Ein paar Tage im Sommer steht ein kleines thüringisches Städtchen ganz im Zeichen von Weltmusik unterschiedlichster Herkunft. Längst gilt das Rudolstadt-Festival als deutschlandweit gefragte Adresse für Stars und noch unentdeckte Talente.
Erst einmal fremdartig klingt es, was ein kleiner chinesischer Männerchor da auf der großen Bühne am Marktplatz von Rudolstadt anstimmt. Ungewohnt die Art des Gesangs, ein wenig schrill, ebenso wie die instrumentale Begleitung. Ein Freudenlied ist es – zur Geburt eines Kindes – und es dauert nicht lange, bis man sich in diese zunächst so „anders" klingende Form des Freudengesangs eingehört hat.
Fremdes entdecken, sich darauf einlassen – das gilt für viele der Konzerte, die organisiert oder improvisiert im Rahmen des Rudolstadt-Festivals zu hören sind. Egal ob polyphoner georgischer Männergesang aus dem Kaukasus oder die Musik einer albanischen Combo, die endlich wieder die althergebrachten traditionellen Melodien spielen durfte, welche von staatlicher Seite lange verboten waren. Die Gesänge und Tänze der Pygmäen aus den Urwäldern Afrikas – vor einigen Jahren in Rudolstadt zu hören – beeindruckten das Publikum auch, weil es sich um einen Teil einer vom Aussterben bedrohten Kultur handelte. Welche Kraft von Musik ausgeht, welche Bedeutung sie für unsere kulturelle Identität hat, ja, wie politisch Musik ist und sein kann – auch das ist stets Teil des vor Jahrzehnten gegründeten Festivals.
Nun also startet die Ausgabe 2019. „So klingt die Welt – Musik aus allen Kontinenten" – das ist das diesjährige Motto. Dabei reicht das geografische Spektrum von Island bis zu den Osterinseln. Vom 4. bis zum 7. Juli wird in der thüringischen Provinz der musikalische Reichtum aus rund 40 Ländern auf fast 30 Bühnen zu hören sein. Mal in seiner ganz ursprünglichen, traditionellen Form, dann wieder als Crossover. Nach dem Motto: westliche Harmonien oder Jazzelemente gewürzt mit einer ordentlichen Portion Experimentierfreude. Ein Hauch von Woodstock-Feeling bieten die Konzerte im Heinepark, intimer geht es bei kleineren Formaten in Innenhöfen zu. Und rund um die musikalischen Veranstaltungen gibt es noch jede Menge Tanz- und Gesangsworkshops, Künstler-Talks und Gesprächsrunden.
Ein Hauch von Woodstock
Die Geschichte des Festivals reicht zurück bis ins Jahr 1955. Damals fand in Rudolstadt das „1. Fest des deutschen Volkstanzes" statt. Es wurde zu einem DDR-Tanz- und Folklorefest, zu dem zahlreiche Gruppen aus Osteuropa anreisten. Heute ist das Rudolstadt-Festival das größte Folk-Roots-Weltmusik-Festival Deutschlands. Neben Stars wie Amy Macdonald (2017) oder Graham Nash (2018) treten auch viele weniger bekannte Gäste auf – Solisten, kleine Formationen, vielköpfige Ensembles.
Das Auftaktkonzert am 4. Juli steht im Zeichen großer Künstlerinnen des Jazz, Folk und Blues. „Sing The Truth" ist ein Projekt dreier Frauen, die für ihre außergewöhnlichen Stimmen gefeiert werden: Lizz Wright, Angelique Kidjo und Cecile McLoren Salvant. Musikalisch ganz andere Wege schlägt das Herbert Pixner Projekt ein. Das Quartett um den Südtiroler Künstler verbindet eine geradezu irrwitzige Mischung aus Flamenco- und Tangoelementen mit Gypsy-Jazz und rockigen Riffs – und gilt mittlerweile als einer der gefragtesten Acts im deutschsprachigen Raum. Zu den meistgebuchten isländischen Musikern gehört Ólafur Arnalds, der sich musikalisch zwischen Neoklassik, Indie und elektronischen Klängen bewegt. Und seine Kompositionen oftmals mit multimedialen Installationen und Projektionen verbindet. Als neue Gallionsfigur afrobrasilianischer Frauen gilt hingegen Luedji Luna. Die in Bahia geborene Künstlerin lässt den Sound der afrikanischen Diaspora auf Samba-Elemente, auf kubanischen und brasilianischen Jazz treffen – gespickt mit elektronischen Beigaben.
