Knapp 20 Prozent in der Landeshauptstadt. Dort wie in den meisten anderen Städten und Gemeinden führt kein Weg mehr an den Grünen vorbei. Landeschef Markus Tressel über Herausforderungen für die Kommunen, grüne Ideen für lebendige Ortskerne und Stellschrauben für die Zukunft.
Herr Tressel, nach dem Erfolg bei den Kommunalwahlen kommt es in vielen Räten auf die Grünen an. Wohin geht die Reise?
Die Grünen sind an vielen Stellen jetzt das Zünglein an der Waage, und die Grünen haben jetzt auch die Chance, kommunal viel in den Themen Klimaschutz, Artenschutz umzusetzen. Das ist für uns auch eine Chance auf dem Weg zurück in den Landtag, der wird uns über die Arbeit in den Kommunen zurückführen.
Rechnerisch stehen den Grünen vielerorts Jamaika oder rot-rot-grüne Bündnisse offen. Gibt es eine Präferenz?
Grundsätzlich treffen natürlich die Leute, die vor Ort im Rat sind, die Entscheidung, mit wem es zu einer Zusammenarbeit kommt. Wir geben da keine Ratschläge von Landesebene. Wir beraten inhaltlich über die Themen, die wir umsetzen wollen. Vor Ort gibt es da jeweils auch eigene Programme. Letztendlich hängt es von Inhalten ab. Wer mit uns regieren will, auch auf kommunaler Ebene, wird sich in den nächsten fünf Jahren deutlich stärker bewegen müssen als in vergangenen Zeiten.
Im Wahlkampf war ein zentrales Thema „Kommunale Klimapolitik". Was muss man sich darunter vorstellen, wenn man gleichzeitig etwa auf Bundesebene hört, das mache nur Sinn, wenn es mindestens auf europäischer Ebene Verabredungen gibt?
Klimapolitik beginnt auf der kleinsten politischen Ebene, in den Kommunen. Die Kommunen machen beispielsweise Flächenplanungen. Was wir vor einem Jahr gesehen haben, dass der Klimawandel plötzlich mit Starkregenereignissen zuschlägt wie in Kleinblittersdorf, Bliesransbach und anderen Orten, das kann man nicht auf kommunaler Ebene verhindern, aber man kann auf kommunaler Ebene gestalten. Man muss überlegen: Wie viele Flächen versiegeln wir? Welche Mobilität bieten wir an? Setzen wir immer noch stark auf Individualmobilität oder stärker auf klimaschonende Mobilität innerhalb der Gemeinden? Dazu kommt die Ansiedlungspolitik: Was siedele ich vor Ort an, brauche ich ein neues Gewerbegebiet oder kann man nicht interkommunal zusammenarbeiten, um gemeinsam bereits versiegelte Flächen zu nutzen? Oder Artenschutzpolitik: Die Kommunen sind im Saarland ein großer Waldbesitzer, ein Ackerflächenbesitzer, ein Pachtflächenbesitzer. Die Kommunen haben also Stellschrauben und sind deshalb ein wichtiger Player.
Sie versuchen seit Jahren das Thema lebendige Ortskerne voranzutreiben. Es sieht so aus, als gäbe es in dieser Frage ein Umdenken.
Auf Bundesebene diskutieren wir, wie wir den ländlichen Raum fördern wollen. Viele Menschen haben ja das Gefühl, abgehängt zu sein etwa von Mobilität. Wir haben die Debatte über Nahversorgung. Und wir haben die Frage danach, wie wir eigentlich in Zukunft arbeiten. Zu Hause arbeiten wird beispielsweise entscheidend sein für die Attraktivität ländlicher Räume. Und wir werden über kurz oder lang eine Debatte über medizinische Versorgung im ländlichen Raum bekommen. Der Ministerpräsident hat ja kurz vor der Wahl gesagt, mit einer Saarland-App könne man das ein oder andere lösen. Richtig ist, dass die Digitalisierung eine Rolle spielen wird, aber sie wird am Ende nicht den Arzt vor Ort ersetzen können, weil die Menschen direkte Ansprache brauchen. Die App wird beim Thema Mobilität helfen, aber sie wird nicht per se Mobilität herstellen. Deshalb müssen wir im Saarland über ein ganzes Maßnahmenpaket diskutieren. Digitalisierung im ländlichen Raum ist absolut wichtig. Wir müssen über die medizinische Versorgung reden. Stichwort Krankenhaus Wadern: Dort hat man einem großen Teil des Saarlandes eine stationäre medizinische Versorgung weggenommen. Die Menschen fühlen sich abgehängt. Und wir müssen den ländlichen Raum wieder attraktiver machen für junge Familien, etwa über eine Rückkehreragentur. Andere Bundesländer machen das, helfen beispielsweise bei der Suche nach Kitaplätzen und vielem anderen mehr. Da muss man deutlich flexibler sein. Es gibt, aus meiner Sicht, keinen konsistenten Plan der Landesregierung oder der Landkreise.
