Um Deutschland bis zur Jahrhundertmitte möglichst klimaneutral zu machen, schlagen Experten und Politiker eine Abgabe auf Kohlendioxid vor. Das Aufkommen soll zurückgezahlt werden.
„Merkel ist und bleibt die Klimakanzlerin", jubelt die CDU. Der Grund der Begeisterung: Angela Merkel hat sich auf dem Petersberger Klimadialog, einem einst von ihr selbst initiierten Treffen, zaghaft für Neutralität beim Klima ausgesprochen. Das klang so: „Die Frage ist nicht, ob, sondern wie wir das Ziel erreichen." Das Klimakabinett der Bundesregierung werde demnächst zusammenkommen und beraten, ob man sich der Initiative von neun EU-Ländern einschließlich Frankreichs anschließen könne, so Merkel. Das Ziel lautet: Bis 2050 soll Deutschland (wie andere EU-Länder auch) wenigstens annähernd „treibhausgasneutral" sein. Dabei ist das eigentlich nichts Neues, sondern steht seit Jahren in Konzepten und Strategien der Bundesregierung, von denen es eine ganze Reihe gibt. So heißt es im Klimaschutzplan von 2016, man wolle „bis 2050 weitgehend treibhausgasneutral werden".
Klimaneutralität ist in aller Munde. Der Autozulieferer Bosch strebt sie ab kommendem Jahr an, viele Menschen wollen persönlich etwas tun und kompensieren ihre Flugreisen. Der Clou dabei ist jeweils eine Rechnung: Man schadet dem Klima per Saldo nicht, weil man die Belastung ausgleicht, die man durch den eigenen CO2-Ausstoß verursacht. Das macht man, indem man dafür sorgt, sprich: dafür bezahlt, dass anderswo entsprechend viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre gezogen wird. Etwa durch Aufforstungsprogramme in Teilen der Welt, wo mehr Platz ist.
Ganz Deutschland klimaneutral zu machen erscheint aber doch sehr ehrgeizig. Viele halten es noch immer für utopisch: Immerhin ist Kohlendioxid das unvermeidbare Ergebnis jeder Verbrennung – und Verbrennung ist noch immer die Grundlage eines Großteils der Stromerzeugung und vieler industrieller Fertigungen. Ebenso laufen über 99 Prozent aller Auto-Motoren als „Verbrenner" und die meisten Heizungen in Deutschland.
Alle wollen klimaneutral sein
Optimisten dagegen verweisen auf die bisherigen Erfolge in Sachen Energieeinsparung und Energieeffizienz und vor allem auf die erneuerbaren Energien. Mit dem „sauberen" Strom aus Sonne und Wind lassen sich verbrennungslos Kraft und Wärme erzeugen. Wenn immer mehr Menschen mit E-Autos fahren und mit elektrischen Wärmepumpen heizen, könnte das Ziel eines Tages doch erreicht werden. Aber schon 2050?
Tatsächlich gibt es beachtliche Fortschritte: So ist der Treibhausgasausstoß in Deutschland seit 1990 um 30,8 Prozent gesunken. Ein ursprüngliches Ziel, bis 2020 um 40 Prozent weniger in die Atmosphäre zu pusten, wird zwar verfehlt – aber immerhin. Die Richtung stimmt und das Jahr 2018 war nach ein paar enttäuschenden Vorjahren erstaunlich: Der Treibhausgasausstoß ging in Deutschland innerhalb eines Jahres um 4,5 Prozent zurück.
Dennoch waren die Erfolge bislang sehr einseitig. Während Kraftwerke und Industrieunternehmen deutlich weniger in die Luft blasen als früher, gilt das für die privaten Haushalte kaum und für den Verkehr schon gar nicht. 2018 kamen kam aus den Auspuffen von Pkws und Lkws (der Rest spielt kaum eine Rolle) genauso viel CO2 wie 1990. Während Kraftwerke und Industrie beim europäischen Emissionshandel dabei sind und für „Dreckschleudern" bezahlen mussten, gilt das für Heizungen und Fahrzeuge nämlich nicht. Darum ist der Druck groß, dass auch die „Sektoren" Haushalte und Verkehr, wie es im Beamtendeutsch heißt, sauberer werden. Der Entwurf für ein Klimaschutzgesetz, den Umweltministerin Svenja Schulze im März vorgelegt hat, besagt genau das: Alle Sektoren sollen ihren Beitrag leisten, und die einzelnen Ressorts sollen für „ihre" Sektoren verantwortlich werden. Verantwortlich zu sein hieße: Minister bekämen quasi politische Knöllchen, müssten also Strafe zahlen, wenn sie nicht mitspielen. Was ungewöhnlich ist und prompt den Widerstand der CDU provoziert hat: Schließlich sind es doch der Finanzminister und vor allem der Bundestag, die über den Haushalt und dessen Aufteilung zu entscheiden haben. Uwe Nestle, Geschäftsführer des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), hält den Ansatz dennoch für richtig: „Um das Paris-Abkommen zu erreichen und die Erderhitzung auch nur halbwegs zu begrenzen, müssen alle Minister ran", fordert er. Ihnen durch Sektorziele und drohende finanzielle Einbußen einen ökonomischen Anreiz zu setzen, sei daher sehr sinnvoll. „Sie können so entscheiden, was sie machen wollen: Klimapolitik oder Geldentzug. Diese Strategie verbindet die Zuweisung von Verantwortung mit einem hohen Maß an Freiheit für alle Ministerien."
