Nach dem olympischen Silber hat sich die Deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bei der WM teuer verkauft.
Eishockey ist in Deutschland wieder „in". Zumindest wenn es um große Turniere geht. Das Viertelfinal-Aus bei der Weltmeisterschaft gegen Tschechien sahen 1,5 Millionen Menschen. Und die waren durchaus angetan, von dem, was sie im Fernsehen sahen. Die Kommentatoren übrigens auch. Die beiden Sport1-Reporter Basti Schwele und Rick Goldmann äußerten sich positiv zum Verlauf des Turniers. „Richtig starke WM! Hat sehr viel Spaß gemacht! Danke dafür", schrieb der stolze Goldmann. „Danke für ein großes Turnier – ihr habt den besten Sport der Welt wieder perfekt repräsentiert", sagt Schwele.
Dennoch: Die Ansprüche sind gestiegen. Gleich in seinem ersten Turnier als Bundestrainer hat Toni Söderholm dem Nationalteam eine Siegermentalität eingeimpft. „So frustriert wie nach dem 1:5 (0:0,1:1,0:4) gegen Tschechien in Bratislava war eine Auswahl des Deutschen Eishockey-Bunds (DEB) niemals zuvor nach dem Aus in einem WM-Viertelfinale", stellte dann auch das Fachmagazin „Kicker" fest: „Wir wollten alle mehr. Wir wollten alle zeigen, dass wir unter die Top Vier gehören", sagte der neue DEB-Star Moritz Seider. Anders als oftmals zuvor war Deutschland nicht mit viel Glück und aufgrund einer günstigen Auslosung in die Runde der letzten Acht gerutscht. Das Team gewann fünf seiner sieben Gruppenspiele. „Wir sind nicht weit weg", sagte Bundestrainer Toni Söderholm. Mit dem Turnier sei „ein Grundstein gelegt", und dennoch erachtete er das Tschechien-Spiel als „verpasste Möglichkeit", deswegen „sollte es auch ein bisschen wehtun und motivierend sein für die Zukunft", so Söderholm gegenüber „Spiegel Online". Das Portal schreibt davon, dass es einhellige Expertenmeinung sei, dass die deutsche Mannschaft 2019 offensives Potenzial bietet wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Das Eishockey hat sich in den vergangenen zehn Jahren nachhaltig verändert", sagt Rick Goldmann, ehemaliger Nationalspieler und seit 2008 als Sport1-Moderator der deutsche Eishockey-Erklärer. Schnelligkeit und Wendigkeit seien nun wichtigere Kriterien als Größe und Masse.
„Ein bisschen soll es wehtun"
Doch nach dem Olympia-Silber im Vorjahr und dem guten Abschneiden in diesem Jahr ist längst nicht alles Gold, was glänzt im deutschen Eishockey. So gilt das Verhältnis zwischen dem finnischen Bundestrainer und dem NHL-Star Leon Draisaitl als nicht spannungsfrei. Draisaitl reagierte verschnupft auf die öffentliche Aussage Söderholms nach dem Vorrunden-Spiel gegen die USA (1:3). „Leon kann auf alle Fälle besser in der Defensive arbeiten. Ich denke nicht, dass das ein Geheimnis ist", hatte der finnische Bundestrainer gesagt. Anders als in Edmonton ist auch seine Defensivarbeit beim Nationalteam vonnöten. Natürlich habe man durch Draisaitl einen „Qualitätszugewinn", meinte Sportdirektor Stefan Schaidnagel. „Dennoch müssen wir uns immer übers Kollektiv verstehen." Doch genau diese Leistungsdichte vermisst Draisaitl offenbar. Er kritisierte bereits im Vorfeld der WM die Ausbildung der deutschen Talente: „Die jungen Spieler bekommen keine wirkliche Chance, auch mal offensiv zu spielen", sagte der Stürmer der Edmonton Oilers dem „Kicker". „Wenn du dir die Schweden anguckst, die Finnen … sobald die ein bisschen was können, spielen die in der ersten Mannschaft. Mit der Betonung auf spielen." Draisaitl war als Teenager in eine kanadische Juniorenliga gewechselt. „Wir sind mittlerweile in Deutschland zwar auf einem besseren Weg, aber noch lange nicht da, wo wir hinmüssen", sagte der 23-Jährige über die Förderung der Talente in Deutschland.
