Die USA und der Iran neigen zu gefährlichen Fehleinschätzungen
Kaum eine Region in der Welt wird dieser Tage mit martialischeren Vokabeln belegt wie der Persische Golf. Die Rede ist vom Tanker- und Drohnenkrieg. Der Krieg der Worte zwischen den USA und dem Iran tobt ohnehin bereits seit geraumer Zeit. Einstweilen scheuen beide Länder einen militärischen Schlagabtausch. Sie setzen der jeweils anderen Seite mit Nadelstichen zu – doch alles unterhalb der Schwelle einer militärischen Konfrontation.
Sowohl Washington als auch Teheran tragen ihren Konflikt – noch – auf kleiner Flamme aus. Beide glauben, die Eskalation nach Belieben anfachen oder begrenzen zu können. Sie sind davon überzeugt, eine mächtige Drohkulisse zu haben. Und könnten sich dabei verschätzen.
US-Präsident Donald Trump hat sich in eine „Strategie des maximalen Drucks" verbissen. Das unter seinem Amtsvorgänger Barack Obama ausgehandelte Atomabkommen, das den Iran zumindest für zehn Jahre von Kernwaffen fernhält, reicht ihm nicht. Er will die Mullahs nicht nur zu einem Nuklearverzicht auf alle Ewigkeit zwingen. Sie sollen zudem das Raketenprogramm des Landes einstellen und die schiitischen Milizen zwischen dem Libanon und dem Jemen nicht mehr unterstützen. Harsche wirtschaftliche Sanktionen – so denkt Trump – werden dem Regime nichts anderes übriglassen, als einzuknicken.
Diese Rechnung könnte sich als Fehlkalkulation erweisen. Zwar wirken die Strafmaßnahmen der Amerikaner. Die Menschen im Iran leiden unter den galoppierenden Preisen – die Inflationsrate liegt bei 50 Prozent. Das Wachstum wird dieses Jahr nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds um sechs Prozent einbrechen. Doch die Bevölkerung ist an schmerzvolle Entbehrungen gewöhnt. Mangel, Elend und Zerstörung haben selbst während des Ersten Golfkriegs zwischen dem Iran und dem Irak 1980 bis 1988 nicht zum Zusammenbruch der Regierung geführt.
Auch blutet die iranische Wirtschaft infolge der US-Sanktionen keineswegs aus, wie Trump glaubt. Es gibt Schlupflöcher des Handels – etwa über die Türkei oder den Irak. Banken in Vietnam oder Malaysia finanzieren über komplizierte Dreiecks-Operationen nach wie vor Geschäfte mit dem Iran. Hinzu kommt, dass die Führung in Teheran mit Russland und China einflussreiche Verbündete hat. Diese lehnen erzwungene Politikwechsel – zumal solche des Unilateralisten Trump – ab. Das Gedankengebäude des US-Präsidenten steht auf luftigem Fundament.
Doch auch der Iran könnte sich am großen geopolitischen Schachbrett verspekulieren. Die Mullahs fühlen sich sicher, dass der Chef des Weißen Hauses vor einem heißen Krieg gegen das Regime zurückschreckt. Trump hat sich immer wieder damit gebrüstet, Amerika nicht mehr als Weltpolizist auftreten zu lassen. Sollen die Akteure in den diversen Regionalkonflikten doch sehen, wo sie bleiben. Seine Wählerbasis dankt es ihm.
Teheran will nun vor allem die europäischen Unterzeichnerstaaten des Atomvertrags – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – unter Druck setzen. Die Aktionen gegen Tanker am Persischen Golf, durch den die wichtigste Ölroute der Welt führt, sollen die Gefahr eines Schocks für die globale Wirtschaft heraufbeschwören. Darüber hinaus arbeitet das Regime kaltblütig mit der Drohung, den Nuklearwaffen-Baustoff Uran weiter anzureichern. Und schürt damit die Sorge vor einem Wettrüsten im explosiven Nahen Osten.
Der Iran will die Europäer durch diesen Angst-Hebel dazu bringen, die US-Sanktionen auszugleichen. Es ist ein Vabanque-Spiel, das genau das Gegenteil bewirken könnte. Bislang haben die Regierungen in Berlin, Paris und London das Atomabkommen eisern verteidigt. Nun treibt Teheran die Europäer in die Arme der Amerikaner.
Washington versucht mit Macht, eine internationale Militär-Koalition zum Schutz des freien Seehandels am Persischen Golf zu schmieden: Kriegsschiffe sollen Öltanker eskortieren. Gespräche laufen auch mit den EU-Partnern. Kommt es dazu, gibt es eine neue Skala von potenziellen Provokationen, die nach oben offen ist.
Die USA und der Iran reizen die jeweils andere Seite mit bedenklichen Fehleinschätzungen. Sie manövrieren sich in eine Frontstellung, aus der es kaum noch einen Ausweg gibt. Damit steigt die Gefahr einer Konfrontation, die nicht mehr auf kleiner Flamme zu halten wäre. Es ist ein Spiel mit dem Feuer.