Als die Menschheit gerade anfing, das Fliegen zu lernen, dachte Konstantin Ziolkowski bereits daran, den Weltraum zu erobern. Der Russe stellte vor über 100 Jahren technische und physikalische Überlegungen zu einem möglichen Raumflug an, die zum Teil bis heute gültig sind. Er gilt als einer der Väter der Raumfahrt.
Es stimmt, die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben. Das Sonnensystem wird unser Kindergarten." So hat es Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski bereits vor fast 150 Jahren formuliert, der bis heute als einer der Väter der Raumfahrt gilt. Zu einer Zeit, als das Fliegen überhaupt erst seinen Anfang nahm und die ersten Flugzeuge und Luftschiffe in größerem Umfang entwickelt wurden, dachte Ziolkowski bereits daran, wie die Menschheit den Weltraum erobern könnte.
Der Russe war ein Visionär und seiner Zeit damit weit voraus. Oder wie es Wjatscheslaw Finajew vor einigen Jahren im „Deutschlandfunk" ausdrückte, ehemals Vertreter der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos in Deutschland: „In seiner Genialität nahm er die Entwicklung der Raumfahrt in den folgenden 100 Jahren bereits vorweg, sei es mit seiner Raketen-Grundgleichung oder mit etlichen technischen Lösungen für die Kosmonautik. Vieles davon ist erst in unserer Zeit praktisch verwirklicht worden. Dass seine Berechnungen, Konstruktionen und Ideen heute in der internationalen Raumfahrt selbstverständlich sind, zeigt, wie herausragend er als Wissenschaftler gewesen ist."
Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski wurde 1857 im Dorf Ischewskoje in Zentralrussland geboren. Nach einer Scharlacherkrankung im Alter von zehn Jahren verlor er für den Rest seines Lebens das Gehör, was ihn jedoch nicht daran hinderte, Lehrer zu werden. Ziolkowski bildete sich zunächst autodidaktisch weiter, später absolvierte er ein dreijähriges Studium der Mathematik in Moskau.
Von 1879 an war er dann in der Stadt Kaluga als Lehrkraft tätig. Parallel beschäftigte er sich schon frühzeitig mit der Raumfahrt. Nicht allen in seinem Umfeld gefiel das. Wiederholt legte man ihm nahe, sich künftig lieber mehr seinen Schülern als seinem verrückten Hobby zu widmen, mit dem damals noch kaum jemand etwas anfangen konnte.
Sein Umfeld hielt ihn lange Zeit für einen verrückten Träumer
Inspiriert wurde Ziolkowski offenbar von den Science-Fiction-Erzählungen Jules Vernes. Er begann daraufhin selbst Geschichten über die Raumfahrt zu schreiben, in denen er zunehmend mehr und mehr physikalische und technische Fragestellungen aufwarf und behandelte. „Erst kommen das Denken, die Fantasie und die Märchen, dann die wissenschaftliche Berechnung", sagte er einmal. Dabei gab es anfangs wie erwähnt kaum Unterstützung. Seine ersten Werke musste er daher noch weitgehend aus eigener Tasche bezahlen. Insgesamt hat Ziolkowski in seinem Leben mehr als 600 Berichte, Aufsätze und Abhandlungen aufgeschrieben. Zum Teil wurde er auch selbst praktisch tätig und kon-struierte etwa 1897 den ersten russischen Windkanal.
Man kann wirklich nur staunen darüber, mit welch komplexen Themen sich Konstantin Ziolkowski bereits um die vorvergangene Jahrhundertwende beschäftigte – und wie nah er dabei an der wissenschaftlichen Wahrheit lag. Etwa beim Thema Schwerkraft. Was die Raumfahrer erst Jahrzehnte später am eigenen Leib erfahren sollten, nahm Ziolkowski bereits vorweg: „Die Schwere hat nicht nur nachgelassen, sie ist spurlos verschwunden. Alle Gegenstände, die nicht in der Rakete befestigt sind, verlassen ihren Platz und schweben in der Luft. Auch wir selbst berühren den Boden nicht und nehmen eine beliebige Lage und Richtung ein: stehen auf dem Boden und auch auf der Decke und auf den Wänden, stehen senkrecht und schräg, schwimmen in der Mitte der Rakete wie Fische, aber ohne Kraftaufwand."
Ziolkowski stellte darüber hinaus unter anderem Überlegungen zu Triebwerken und Raumanzügen an, befasste sich mit Satelliten und Raumstationen sowie mit der Frage, wie der Mensch auch andere Planeten besiedeln könnte. Er entwickelte das Konzept der Mehrstufenrakete, die er damals noch als „Raketenzüge" bezeichnete. In seinem Werk „Die höchste Geschwindigkeit bei Raketen" erkannte er 1935, dass kosmische Geschwindigkeit auf der Erde nur mit einer mehrstufigen Rakete erreichbar sei. Tatsächlich waren später sämtliche moderne Raumschiffträger mehrstufig: die russische Wostok-Rakete, die Apollo-Rakete der Amerikaner oder auch die europäische Trägerrakete Ariane. Zudem konnte er die ideale Flugbahn beim Abstieg eines Körpers auf die Erde berechnen, die bis heute bei der Landung von Raumfahrzeugen verwendet wird. Eine wahrhaft visionäre Leistung, schrieb 2017 die russische Journalistin Jekaterina Alejewa: „Ziolkowski fand heraus, wie man etwas zurückbringt, was damals noch gar nicht existierte."
Als sein größtes Meisterstück gilt jedoch die sogenannte Raketen-Grundgleichung, die er bereits im Jahr 1903 veröffentlichte – in jenem Jahr also, in dem den Amerikanern Wilbur und Orville Wright bei Kitty Hawk in North Carolina der erste bemannte Motorflug der Menschheit gelang. Darin machte Ziolkowski konkrete Angaben zur Bestimmung der Endgeschwindigkeit einer Rakete sowie zur Überwindung der Erdanziehungskraft.
Er konnte theoretisch Dinge zurückbringen, die es noch gar nicht gab
Als Erster war er zu der Erkenntnis gelangt, dass herkömmliche Raketen, auch wenn noch so viel Pulver in ihnen steckt, nie die Energie erreichen können, um die Anziehungskraft der Erde zu überwinden und tatsächlich den Weltraum zu erreichen. Konstantin Ziolkowski schlug deshalb frühzeitig die Verwendung von flüssigen Treibstoffverbindungen vor.
Seine bahnbrechenden Erkenntnisse blieben allerdings lange Zeit unbemerkt. Selbst im eigenen Land wurden seine Leistungen erst nach der Oktoberrevolution 1917 anerkannt, im Ausland noch sehr viel später. Konstantin Ziolkowski starb 1935 in Kaluga, wo heute ein Museum sowie ein Denkmal an seine Pionierarbeit erinnern.
In seinem Testament schrieb Ziolkowski: „Alle meine Arbeiten über das Flugwesen, den Raketenflug und den innerplanetaren Verkehr übergebe ich der Partei der Bolschewiki und der Sowjetmacht – den wahren Führern des Fortschritts der menschlichen Kultur. Ich bin sicher, dass sie dieses Werk erfolgreich zu Ende führen werden".
Tatsächlich schossen die Russen 1957 mit Sputnik 1 den ersten Satelliten in den Weltraum. Vier Jahre später flog der Kosmonaut Juri Gagarin als erster Mensch ins All. Ganz so, wie es Ziolkowski einst vorhergesagt hatte.