Mode für starke Frauen macht Anja Gockel seit mehr als zwei Jahrzehnten. Sie präsentierte erst kürzlich in Berlin ihre neue Kollektion – mit deutlicher Message.
Wehende Flaggen mit aufgedruckten Slogans und Symbolen, dazu ein live gespielter, an Protestmärsche der 68er-Jahre erinnernder, Gitarrensound – eine Demonstration im edlen Berliner „Hotel Adlon"? Weit gefehlt: Designerin Anja Gockel hatte für ihre Präsentation der kommenden Sommerkollektion bei der Fashion Week in Berlin ein durchaus politisches Motto gewählt – einen Appell nämlich an die „Kraft von Friede und Freiheit". Dazu hatte sie sich eine Künstlerin an die Seite geholt, die sich dafür mit ihrer Musik und wirkungsvollen Aktionen seit Jahren engagiert: die Sängerin und Friedensaktivistin Yael Deckelbaum. Entdeckt hat Anja Gockel die kanadisch-israelische Künstlerin bei einem Aufenthalt in Tel Aviv und war fasziniert von der Musikerin, die auch als Sprachrohr der Friedensinitiative Women Wage Peace gilt. 2014 hatten jüdische, muslimische und christliche Frauen diese Initiative gemeinsam ins Leben gerufen, in der Hoffnung, mit unterschiedlichsten Aktionen auf ein Ende des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern hinwirken zu können. So organisierten die Aktivistinnen 2016 einen Friedensmarsch nach Jerusalem, an dem 4.000 Frauen teilnahmen. Das Video dazu wurde auf Youtube millionenfach geklickt, sorgt heute noch für Gänsehautmomente. „Prayer of Mothers" – so lautete der Titel des Songs, den Yael Deckelbaum gemeinsam mit den Initiatorinnen von Women Wage Peace schrieb und der zum viralen Hit wurde. Und zu einer Hymne der Friedensbewegung im Nahen Osten.
„Harmonie und Gleichgewicht"
Eine mutige und beeindruckende Frau nennt Anja Gockel die energiesprühende Sängerin Deckelbaum, um gleich darauf hinzuzufügen, dass auch sie ihre Arbeit als Designerin in Gleichklang mit Yaels Botschaft sieht. Seit nunmehr 23 Jahren gehe es ihr bei ihren Kollektionen und den damit verknüpften Botschaften auch um „Harmonie und Gleichgewicht".
Ein Grundkonzept, dem in der neuen Kollektion noch ein Hauch Fantastik und kleine skurrile Elemente hinzugefügt werden. Schließlich lautet das Motto der Sommerkollektion 2020 ja „Vote for Alice". Dabei knüpft die Designerin an die Bewegung des Surrealismus an, sieht ihre Kollektion als eine Reise in die Welt der kindlichen Fantasie – wie sie Lewis Carroll 1865 in „Alice im Wunderland" beschrieb.
Und so lässt Anja Gockel die Models in ihren typisch lässig-eleganten Schnitten antreten, in Materialien, die um die Trägerinnen herum zu fließen scheinen, in Weiß und Blau, in Grün und Pink. Hoch türmen sich die Lockenfrisuren, bunte Akzente beim Make-up der Augenpartien lassen an Tim Burtons Film „Alice im Wunderland" von 2010 denken. Lang fallende Streifenröcke werden mit golddurchwirkten Tops kombiniert und das schlicht geschnittene Seidenkleid in Khaki bekommt Details an Ärmeln und Kragen in leuchtendem Pink. Knallgelb setzt fast einen Ruhepunkt zu Prints, die an einen exotischen Farbenrausch erinnern, bevor die Farbpalette wieder in Weiß, Grau- und Silbertönen ihr edles Finale findet.
Wissbegierde, gegenseitiges Verständnis und Fantasiebereitschaft gingen heutzutage oft zu schnell unter, betont die 1968 in Mainz geborene Anja Gockel. Sie will ihre neueste Kollektion, aber eigentlich ihre Mode allgemein, auch als Aufruf für mehr Mut und Fantasie im Alltag verstanden wissen und möchte Frauen jeglichen Alters dazu ermutigen, ihre Authentizität und Einzigartigkeit auszuleben. Unabhängig von der Konfektionsgröße. So ist es nur folgerichtig, dass die 1,32 Meter große Schauspielerin Christine Urspruch – die Darstellerin der Rechtsmedizinerin Silke Haller, Alberich genannt, im Münsteraner „Tatort" – den Reigen der Models auf dem Runway anführt.
Breite Farbpalette und viele Muster
Ihr Ziel sei es, sagt Anja Gockel, mit jedem Teil ihrer Kollektion das Charisma ganz unterschiedlicher Frauen zum Leuchten zu bringen. Denn auch wenn eine Frau stark sei, könne doch ein wenig Unterstützung durch das richtige Kleidungsstück für die entsprechende Situation nicht schaden. Die Wissenschaft gebe dem Recht. Eine Untersuchung habe ergeben, dass, egal über welches Thema man einen Vortrag halte, 85 Prozent des erfolgreichen Auftretens vom Äußeren und von der Gestik, aber auch von der Kleidung abhingen. Man sollte also nie den Fehler begehen, unterstreicht Designerin Gockel, sich auf die inhaltlich perfekte Vorbereitung eines Auftritts, eines Vortrags, eines geschäftlichen Termins zu verlassen und dabei das äußere Erscheinungsbild zu vernachlässigen. Wobei es auch darum gehen sollte, so die 51-jährige Mutter von vier Kindern, zu seinem Alter zu stehen. Und zu den paar Falten und der einen Konfektionsgröße mehr, die man vielleicht im Laufe der Jahre zugelegt hat.
Seit 23 Jahren ist die Mainzer Modemacherin im Geschäft, schon das ist eine Leistung in der schnelllebigen Branche. 2017 wurde sie vom Designer-Berufsverband VDMD zur Designerin des Jahres gekürt, sie organisierte eine Modenschau für Queen Elisabeth II. und stattete mehrere Folgen von „Germany’s Next Topmodel" aus. Und sie ist Gründungspräsidentin der deutschen Sektion des International Women’s Forums. Dieses setzt sich für eine Balance zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen ein und besteht aus mehr als 5.000 Frauen aus 30 Nationen. Mutige Frauen unterstützen, starke Frauen auch durch unterstreichende Mode sichtbarer machen – das ist das Credo von Anja Gockel.
Und da kommt wieder Musikerin Yael Deckelbaum ins Spiel. Die sorgte mit ihrer Band bei der Runway-Show in Berlin für einen kraftvollen, mitreißenden Sound mit Songs von ihrem neuen Album, mitunter auch für leise berührende Töne. Sie tanzte ausgelassen barfuß und animierte das Publikum bei eingängigen Refrains zum Mitsingen oder wenigstens zum Mitklatschen.
Ein Novum sei es für sie gewesen, Mode und Musik mit einer politischen Botschaft zusammenzubringen. Für sie habe das durchaus funktioniert. Und für Designerin Anja Gockel, die bis kurz vor der Runway-Show noch gelassen Interviews gab und immer wieder strahlend in die Kameras diverser Youtube-Kanäle lächelte? Ruhig und konzentriert verfolgte sie die Show – nur um abschließend mit den Models gemeinsam in Jubel auszubrechen und mit ihrem Team starker Frauen von der Bühne zu tanzen.