Der Mord an Walter Lübcke hat eine Diskussion über politische Verantwortlichkeiten ausgelöst. Sind Parteien und Politiker, die extreme Polarisierung und Diffamierungen betreiben, Hass und Hetze billigend in Kauf nehmen, „Schreibtischtäter"? FORUM hat Argumente für und gegen diese These zusammengestellt.
Pro: Geistige Brandstifter
Was Gerichte zu klären haben ist das eine, was wir als Gesellschaft zu klären haben das andere.
Der Justiz obliegt, über Schuld, Hintergründe und Motive eines oder mehrerer Täter ein Urteil zu finden. Als Gesellschaft haben wir uns mit Fragen zu beschäftigen, die über Juristisches hinausgehen, etwa Fragen der politischen Kultur oder des Umgangs miteinander.Dazu gehört auch, mit Worten sorgfältig umzugehen wie etwa dem schwerwiegenden vom „Schreibtischtäter". Das Wort geht auf die Philosophin Hannah Arendt zurück, die im Zusammenhang mit dem Eichmannprozess von „bureaucracy of murder" gesprochen hat: Personen, die ein Verbrechen planen, aber es andere ausführen lassen. In diesem Sinn ist der enge Begriff für die aktuelle Diskussion nicht hilfreich.
Im übertragenen Sinn stellt sich die Frage nach einem Zusammenhang zwischen sprachlichen Verschiebungen, Parolen, Aufrufen auf der einen und konkreten Taten auf der anderen Seite.Sind also Sätze wie „Der Tag wird kommen, an dem wir alle Befürworter und Unterstützer der Willkommenskultur zur Rechenschaft ziehen" (Uwe Junge, rheinland-pfälzischer AfD-Vorsitzender) der Nährboden, auf dem sich andere aufgerufen fühlen, diesen „Tag" vorzuziehen, selbst in die Hand zu nehmen? Juristisch beweisen lässt sich so etwas (ohne Bekennerschreiben) wohl kaum. Aber scheint es nicht geradezu naheliegend, eine Linie zu ziehen? Das ist schnell getan – und hilft in der eigentlichen Frage nicht wirklich. Es würde nur unzulässig Eindeutigkeiten vermitteln.
Trotzdem gibt es eine gewisse Plausibilität. Wenn bisher aus guten zivilisatorischen Gründen der Selbstbegrenzung Nicht-Sagbares sagbar wird, wird das, was jenseits dieser Grenzen lag, in den Bereich des Normalen hineingezogen. Und dies unter der zunächst harmlos klingenden Formulierung: „Man wird doch noch sagen dürfen …" Die große Errungenschaft der Meinungsfreiheit wird zum Vehikel instrumentalisiert. Dass Freiheit immer etwas mit Verantwortung zu tun hat, wird ignoriert, und damit auch die wohlbegründete Selbstbegrenzung, die nicht umsonst im ersten Satz unserem Grundgesetz voransteht.
Wenn solchermaßen Grenzen des Sagbaren verschoben werden, verschieben sich Grenzen des Denkbaren. Der Weg zum Handeln ist kein Automatismus, aber die Annahme scheint nicht unplausibel, dass der, der anders über etwas oder jemanden denkt und dieses Denken als akzeptabel empfindet, auch ein anderes Handeln akzeptabel finden könnte. Grenzverschiebungen dieser Art sind kein Einzelfall. Der Weg von Parolen zur Akzeptanz von Gewalt gegen Sachen, ist historisch bekannt, samt –
ebenfalls nicht zwangsläufig, aber doch einer gewissen Logik folgend –
weiterer Eskalationsstufen.
Wenn in (partei-) politischen und parlamentarischen Auseinandersetzungen nicht nur bewusst und gezielt Grenzen ausgetestet werden und dies auch offen damit begründet wird, dass man sich ja ansonsten mit „normalen" Beiträgen kein Gehör verschaffen könne, ist offenkundig, dass es sich nicht um Einzelaktionen, sondern um eine gezielte Strategie handelt. Den Worten folgen symbolische Taten, wie demonstratives Sitzenbleiben eines AfD-Abgeordneten bei einer Gedenkminute für den ermordeten Walter Lübcke im bayerischen Landtag. Dass dieses Verhalten Äußerungen angestachelt hat, wonach ein Mord „alle zwei, drei Jahre, aus irgendwelchen Hassgründen, relativ normal" (von „Kontraste" bei einer Pegida-Demo eingefangen) ist, lässt sich juristisch nicht beweisen. Ebenso wenig, dass diese zitierte Äußerung eine konkrete Straftat nach sich zieht.
