Im „Kreuzberger Himmel" kommt syrisches, afghanisches oder iranisches Essen auf den Tisch. Die Gerichte sind so vielfältig wie die Mitarbeiter: allesamt Geflüchtete, die dort in einem neuen Beruf Fuß fassen. Den Gästen schmeckt’s. Seit der Eröffnung im Januar 2018 ist das Restaurant bestens besucht.
Man sagt, es sei das einzige Restaurant, das sich freut, wenn die Mitarbeiter in andere Betriebe wechseln. In Berlin? Wo doch alle in der Gastronomie nichts dringender suchen als gutes Personal? Ja, doch. Genau das gilt für den „Kreuzberger Himmel" an der Yorckstraße. Wer dort eine Ausbildung macht oder mitarbeitet, ebnet damit meist seinen Weg in eine – meist neue – Berufstätigkeit in Deutschland. In dem Restaurant arbeiten 16 Mitarbeiter aus sechs Nationen – allesamt Geflüchtete. Der Integrationsverein „Be an Angel" startete 2015 als Projekt von Menschen aus Journalismus, Kultur und Marketing, die Geflüchtete in ihren Wohnungen als Gäste aufnahmen. Doch das reichte nicht: „Be an Angel" erkannte, dass es nicht nur um die Sprache, Zertifikate und formale Anerkennung ging, sondern um mehr. Um das Ankommen, Miteinander-Leben und die Integration in die Gesellschaft in einem umfassenderen Sinn.
Am 3. Januar 2018 wurde daraus etwas konkret Fassbares und Schmeckbares – das Restaurant „Kreuzberger Himmel" eröffnete. In der Tat, die Mitarbeiter machen sich nach Deutschkursen und/oder der Mitarbeit dort auf den Weg in andere Berufsfelder oder wechseln in Hotels wie das „Sheraton", „Grand Hyatt" oder „Waldorf Astoria". „Unser Ziel ist es, nicht mehr benötigt zu werden", sagt Andreas Tölke, Initiator des „Kreuzberger Himmels" und Vorstand von „Be an Angel". „Wir sehen uns als Inkubator." Seit dem ersten Tag ist das Restaurant durchgängig gut besucht. Wohlwollen, Interesse und kulinarische Neugier der Gäste sind das eine. Wohlgeschmack der Speisen und die Lust am Genuss das andere. Wenn’s nicht munden würde, wäre das Lokal schlichtweg nicht voll.
Der „Kreuzberger Himmel" besteht die tägliche Abstimmung mit Messer und Gabel mit Bravour. Eine volle Terrasse plus ein sich rasch füllendes Restaurant an einem Freitagabend zeugen davon. Die katholische St. Bonifatius-Gemeinde vergab den Pachtvertrag für fünf Jahre „ganz regulär in einem Pitch" an den Verein. Der „Kreuzberger Himmel" konnte starten. Er trägt seinen Namen aus mehrfach guten Gründen: Ganz gleich, wer an welchen Gott glaubt und aus welchem Land auch immer stammt oder ob er als Mitarbeiter oder Gast da ist – alle sind willkommen unter demselben Himmel, mitten in Kreuzberg. Zahlreiche Tische sind reserviert. An manchen Abenden gebe es inzwischen sogar zwei Durchgänge, verrät Tölke.
Palette an Speisen aus allen Heimatländern
Bei 95 Plätzen im großen Gastraum und im kleinen Extraraum sowie weiteren 45 auf der Terrasse ist das kein Pappenstiel. „Das ist wirklich heftig, zumal kaum jemand aus der Branche stammt", sagt Tölke. Dann ist Übersicht bei Restaurantleiterin Maria Bauer, neben Tölke die einzig schon immer „Hiesige", und bei Küchenchef Othman Achiti gefragt. Der immerhin war bereits in Damaskus Chef einer 32-köpfigen Truppe in einem Hotel und ist nicht so schnell aus der professionellen Ruhe zu bringen.
Auf der Karte stehen Speisen aus den Heimatländern der Geflüchteten: schwerpunktmäßig syrische, aber auch iranische und afghanische Gerichte werden im „Kreuzberger Himmel" aufgetischt. Maziyar Mashhadighsemi vom Service bringt Wasser, nimmt unsere Meze-Bestellung auf und fragt nach unseren Wein-Wünschen. Wir lassen uns gern beraten und entscheiden uns für einen 2017er „Blanc de l’Observatoire" vom Chateau Ksara aus dem Libanon, eine Cuvée aus Sauvignon, Semillon und Chardonnay. Für uns selbstverständlich, für manche Mitarbeiter keinesfalls: Alkohol ausschenken, zu den unterschiedlichen Weinen und Champagner beraten. Selbst probieren? Das ist für viele eine große, für manche eine unüberwindliche Hürde. „Unsere Mitarbeiter erschließen sich dann den Wein über den Geruch", erklärt Tölke. „So kann man Grauburgunder von Riesling unterscheiden lernen."