Wo würden Sie jetzt in den Räten konkret ansetzen?
Etwa bei der Flächenpolitik. Wir haben jahrelang eine Flächenpolitik betrieben, die unsere Ortskerne leergezogen hat, und jetzt beschweren wir uns darüber, dass im Ortskern kein Geschäft mehr ist. Wir müssen Ortskerne zu den neuen sozialen Zentren demografischer Entwicklungen machen. Eine alternde Gesellschaft wird andere Angebote brauchen in den Ortskerne als die, die wir früher hatten. Da muss auch endlich eine Landesentwicklungsplanung auf den Tisch, die sagt, wir wollen keine Großansiedlungen mehr auf der grünen Wiese sondern unsere Ortskerne stärken. Das gilt auch für das Thema Wohnen.
Das Dilemma von Leerständen in den Ortskernen ist ja nicht neu, den Gemeinden fehlen oft Möglichkeiten, einzugreifen. Was sollen sie tun?
Die Gemeinden müssen sich etwa überlegen, brachliegende Flächen aufzukaufen. Sie haben über ihre Bauleitplanungen durchaus Eingriffsmöglichkeiten. Das Wichtigste wäre zunächst einmal das Signal: Wir erschließen keine Neubaugebiete mehr, sondern versuchen, unsere Ortskerne zu stärken, Baulücken zu schließen, die im Zweifel auch mit Baugeboten belegen. Es geht dabei auch um das Zusammenleben im Dorf – was ja junge Familien heute wieder verstärkt suchen. Dafür muss ich ihnen aber mehr anbieten als ein Neubaugebiet auf der grünen Wiese und einen Ortskern, der ausblutet.
Auf Bundesebene arbeitet die Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse eben auch mit Blick auf den ländlichen Raum. Kann man da etwas erwarten?
Ich erwarte von dieser Kommission keinen großen Wurf, und zwar deshalb nicht, weil dort zu viele eigene Interessen vertreten werden. Wir waren nicht beteiligt, das Parlament war auch nicht beteiligt. Ich hätte den Wunsch, dass wir zu einem neuen föderalen Fördersystem für Kommunen in strukturschwachen Regionen kommen. Das Saarland hat ja qua Definition keinen „ländlichen Raum", wir haben aber Transformationsprozesse, also Strukturwandel in den Regionen, der vom Bund finanziell begleitet werden muss. Wir haben ein Konzept zur Gemeinschaftsaufgabe regionaler Daseinsvorsorge vorgelegt, die wir in einem ersten Schritt mit über einer Milliarde Euro von Bund und Ländern ausstatten wollen, mit denen wir Entwicklungsprozesse in den Kommunen fördern wollen. Grundlage ist, dass die Kommunen ein Konzept vorlegen, wir also die Kompetenz nutzen, wo sie ist, nämlich vor Ort. Wir werden auch über das Thema Mindeststandards reden müssen, für Digitalisierung, Mobilität, medizinische Versorgung. Diese Mindeststandards werden Bund und Länder mit fördern müssen. Das wäre ein Signal an die Menschen in diesen Regionen, dass man sie nicht zurücklässt. Es ging nicht darum, überall gleiche Verhältnisse zu haben, sondern darum, dass die Menschen überall gleiche Chancen haben.
Das klingt sehr grundsätzlich und allgemein …
… es gibt tolle Beispiele, die das vormachen. Südwestfalen beispielsweise. Die haben eine Agentur gegründet mit dem Ziel, digitale Region zu werden, und die das sehr gezielt steuern, zum Beispiel ist die medizinische Versorgung sehr stark digital ausgerichtet. Gerade in der medizinischen Versorgung brauchen wir neue Modelle weg vom klassischen Hausärzte-Modell – das wollen viele junge Ärzte nicht mehr machen – hin etwa zu Genossenschaftsmodellen, wo Ärzte angestellt sind, und sich nicht um Abrechnungen kümmern muss, auch unter dem Aspekt Work-Life-Balance. Das sind Modelle für die Zukunft, und da sehe ich im Saarland zu wenig Bewegung, zu wenig Flexibilität.