Neil Young wird im November 74 Jahre. Leiser wird er deswegen aber nicht. Stattdessen geht er zusammen mit Promise Of The Real auf Tour. Am Mittwoch, 3. Juli, 18.30 Uhr, zeigt er sein musikalisches Können auf der Berliner Waldbühne und am Freitag, 5. Juli, um 19 Uhr in der Mannheimer SAP-Arena.
Man braucht wirklich außerordentlich viel freie Zeit, wenn man sich akribisch durch die Veröffentlichungsflut dieses Song-, Saiten-, Tasten- und Mundharmonika-Magiers durchhören will. „Je oller je doller" lautet definitiv das Motto der aktuellsten Karrierejahre von Neil Young. Nun denn, dem Fan darf’s recht sein – gleichwohl ihm womöglich nicht alles, was dabei ans Tageslicht gefördert wird, seinen – ja berechtigterweise – allerhöchsten Ansprüchen genügen mag. Zäumen wir das Pferd nun ausnahmsweise einfach mal von hinten auf – sozusagen aus der Zukunft.
Im „Frühherbst" wird mit „Pink Moon" ein brandneues Album von Neil Young mit seiner klassischsten, vertrautesten, genialsten aller Begleitbands Crazy Horse erscheinen. Aufgenommen wurden die vermutlich elf neuen Tracks in den Rocky Mountains auf 2.800 Meter Höhe. Es sind also durchaus neue Höhenflüge zu erwarten. An der Rhythmusgitarre wird man Nils Lofgren hören, der für den in den Ruhestand verabschiedeten Frank „Poncho" Sampedro eingestiegen ist. „Pink Moon" soll angeblich deutlich mehr rocken als das 1992er-Album „Harvest Moon", auf dessen Titel sich das neue Werk ja explizit bezieht. Vielleicht werden wir daraus etwas auf der bevorstehenden Tour – die ihn Anfang Juli nach Dresden, Berlin, Mannheim und München führen wird – hören. Vielleicht aber auch nicht. Wir wissen: Das Repertoire des Künstlers ist gigantisch, seine Spontaneität ebenfalls und die Lust, Setlists lässig von Abend zu Abend zu tauschen sowieso. Selbst Insider werden sich bei den Deutschland-Konzerten wohl überraschen lassen müssen.
Setlists werden schon mal von Abend zu Abend getauscht
Doch zurück in die Zukunft. Am 14. Juni kommt mit „Turn Off The News (Build A Garden)" das neue Album von Lukas Nelson & Promise Of The Real in die Läden – und ins Netz. Diese Combo um den Spross der legendären Country-Ikone Willie Nelson hat Neil Young in den letzten Jahren häufig begleitet, mit ihm zwei Studio-Alben („The Monsanto Years", 2015, „The Visitor", 2017), ein Live-Album („Earth", 2016) und einen Soundtrack („Paradox", 2018) eingespielt. Man weiß, dass die Chemie des Fünfers mit dem kanadischen Vorbild extrem gut passt (Zitat Young: „Der Vibe ist perfekt"), dass sie sich also auf der Bühne gegenseitig zu Höchstleistungen anzustacheln vermögen. Und wie gut sich Lukas Nelson (Leadgitarre), Anthony LeGerfo (Schlagzeug), Corey McCormick (Keyboards, Lap Steel, Gitarre), Logan Metz (Bass) und Tato Melgar (Perkussion) auch in den Song-Klassikern aller Phasen, nicht zuletzt jenen mit Crazy Horse, zurechtfinden, ist nicht nur unter Neil-Young-Verehrern bekannt.
2018 sah drei offizielle Veröffentlichungen, die sich an die Gemeinde wandten: den Soundtrack zu „Paradox", jenen Film, den Youngs neue Ehefrau, die Schauspielerin Daryl Hannah („Kill Bill", „Blade Runner") während einer Tour drehte. Wir finden darauf hübsche bis genialische Saiten-Improvisationen und ein paar großartige Neueinspielungen bekannter Hits („Pocahontas", „Angel Flying Too Close To the Ground"). Den skurrilen Quasi-Western gibt’s übrigens bei Netflix.
