Die kleinen Eilande vor der Küste West Corks liegen nur eine kurze Bootsfahrt vom Festland entfernt und haben allerhand zu bieten: Geschichte, Künstler, leckeres Essen – auf dem Weg trifft man sogar Minkwale und Seehunde.
Skipper Rory drosselt den Motor und zeigt auf einen Schwarm Möwen, der in einiger Entfernung über dem Wasser kreist. „Das ist ein Hinweis darauf, dass sich dort Minkwale aufhalten", sagt er und lenkt das Boot langsam in Richtung der Seevögel. „Wenn die Möwen Minkys sichten, gehen sie davon aus, dass sich in deren Nähe Herings- oder Sardinenschwärme befinden – der Minky ist sozusagen der Food-Scout für die Vögel", erklärt Rory. Wenig später lugt eine hohe sichelförmige Rückenflosse, die Finne, aus dem Wasser. Die Spannung ist groß. Wird sich der Wal in seiner vollen Größe zeigen? Alle Kameras sind auf ihn gerichtet. Die Minuten vergehen. Plötzlich ertönt von der Heckseite her ein klatschendes Geräusch. Ein weiterer Wal ist wie eine Rakete aus dem Wasser geschossen – zu spät, um das Spektakel mit der Kamera einzufangen. Er taucht unter und, wie sein Artgenosse, nicht wieder in voller Größe auf. Wir sind zehn Meilen vor der Küste von Baltimore in Irland und drehen nun ab nach Sherkin Island.
Rund 100 Menschen leben auf Sherkin Island
Die ersten Lebewesen, die uns auf der Insel in der Roaringwater Bay neugierig begrüßen, sind Kühe. Auf dem kleinen Eiland, das wie eine zerschrammte Felsnase aus dem Wasser ragt, leben nur rund 100 Menschen. Ein paar Vieh-, Austern- und Muschelfarmer, Fischer, Imker sowie eine Community aus Künstlern, Schriftstellern und Musikern. Auf einer Anhöhe liegt das lichtdurchflutete Atelier von Majella O’Neill Collins, einer der bekanntesten Malerinnen West Corks, deren Werke weltweit ausgestellt werden. An den Wänden hängen ihre jüngsten Gemälde, die von der Landschaft und den einzigartigen Lichtverhältnissen der Südwestküste inspiriert sind. Der berühmteste Besucher ihres Ateliers war vor einigen Jahren George Clooney. Der Hollywoodstar hatte sich so in die Insel verliebt, dass er überlegte, sich hier ein Haus zu kaufen. Das mit dem Haus überlegte sich der Nachfahre irischer Auswanderer letztendlich anders, „dafür hat er ein Gemälde von mir gekauft, worauf ich sehr stolz bin", sagt Majella. Die Künstlerin ist Initiatorin des Sherkin Island Summer Art Workshops, in dem sie Anfängern und aufstrebenden Künstlern eine Woche lang die Techniken der Malerei beibringt.
Ein paar Kilometer weiter westlich, in der Bantry Bay, liegt Whiddy Island, das gerade mal 22 Einwohner zählt. Im einzigen Pub der Insel, dem „Bank House" am Fähranleger, unterhalten sich die Einheimischen auf Irisch. Teile West Corks gehören zur irischsprachigen Gaeltacht-Region. Pub-Inhaber, Fährenbetreiber und Heimatforscher Tim O’Leary, der auf der kleinen Insel zu Hause ist, führt uns auf den Whiddy Island Heritage Trail. Die Wegweiser sind zweisprachig – auf Irisch und Englisch. Viele Häuser gibt es nicht, hin und wieder kommen wir an Ruinen vorbei. Highlight ist das verfallene alte Schulhaus von 1887, in dem Tim selbst ein paar Schuljahre verbracht und später als Lehrer gearbeitet hat. Seit Langem findet darin kein Unterricht mehr statt. „Am Ende gab es nur noch zwei Schüler, da lohnte sich der Erhalt der Schule nicht mehr", erklärt Tim, der das Gebäude nun renovieren und zum Hostel umbauen möchte. Er erzählt uns viele kleine Anekdoten aus seinem damaligen Schulalltag. Der höchste Punkt der Insel bietet einen herrlichen Blick über die Bantry Bay, Irlands längste Bucht, in der sich die größte Muschelzucht der EU befindet. Ein Teil davon liegt direkt unter uns. In den letzten Monaten des Ersten Weltkrieges diente Whiddy als Stützpunkt für Flugzeuge der US Navy, woran die Überbleibsel eines Schießpulverhauses erinnern. Nach der Inselwanderung wartet im „Bank House" eine Whiskey-Verkostung auf uns. Zur Auswahl stehen Irish Single Cast Whiskeys der Dubliner Teeling Destillerie. Danach werden Muscheln aus der Bantry Bay serviert – was auch sonst.