Einen Länderschwerpunkt gibt es bei jeder Festivalausgabe – dieses Mal ist es der Iran. Und da gibt es reichlich musikalische Entdeckungen zu machen.
Neun Ensembles wurden ausgewählt, die die Vielfalt der iranischen Musikszene widerspiegeln. Mal wird an jahrhundertealte Traditionen angeknüpft, mal geht es um Songs, die von aktuellem, politischem Protest getrieben sind. „Das Festival möchte zeigen, dass es im Iran eine lebendige Kulturszene gibt, die sich bemüht, einen eigenen Weg zu finden und sich auch international Gehör zu verschaffen", sagt Programmdirektor Bernhard Hanneken.
Am Eröffnungsabend bringt die Band Damahi eine an Pop orientierte Fusion aus iranischen und weltmusikalischen Genres auf die Bühne. Zu den profiliertesten iranischen Musikern zählt der Komponist, Tar- und Setar-Spieler Hamid Motebassem. Zusammen mit den Thüringer Symphonikern Saalfeld-Rudolstadt präsentiert er sein Orchesterwerk „Pardis". Als Solistin tritt Mahdieh Mohammadkhani auf, eine der bekanntesten Stimmen des Iran.
Schwerpunkt 2019: der Iran
Das aktuelle Programm von Shahin Najafi hingegen ist eine kraftvolle zeitgenössische Melange aus Jazz, Blues, Rock und persischen Volksliedern. Der inzwischen in London lebende Sänger und Gitarrist wurde in Europa vor allem durch sein Buch und den gleichnamigen Dokumentarfilm „Wenn Gott schläft" bekannt. Wegen Todesdrohungen musste er 2012 abtauchen. Damals machten ihn seine zornigen Rap-Songs zur Stimme der iranischen Jugend. Bis heute engagiert er sich mit seiner Musik gegen politischen Terror, religiöse Unterdrückung und Gewalt.
Neu ist in diesem Jahr die zunächst auf drei Jahre angelegte Partnerschaft mit der EBU (European Broadcasting Union). Die feiert den 40. Geburtstag ihres Folk-Festivals – das bisher nie ein festes Zuhause hatte – in Rudolstadt und bringt dafür ausgewählte Musiker an die Saale. In diesem Sommer beteiligen sich 16 EBU-Mitgliedsstaaten mit ausgewählten Künstlern. Aus Finnland beispielsweise kommt die Siba Folk Big Band mit 23 Musikern, aus Weißrussland und Österreich die Akkordeonisten Yegor Zabelov und Otto Lechner. Die zeigen, wie unterschiedlich das traditionelle Instrument gespielt und eingesetzt werden kann.
Dazu reist das Schweizer Husistein-Ensemble mit Tanzmusik des 19. Jahrhunderts an, die avantgardistische Gruppe Polmuz aus Polen dagegen weitet den Folkbegriff ins Experimentelle. Eine Bereicherung für das Rudolstädter Festivalprogramm – die Kooperation mit der EBU soll auch in den kommenden beiden Jahren fortgesetzt werden – Ziel ist eine dauerhafte Zusammenarbeit.
Was aber wären die vier musikerfüllten Tage in Rudolstadt ohne die zahlreichen Workshops? Schließlich sollen die Festivalgäste nicht nur lauschen, sondern auch selbst aktiv werden. Das geht bei Angeboten wie „1969 zum Mitsingen: Woodstock und andere Wunder". Oder beim Produzieren perkussiver Sounds mit Stimme und Körper à la „Body Music & Rhythm Dance". Getanzt werden kann auch – dieses Jahr dreht sich alles um die Bourrée, einen Volkstanz aus der französischen Auvergne.