Wer mitmachen will, sei es beim Deutschlernen oder im Restaurantbetrieb, muss zwei grundlegende Regeln achten: „Don’t judge anybody!" und „No discrimination at all!" Ganz gleich welcher Religion, Lebensform und Kultur jeder anhängt. So unterschiedlich die einzelnen Herkunftsländer, Biografien, Familien- und Fluchtgeschichten sind, im „Kreuzberger Himmel" gilt: „Hier sind alle eine Gruppe." Das bedeute unter anderem, den Fokus vom „Ich" erst einmal wieder auf das „Wir" zu legen. Was auf der Flucht für einen allein überlebenswichtig war, bleiben zu lassen, die Gemeinschaft wieder zu sehen. Außerdem prallen auch im „Wir" des Teams unterschiedlichste Voraussetzungen und Kulturen aufeinander. „Afghanistan etwa hatte keine Friedenszeiten, allein schon mit der formellen Schulbildung ist es schwierig. Das ist in Syrien ganz anders", sagt Tölke. Auch die Normen der Verständigung sind unterschiedlich: „Wenn ein Syrer laut wird und ein Afghane mit Schweigen reagiert, ist das normal." Alle eint jedoch die große Gastfreundschaft, die auch uns nun zuteil wird: Wir bekommen eine Auswahl an Meze, die uns mit Fladenbrot allein zum Wein glücklich machen würde. Also einmal die ganze gemischte kalte Vorspeisenplatte, die für zwei Personen mit 13,90 Euro sehr fair kalkuliert ist. Wenn’s denn mal nur das Hüngerchen zwischendurch ist, gibt’s die Schälchen auch solo für um die fünf Euro. „Sabaneh", Spinat in Olivenöl, kündigt sich als „Power in Grün" an. Wir wissen nicht, was Popeye dazu sagen würde. Aber ich bin mir sicher, er würde die Orient-Variante mit Zitrone, Granatapfel und Koriander mögen. Bohnen und Auberginen dürfen jeweils in unterschiedlichen Zubereitungsarten gegeneinander antreten: Als „M’tabal" geben sich die Auberginen in Kombination mit Joghurt, Tahini-Soße und Zitrone leicht und frisch. Als „Baba Ganoush" kommen sie gemeinsam mit Paprika, Tomate, Petersilie, Granatapfel mild gewürzt und cremig daher. Der Fotograf ist sofort entschieden: „Ich finde das Baba Ganoush super. Auch, weil der Name so schön klingt."
Duell zwischen dicken und grünen Bohnen
Ich stimme zu, kann mich aber ebenfalls für „Schwandar", einen erfrischenden Rote-Bete-Salat mit Tahini, Knoblauch und Petersilie begeistern. „Kishke", der laut Karte „Andere Tzatziki", ist mein weiterer Favorit. Die Morgenland-Variante des Knoblauch-Gurken-Joghurts führt ordentlich Frischkäse, Petersilie und Bulgur mit sich und wirkt „bissiger" und ausgewachsener. Das Bohnen-Duell findet wiederum zwischen grünen und dicken Bohnen statt. „Fasuela", heiße aber in Wirklichkeit kalte grüne Bohnen mit Tomaten und Koriander und werden durch scharfes Paprika so richtig hot. Mit „Die Sau rauslassen" sind die „Fasila Bzet" untertitelt – Saubohnen, Koriander, Knoblauch, Tomate, scharfer Paprika und Olivenöl sorgen dafür. Da war doch noch der Klassiker aus Kichererbsen? Das Hummus mit Tahini, Zitrone und Olivenöl macht in seiner Cremigkeit ohnehin und ohne viel Aufsehens froh. „Ein Gewinn für Berlin, dass wir inzwischen so gute arabische Küche bekommen können", freut sich die Begleiterin.
Bei den Hauptgerichten probieren wir uns durch neue und bewährte Gerichte auf der Karte. „Fatter", geschmortes Lammfleisch mit Champignons, macht sich gut und leicht scharf erst in einer Schale, dann gemeinsam mit Reis auf unserem Teller und zu guter Letzt mit Wohlgefallen im Bauch breit. Gebratenes Hühnchen mit Orange und Zitrone hört auf den klangvollen Namen „Faroug" und kommt fruchtig abgestimmt zu Salat und Reis daher. „Fatteh Makdoush" kannte ich bislang nicht: In einer Soße aus Tomaten, Tahini, Joghurt und Hummus tummeln sich Auberginen, frittierte Brotchips und Granatapfelkerne. Wir wählen die Variante mit Hack – für ebenfalls 13,90 Euro ein in seiner Textur überraschendes und wohlschmeckendes Gericht.
Arabische Nachspeisen mit europäischem Mix
So richtig zur Sache geht es, als Alaa Al-Akkab mit einem Teller voll frisch gebackener Baklava an unseren Tisch tritt. „Dessert – täglich wechselnd. Bitte fragen Sie Ihren Kellner", steht auf der Karte. Tun Sie das bitte unbedingt und sehen Sie genügend Raum vor! Die studierte Betriebswirtin und Verwaltungsangestellte aus Syrien, die mit ihrem Sohn 2015 aus Jordanien zu ihrem Mann nach Berlin nachkam, entdeckte den „Kreuzberger Himmel" zunächst als Ort zum Deutschlernen. Denn, wo abends getafelt wird, wird tagsüber gelernt. Die Deutschkurse von „Be an Angel" sind offen für jeden und häufig eine erste, unkomplizierte Anlaufstelle. „Kochen und Essen sind mein Hobby", sagt Alaa Al-Akkab. Das Hobby hat gute Chancen zum Beruf zu werden, zumindest so lange bis die deutsche Sprache richtig sitzt und die Abschlüsse anerkannt sind. Alaa Al-Akkab ist die Dessert-Expertin im Restaurant. Sie „erleichtert" die traditionell sehr üppigen arabischen Süßspeisen gern von zu viel Fett und Zucker und probiert vegane Varianten aus. „Ich mache arabische Nachspeisen mit europäischem Mix." Dabei kommen dann Baklava mit Weißkäse, verschiedenen gerösteten Nüssen oder Äpfeln heraus. „Ich liebe Berlin!", sagt Al-Akab, als sie sich verabschiedet. „Und ich werde in der Stadt bleiben." Das ist gut für sie und ihre Familie. Für uns als Süßschnäbel sind das nicht minder himmlische Aussichten.