In Irlands längster Bucht befindet sich die größte Muschelzucht der EU
Am nordöstlichen Ende der Bucht liegt die unbewohnte Blumeninsel Garnish Island. Die kleine Fähre in Glengariff am Ring of Beara setzt alle 30 Minuten zur Insel über. Auf der 15-minütigen Fahrt kommen wir so nahe an Robbenbänken vorbei, dass wir den Tieren, die uns neugierig begutachten, direkt in die Augen sehen können. Hinter uns lugt auf einem Hügel zwischen Bäumen die einstige Villa des in Irland geborenen Hollywoodstars Maureen O’Hara hervor. Auf Garnish Island erwarten uns ein subtropisches Blumenparadies mit italienischen und japanischen Gärten, Statuen, Säulengängen, griechischem Tempel, Lilienteich, fantastischen Spazierwegen unter exotischen Bäumen und das prächtige Haus des einstigen Inselbesitzers John Annan Bryce. Der schottische Politiker erwarb die Insel 1910 vom britischen Kriegsministerium als Rückzugsort und verwandelte sie mit dem Landschaftsarchitekten Harold Peto in das, was sie heute ist. Häufige Gäste waren seinerzeit die Schriftsteller George Bernard Shaw und George William Russell. Die Räume im Haus sind noch im Originalzustand und dürfen während einer Führung besichtigt werden. Bryces Sohn Roland vermachte die Insel 1953 dem irischen Staat. Aus dem Rückzugsort wurde eine Touristenattraktion, in der man Ruhe vergebens sucht – zumindest während der Hochsaison. Aber wie es dort duftet und welch idyllische Plätzchen man findet! So ein Inselchen für sich allein, fernab aller Hektik, das wäre nicht schlecht. Auf der Rückfahrt sehen wir am Rande der Insel zwei Seeadler auf einem Baum. Sie leben seit 2016 auf der Insel und waren die ersten, die in 125 Jahren in West Cork gesichtet wurden.
Ein leichter Wanderweg mit grandiosem Blick auf Meer und Klippen
Über die Panoramaküstenstraße Ring of Beara fahren wir ins 33 Kilometer entfernte Castletownbere und nehmen die Autofähre nach Bere Island. Die Insel liegt direkt am Eingang zur Bantry Bay. Auf Irisch ist ihr Name kaum auszusprechen: „An t’Oileán Mór Oileán Béarra" (die große Insel vor der Beara-Halbinsel). Im irischen Freiheitskampf gegen die Briten spielte die Insel seit dem 18. Jahrhundert immer wieder eine Rolle. Zur Unterstützung der geplanten Rebellion der United Irishmen landete hier 1796 eine französische Flotte, woraufhin die Briten vier Martello-Türme und Kasernen auf Bere Island errichteten. Während des Irischen Unabhängigkeitskrieges (1919-1921) wurden auf der Insel Kämpfer der Irisch-Republikanischen Armee interniert. Nach der Teilung des Landes 1921 dauerte es noch mehr als zehn Jahre, bis die Briten Bere Island verließen.
Es gibt auf der 200 Einwohner zählenden hügeligen Insel außer alten Kanonen und Militärunterständen zwar keine großen Sehenswürdigkeiten, aber einen leicht zu bewältigenden Wanderweg, den Fort Loop Walk, der einen grandiosen Blick auf Meer und Klippen bietet. Ewig möchte man hier stehen und auf die grasbewachsenen Klippen hinunterschauen. Nach der Wanderung essen wir frisch gebackenes Sodabrot im kleinen Inselladen Murphy’s, der Supermarkt, Post und Café in einem ist. Hier erfahren die Insulaner den neuesten Inselklatsch. Murphy’s hat es sogar schon mal in die Nachrichten des nationalen Fernsehsenders RTE (Raidió Teilifís Éireann) geschafft. Irgendjemand hatte 2017 einen Tippschein für die Lotterie „Euro Millions" in dem kleinen Laden gekauft und prompt 500.000 Euro gewonnen. Ob der Gewinner ein Insulaner war, ist nicht bekannt. Er oder sie hat sich nicht geoutet. „Wir sind aber ungeheuerlich stolz darauf, dass der Tippschein hier auf unserer kleinen Insel abgegeben wurde", sagt Mary Murphy und ist sich insgeheim sicher, dass der- oder diejenige auf der Insel lebte. Mittlerweile aber vielleicht nicht mehr.