Die Schülerdemos von „Fridays for Future" haben wohl einen großen Anteil daran, dass erstmals seit zwei Jahrzehnten in Deutschland wieder ernsthaft darüber gesprochen wird, mit welchen Anreizen man bei täglichen politischen Entscheidungen den Klimaschutz stärken könnte. Der Weg über den Geldbeutel liegt nahe. Und es weht ein frischer Wind: Noch im Januar hatte ein Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium eine CO2-Steuer für die aktuelle Legislaturperiode ausgeschlossen, denkbar sei so etwas erst nach der nächsten Bundestagswahl. Doch nun kommt plötzlich Fahrt in die Debatte.
Diskussion um Höhe der Steuer
Die Idee hinter der Steuer: Wer Kohlendioxid erzeugt, soll dafür mehr zahlen, damit er es sich überlegt, wie er dessen Ausstoß senken kann. Nur aus der FDP hieß es, dies sei nicht „marktwirtschaftlich". CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist wohl auch eher gegen diese von „Denkfaulheit" geprägte Idee. „Manche mögen überrascht sein, aber eine CO2-Steuer zählt zu den marktwirtschaftlichen Instrumenten", sagt dagegen Eric Heymann, Volkswirt bei der Deutschen Bank. „Eine solche Steuer wäre aus ökologischer und ökonomischer Sicht dem bisherigen Sammelsurium aus Subventionen und Geboten, Verboten, Grenzwerten und Quoten überlegen." Ein Problem allerdings sieht Heymann: „Die Steuer trifft die Ärmeren, gemessen an ihrem Einkommen, stärker als die Reichen, obwohl diese pro Kopf mehr CO2 emittieren." Entscheidend ist daher, dass es eine Rückzahlung geben muss. Autopendler und Besitzer von Ölheizungen zahlen dann trotzdem mehr, Umweltbewusste aber könnten per Saldo sogar besser wegkommen.
Wie hoch soll die Steuer aber nun sein? Die Umweltministerin hat „so 30 bis 40 Euro" pro Tonne CO2 vorgeschlagen. Die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie fordert dagegen 180 Euro pro Tonne, die meisten anderen Vorschläge liegen dazwischen. Die Höhe der Steuer ist entscheidend: Ist sie zu hoch, könnte CSU-Verkehrsminister Scheuer auch in Deutschland Gelbwestenproteste befürchten. Ist die Steuer aber zu niedrig, verkommt sie zum Klima-Feigenblatt ohne echte Wirkung.
Den wohl am besten durchdachten Vorschlag hat nun der Thinktank Agora in Berlin vorgelegt: Eine Tonne CO2 soll 50 Euro Steuer kosten. Der Liter Benzin würde dann 11,8 Cent teurer werden, rechnen die Fachleute vor, der Liter Heizöl 13,3 Cent. Wer seinen 2.000 Liter-Tank einmal im Jahr füllt, müsste dann 266 Euro im Jahr mehr bezahlen. Dafür soll jeder dann pauschal 100 Euro pro Jahr pro Kopf zurückbekommen – der Staat käme auf Null heraus, Klimaschützer würden belohnt. Der Steuerbetrag soll zudem von Jahr zu Jahr steigen. „Wir haben mit unserem Konzept eine Kabinettsvorlage für die Umweltministerin vorbereitet", sagte Agora-Energiewende-Direktor Patrick Graichen selbstbewusst – sein Thinktank hat das Ohr der Regierung. Sein stärkstes Argument: Wenn Deutschland seine Klimaziele gegenüber der EU ab dem Jahr 2021 verfehlt, drohen im Laufe des nächsten Jahrzehnts Strafzahlungen zwischen 30 und 60 Milliarden Euro. Graichen rät: „Das Geld sollte besser hierzulande investiert werden, als Investition in künftigen Wohlstand und ein gutes Leben in Deutschland."