Aber es hieße, dass ein Mord „alle zwei, drei Jahre aus irgendwelchen Hassgründen" nichts ist, worüber man sich wirklich aufregen müsste. Wenn das kein Nährboden für eine Entwicklung ist, was ist es dann? Schreibtischtäter im ursprünglich gemeinten Sinn sind die, die bewusst sprachliche Grenzen – und damit das für gesellschaftlich akzeptabel Gehaltene – verschieben, nicht. Wohl aber geistige Brandstifter.
Oliver Hilt
Contra: Keine Schreibtischtäter
Auch Worte können töten, heißt es. Stimmt das? Nein.
Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat die Republik aufgeschreckt und die Suche nach den Schuldigen läuft. Ist nur der mutmaßliche Täter selbst schuld, oder ist er Teil eines terroristischen Netzwerkes? Obwohl vieles auf Letzteres hindeutet, wissen wir es bislang nicht.
Was ist in heutigen Zeiten überhaupt ein terroristisches Netzwerk, wie straff organisiert soll man sich das vorstellen? Das sind wichtige Fragen. In der politischen Debatte geht es heute aber weit darüber hinaus. Es wird nun auch nach politischen, besser ideologischen Verantwortlichen gesucht, verständlicherweise in AfD-Nähe und deren Umkreis. Gibt es eine „ideologische Verantwortung" für solche Mordtaten?
Peter Tauber, früherer CDU-Generalsekretär, twitterte beispielsweise in Richtung von Erika Steinbach, der Vorsitzenden der neuen AfD-nahen Stiftung: „Du trägst Mitschuld an seinem Tod." Das Argument hört man jetzt in vielen Variationen. Dabei wird immer eine Linie vom Wort zur Tat gezogen. Worte könnten eine Tat vorbereiten, quasi den Nährboden dafür schaffen, wird unterstellt.
Das ist auf den ersten Blick völlig richtig: Politisch motivierte Mörder – also Terroristen, suchen sich die Motivation für ihre Tat in Worten: Verschwörungstheorien, radikalen Ideologien, in Theorien und Parolen versteckter Hass. All das braucht Worte, formuliert von Menschen, die sprechen oder schreiben. Das sind oft andere als die, die einen Mord, eine Terroraktion ausführen. Aber gibt es eine Mitschuld der „Schreibtischtäter" auf Twitter und Facebook?
Dann müsste das ja für alle gelten. Die Terroristen der RAF in den 70er- und 80er-Jahren waren von linksradikalem Gedankengut geprägt. Lässt sich deswegen eine Mitverantwortung linker Philosophen für die Taten der RAF konstruieren? So weit würde kaum jemand gehen. Der französische Philosoph Jean Paul Sartre besuchte 1974 sogar den inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader im Gefängnis in Stammheim – was ihm später viel Hohn und Kritik einbrachte. Aber Verantwortung für den Terrorismus kann man dem wohl einflussreichsten Philosophen seiner Zeit kaum vorwerfen. Genauso wenig wie den vielen anderen linkslastigen Philosophen dieser Zeit.
Dabei ging es damals meist noch um wohlformulierte, gut durchdachte menschenfreundliche Theorien. Heute geht es um sehr viel schlichtere Gedanken von „Identitären", simplen verqueren Verschwörungstheorien und es geht oft einfach um böse, hässliche und ekelhafte verbale Ausfälle. Können diese zu einem Mord bereite Menschen stärker in ihrer Motivation beeinflussen als vermeintlich kluge Gedanken?
Im Strafrecht trennen wir aus gutem Grund zwischen physischer Gewalt und sprachlicher – mag diese auch noch so schwer verletzen, mitunter schwerer als körperliche. Aber unser Strafrecht wäre völlig überfordert, wollte es sprachliche, emotionale Gewalt genauso behandeln, wie physische.
Ähnlich würde die politische Debatte leiden, wenn eine Linie von Argumenten – wie polemisch auch immer – zu den Taten der Terroristen gezogen würde. Für die Tat ist der Mörder verantwortlich und seine Hintermänner, so es welche gibt. Stichwortgeber sind widerwärtig, aber verantwortlich sind sie trotzdem nicht. Beleidigungen sind an sich schon schlimm und meist strafbar, nicht erst, wenn sie zu Taten anstiften.
Bei Mördern kann man die Tat nicht durch ideologische Indoktrinierung „erklären". Das würde die Bedeutung von Worten als Motivation von schlimmen Taten völlig überschätzen. Man kann doch unterstellen: Der Hass ist grundsätzlich zuerst da und sucht sich im Nachhinein eine Rechtfertigung. Die Suche nach der Verantwortung bei anderen führt bei solchen Taten in die Irre. Schon allein deshalb, weil sie den Schuldigen indirekt entlastet, gar als Ausrede dienen kann: Würde der Täter nämlich selbst mit dem Argument kommen, er sei ja ideologisch verführt worden, würde er sich nur lächerlich machen.