Lohnender aber noch sind mit „Songs For Judy" und „Roxy: Tonight’s The Night Live" zwei Alben, die auf sehr altes Live-Material zurückgreifen – Ersteres auf Solo-Performances von 1976, Letzteres auf die 73er-Tour zum wohl düstersten (gewiss aber auch einem der allerbesten) Werke des Meisters. Scrollt man durchs Netz und liest Kommentare zu derartigen Rückschau-Alben, findet man Sätze wie: „Man fragt sich, warum noch mal ‚Heart Of Gold‘, ‚Harvest‘ oder ‚Love Is A Rose‘ und weiß natürlich die Antwort: Fans wie ich kaufen das und entdecken Feinheiten." So ist es. Der Kenner dringt halt gerne tief in die Materie. Und spricht anschließend darüber. Mit Gleichgesinnten. Weitere Musik findet derjenige, dem diese Klang-Flut noch nicht genügt im unglaublich umfangreichen Online-Archiv des Künstlers.
Das Jahr 2017 hatte mit „The Visitor" das zweite Studioalbum mit Promise Of The Real zu bieten. Mithin ein Werk, das dem fulminanten Erstling von 2015 „The Monsanto Years" bezüglich Songsubstanz und Leidenschaft eindeutig unterlegen war. Ein Rückblick auf vergangene Tage durfte mit „Hitchhiker" selbstverständlich auch nicht fehlen: Fans liebten diese spartanischen, 1976 eingespielten Versionen von „Powderfinger", „Campaigner" und „Captain Kennedy" vom Fleck weg und freuten sich darüber hinaus an zwei bislang unveröffentlichten Songs.
2016 erschien mit „Peace Trail" ein ganz ordentliches Studioalbum und das Titelstück war einer der raren Tracks mit Klassiker-Format. Weshalb „Peace Trail" seither regelmäßig im Liverepertoire des Künstlers auftaucht. Auf „Earth" fackelte Neil Young mit der Lukas-Nelson-Combo eine youngtypische Live-Sause ab. Es ist ein Live-Best-of der Spitzenklasse.
Zoom nach 2012. In jenem Jahrgang erstrahlte mit dem Doppelalbum „Psychedelic Pill" das für viele Anhänger beste Neil-Young-Studioalbum der letzten drei Jahrzehnte. In etlichen Kritiker-Jahresendlisten war das Meisterwerk ganz oben zu finden. Die dazugehörige Tour war ein Manifest des Rock’n’Rolls. Selbst gestandene Männer hatten Tränen in den Augen.
Dieser Zeitstrahl könnte natürlich getrost bis in die 60er-Jahre zurückverfolgt werden: zu Crosby Stills Nash & Young, zum 68er-Debüt oder gar bis zu Youngs erster Band „The Squires". Wir verzichten darauf, erwähnen aber noch, dass unser Mann 1995 endlich auch in die Rock-’n’-Roll-Hall-of- Fame aufgenommen wurde.
Spekulationen über das, was auf der Tour geboten wird
Ja, aber was wird uns denn nun auf der bevorstehenden Tour von Neil Young mit Promise Of The Real erwarten? Tja, wie schon erwähnt: Es darf heiter spekuliert werden. Geben Liveauftritte des laufenden Jahres vielleicht Aufschluss? In Vancouver hat Neil Young eine Solo-show mit zur Hälfte unveröffentlichtem Material gespielt, in Winnipeg gab es an zwei Konzertabenden nur wenige Überschneidungen: „Winterlong", „Cortez The Killer" und „Hey Hey My My (Into The Black)" wurden sowohl am 3. als auch am 4. Februar dargeboten, das meiste jedoch nicht. Und bislang kaum jemals Live-Gespieltes wurde regelmäßig zwischen die Klassiker gestreut. Der Schwerpunkt lag auf „Ragged Glory" (vier Songs), „Zuma" und „Tonights The Night" (mit je drei Liedern). All das ist fürwahr spannend, keine Frage, aber jetzt gilt wirklich: Halt. Stop. Wir werden es eh nicht herausfinden. Tipp: Man bucht einfach ein Ticket und freut sich auf mindestens zwei unvergessliche Stunden. Ganz nach dem Motto: „Hey Hey, My, My, Rock’n’Roll Will Never Die"!