Immerhin: Die Entwicklung von Moritz Seider gibt Anlass zur Hoffnung. Der 18-Jährige gehört zu vielen Gewinnern, die unter Söderholm auf internationalem Niveau den nächsten Schritt gemacht haben. „Wir haben einen ersten Grundstein gelegt. Wie sich die Jungs über die zwei Wochen noch entwickeln können, hat mich überzeugt", sagte Söderholm. Die Saison verlief für den gebürtigen Thüringer, der als Schulkind das Elternhaus in Erfurt verließ, um aufs Jungadler-Internat in Mannheim zu wechseln, so spektakulär wie sorgenfrei. Alles, was er sich vornahm, glückte im Handumdrehen. „Wir sollten alle sein Spiel genießen", sagte Söderholm nach dem 4:1-Vorrundenerfolg gegen Frankreich. Wieder hatte der Jüngste der Gruppe eine herausragende Vorstellung gezeigt – und einen ganz besonderen Treffer erzielt: Als erster 18 Jahre alter Verteidiger seit dem Finnen Reijo Ruotsalainen 1978 traf er zweimal bei einer WM. „Er kann sich noch überall verbessern, aber wir reden über einen sehr guten Eishockeyspieler", sagte Söderholm. Doch Seider ist eher eine Ausnahme in Deutschland, auch wenn er mit Draisaitl und Dominik Kahoun das neue Gesicht der Nationalmannschaft bildet.
Nach wie vor gibt es strukturelle Probleme im deutschen Eishockey. Lange lag die Nachwuchsförderung brach. Erst seit einigen Jahren gibt es neue Konzepte und Investitionen. „Prompt stimmen die Ergebnisse: U18 und U20 sind diese Saison jeweils in die A-WM aufgestiegen. Die große Aufgabe wird es nun sein, den Talenten Eiszeit in der Liga zu garantieren. Jahrelang gab es die kaum. Weil sich die Clubs vor allem über Ticketverkäufe finanzieren, ging es stets um den kurzfristigen Erfolg", analysiert der „Spiegel". Da riskierte es kaum ein Manager, auf die Jugend zu setzen und ihr Fehler zuzugestehen. Lieber wurde noch ein erfahrener Mann verpflichtet. Mittlerweile hat auch die Liga reagiert und Quoten für U23-Spieler eingeführt, die jedes Jahr steigen. Bald könnten die 14 DEL-Clubs rund 70 Arbeitsplätze für junge deutsche Eishockeyspieler bereithalten müssen, die es ohne die neue Regel nicht gegeben hätte.
Gestiegene Ansprüche
Seider zeigt nun, dass dieser Weg funktionieren kann. „Seine Zukunft wird sehr gut, da bin ich mir ziemlich sicher", sagte Söderholm über das größte deutsche Talent, das im Gegensatz zu Draisaitl in ganz jungen Jahren auch schon neben dem Eis klar und nicht minder ehrgeizig auftritt. Seider war nach dem gleichaltrigen finnischen Stürmer Kaapo Kakko das vielversprechendste Talent der gesamten WM. Und auch Mannheims Markus Eisenschmid überzeugte im Sturm nachhaltig und dürfte in der kommenden Saison in der NHL spielen.
Klar ist: Das Anspruchsdenken ist in Deutschland stark gestiegen. „Diese Spiele muss man spielen, um auch zu wissen, wie man sie gewinnt. Ich denke, es war auch eine Lektion für uns", sagte Kapitän Moritz Müller nach dem Viertelfinal-Aus gegenüber der Deutschen Presseagentur. Der Anspruch ist da, künftig nicht nur in der K.o.-Runde mit den Großen mitzuspielen, sondern zu gewinnen. Sätze wie vom jungen Abwehrtalent Seider wären früher undenkbar gewesen: „Es sind nur noch acht Mannschaften im Rennen. Ich denke, jeder hat eine gute Chance, Weltmeister zu werden. Davon träumt man natürlich."
Sinnbildlich für den deutschen Aufstieg steht neben Draisaitl der zweite deutschen NHL-Star Dominik Kahoun. Der 1,80 Meter große Offensiv-Mann galt lange als zu klein, hat die Pessimisten eines Besseren belehrt: Mittlerweile verdient der 23-Jährige sein Geld als Mitglied des Starensembles der Chicago Blackhawks in der NHL.
Gemeinsam mit Edmonton Oilers-Akteur Draisaitl soll er das Gesicht des derzeitigen Weltranglistenachten nachhaltig prägen: Das Duo, beide Jahrgang 1995, verbindet eine gemeinsame, prägende Vergangenheit. In der Nachwuchsakademie der Jungadler Mannheim schossen sie einst die U 18 des aktuellen Meisters im Gleichschritt zum Titel: Kahun brachte es auf 57 Punkte in den 36 Einsätzen, Draisaitl auf einen weniger. „Wir dürfen es nicht von einigen Spielern abhängig machen. Wir sind nicht die größeren Nummern, nur weil wir in der NHL spielen", sagte der 23-Jährige während des Turniers. Sie beendeten die WM in der Slowakei mit fünf Siegen und drei Niederlagen prompt auf Platz sechs, so gut wie seit dem Halbfinal-Einzug bei der Heim-Weltmeisterschaft 2010 nicht mehr und haben sich bereits für die Olympischen Spiele 2022 qualifiziert. 15 Monate nach der sensationellen Silbermedaille von Pyeongchang war sie auch eine Bestätigung für die Entwicklung der Mannschaft.