschpersönlichkeit eliminieren." Gesagt, getan, Reginald Dwight alias Elton John (Taron Egerton) beherzigt diese Erfolgsrezeptur mit knallharter Konsequenz und kühlem Kalkül.
Die opulent inszenierte Hommage des Weltenstürmers fokussiert vor allem Elton Johns Lehrjahre an der führenden britischen Musikhochschule bis hin zum grandiosen global Multiplayer. Dabei rückt vor allem seine äußerst effiziente Partnerschaft mit dem genialen Songwriter Bernie Taupin (Jamie Bell) und seinem temporären Lover John Reid (Richard Madden) in den Vordergrund. Bernie und Elton erschufen eben diesen „Rocketman", jenen rührenden Herzensbrecher über einen einsamen Astronauten, der mit Widerwillen die Erde in Richtung Mond verlässt, weil er die Totalisolation des Weltalls fürchtet. Überraschenderweise wird der staunende Kinofan nicht die cremige Stimme von Elton John vernehmen, sondern die seines absolut authentisch aufspielenden Alter Egos Egerton.
John und Egerton kannten sich schon
Ein Novum, denn im ähnelnden Konkurrenten und erfolgreichen Mega-Blockbuster „Bohemian Rhapsody" über die Kultrock-Formation Queen, wurden die Originalhits lippensynchron eingeblendet. Hier aber tönt Taron Egerton selbst in bravouröser Belcanto-Manier. Immerhin lag die Mucken-Messlatte schier unerreichbar hoch.
Weit über 350 Millionen verkaufte Tonträger, unzählige Platin- und Goldauszeichnungen, ein von der Queen persönlich verliehener Adelstitel – Sir Elton John hat in seiner über 50 Jahre währenden Karriere Unglaubliches vollbracht. Und so wird der Betrachter mit zeitlosen Meilensteinen beeindruckt: „The Bitch is Back" ist zum Beispiel eine Episode vom 1974 edierten Album „Caribou" und bezeichnend für Elton Johns damaliges exzessives Gebaren. Der Text persifliert daher seinen mit Drogen belasteten Lebensstil.
„Your Song" gilt dagegen bei Fans und Kritikern als einer der größten Elton-John-Hits. Dabei war seine erste LP „Empty Sky" Ende der 60er gefloppt, die zweite Single „Your Song" aus der Vinyl-Anthologie „Elton John" landete dafür sowohl in den USA als auch in Großbritannien flugs in den Top Ten. Bernie Taupin schrieb den wunderbaren Text mit gerade einmal 17 Jahren. Der filmtitelgebende „Rocketman" auf dem Album „Honky Château" durchdröhnte 1972 sämtliche Musikkanäle. Abermals war es Taupin, der die herzerweichenden Reime während einer Autofahrt erdachte. Produziert wurde er dann von Gus Dudgeon, der zuvor Pop-Paradiesvogel David Bowie mit „Space Oddity" zum Erfolg führte und nicht ganz zu Unrecht Gerüchte befeuerte, Elton John kopiere diesen trendigen Hype. In Wahrheit aber kaprizierten sich John und Taupin auf die zu jener Ära grassierenden Weltraum-Modewelle, und der Raketenmann sei von der 1951 edierten, gleichnamigen Novelle von Ray Bradbury maßgeblich beatmet worden. Infantil-magisch wird es dagegen in „Goodbye Yellow Brick Road", ein Ausschnitt vom gleichnamigen Doppelalbum von 1973, das sich auf jene gelbe Ziegelsteinstraße bezieht, die im Ur-Musical „Der Zauberer von Oz" in die Smaragdstadt mit ihren magischen Fantasien führt. Taupins Intention: Zurück zu den Wurzeln, zu simpleren und besonneneren Zeiten.
Stürmische Zeiten erlebte indes dieser Filmcoup schon in seiner Produktionsphase: Ursprünglich sollten Justin Timberlake oder Tom Hardy den Hauptpart besetzen, doch Dexter Fletcher setzte sich mit seinem Protagonisten durch. Der Erfolg gibt ihm Recht: Taron Egerton kann ebenso professionell singen wie schauspielern, das beweisen schon seine Songs für die Erfolgskomödien „Eddie The Eagle" und „Sing". Diese Herkulesaufgabe war jedoch eine gänzlich härtere Nummernrevue, ein zweistündiges Biopic unisono zu begleiten verlangt wesentlich mehr Kraft und Empathie. Die Basis hatten Taron Egerton und Elton John beim gemeinsamen Dreh zu „Kingsman: The Golden Circle" geschaffen. Und der große Meister hatte schon 2012 verkündet, seine bewegte Vita zu verfilmen. Das ist gelungen, aber wie! Bei seiner Premiere schlug „Rocketman" mit einem spektakulären Knall am 16. Mai auf die Canner Croisette ein und löste wahre Begeisterungsstürme aus.