Mit der Erlaubnis für E-Roller auf Deutschlands Radwegen startet nun der Wettbewerb der Anbieter, Produzenten und Verleiher. Doch auch der gesamte deutsche Markt für Mikromobilität kommt in die Gänge.
Nicht erst seit der aktuellen Klimadiskussion in Deutschland gelten Fahrrad, Roller und Co als gängige Alternative in einem künftigen Straßenverkehr. Der Fahrradbestand im Land steigt. Aktuelle Zahlen sprechen von mehr als 75 Millionen Tret-Ferraris, der Umsatz nach den neuesten Zahlen von 2017: 2,7 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Darauf stellen sich Start-ups mittlerweile ein, konkurrieren aber mit Anbietern aus anderen europäischen Ländern und China. Das scheinen auch Promis zu erkennen – Moderator Joko Winterscheidt wagt sich mit dem „Sushi"-Bike in die Mobilitäts-Gründerszene, nach mehr oder minder erfolgreichen Investitionen in andere Jungunternehmen wie den mittlerweile eingestellten „Gobutler"-Concierge-Service und „von Jungfeld"-Socken. „Er hatte Interesse daran, in den Markt einzusteigen – wir haben uns vergangenes Jahr kennengelernt, und das passte einfach", sagt Andreas Weinzierl im FORUM-Interview. Er hat das Konzept des „Sushi"-Bikes 2018 entwickelt. „Ich wollte meine eigene Mobilität verändern und ein Fahrrad, das genau das verkörpert. Und ich wollte meinen Single-Speed-Rahmen behalten", erklärt er. Das E-Bike ist 15 Kilogramm leicht, hat nur einen Gang und ist auch sonst Purismus auf zwei Rädern. Die Batterie ist klein und abnehmbar. „Man kann sie im Hörsaal aufladen." Mit dem Konzept ging er auf die Eurobike, die größte europäische Fahrrad-Fachmesse in Friedrichshafen, und fand einen namhaften Interessenten, der das Rad mit ihm konstruierte. Aber braucht es noch ein Fahrrad-Start-up in Deutschland? Es ist noch Platz auf dem Markt, „vor allem für E-Bikes", findet Weinzierl, angesichts vier Millionen verkaufter Fahrräder und 980.000 verkaufter E-Bikes pro Jahr.
Noch Platz im deutschen Markt für Rad-Start-ups
„Wir beobachten ein deutliches Wachstum bei den Future-Mobility-Start-ups – das gilt auch im Besonderen für die Mikromobilität", sagt auch Malte Fritsch vom Bundesverband Deutsche Start-ups. Laut Start-up-Monitor von Ernst und Young flossen 659 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2019 in den deutschen Mobility-Sektor, in dem allerdings auch Autos und ihre Komponenten zusammengefasst sind. „Elektrisch angetriebene Kleinstfahrzeuge wie E-Roller sind bei den Nutzern äußerst beliebt, da sie teils günstiger und vielmals praktikabler als der ÖPNV und zudem gegenüber dem Auto in den verstopften Innenstädten klar überlegen sind. Das gilt aber nicht nur für den privaten Gebrauch." Angebote wie E-Cargo-Räder erfreuen sich auch im deutschen Lieferverkehr, auf der „letzten Meile" bis zum Kunden, wachsender Beliebtheit. Immerhin, so schätzt eine Studie des Bundesverkehrsministeriums, könnten 23 Prozent der innerstädtischen Lieferfahrten auch mit einem Lastenbike getätigt werden. Die Bundesregierung bezuschusst den Kauf solcher Cargobikes übrigens mit 30 Prozent, maximal 2.500 Euro. Die neue Mikromobilität ist auf den ersten Blick platzsparend und klimafreundlicher. Doch geht nicht immer alles glatt. Das Start-up O-Bike aus Singapur überschwemmte viele Städte regelrecht mit seinen gelben Rädern in schlechter Qualität, darunter München und Berlin. Es dauerte nicht lange, bis der Schrott die Gehsteige verstopfte. Nach monatelangem Druck hat das Unternehmen nun reagiert und die Räder selbst weggeräumt.
Die nächste Verleihfirma stand aber schon in den Startlöchern: Swapfiets aus den Niederlanden, die in Deutschlands Fahrradstadt Nummer eins, in Münster, startete. Das Konzept: Per Abo können Kunden ein Rad, in München und Münster auch E-Bikes, mieten, Swapfiets sorgt nach eigenen Angaben dafür, dass es immer funktioniert. Falls nicht, genügt ein Anruf oder eine Whatsapp-Nachricht, und innerhalb eines Tages soll ein fahrtüchtiges Rad auf Kundenwunsch geliefert werden. Der Service kostet für Studenten 17,50 Euro pro Monat, alle anderen zahlen 19,50 Euro. Im Vergleich zu anderen Fahrradverleihern ist dies recht günstig: Call a Bike von der Deutschen Bahn kostet bei einer Jahresgebühr von drei Euro einen Euro pro halbe Stunde oder 15 Euro pro 24 Stunden, der chinesische Anbieter Mobike verlangt einen Euro pro 20 Minuten.
Verleiher drängen in deutsche Städte
Start-up-Gründer Andreas Weinzierl hat mittlerweile sein Auto verkauft. Einerseits brauchte er Kapital, andererseits hat er ja nun sein Idealfahrrad selbst gebaut. Aber: „In München brauche ich es nicht", sagt der Bayer, „und wenn ich Möbel oder anderes schweres Gut transportieren muss, miete ich mir per Carsharing ein Auto". Für kleinere Lasten will sich der Wirtschaftsingenieur nun ein Lastenrad zulegen.
Dass sich der Fahrradmarkt, vor allem getrieben durch die elektrischen Räder, positiv entwickelt, merkt auch Stefan Reisinger. Er ist Projektleiter der Fachmesse Eurobike. „Die Anmeldezahlen liegen im Bereich von 1.400 plus, der Anmeldedruck ist groß, vor allem durch junge Unternehmen, Anbieter aus Fernost und Unternehmen aus dem Bereich der E-Mobilität", sagt er. Zum ersten Mal ausgestellt werden auf der Fachmesse vom 4. bis 7. September auch elektrische Tretroller. Den Markt sieht Reisinger vor einer massiven Konsolidierung: Unternehmen verschwinden, werden aufgekauft, die Zahl der Fachhändler verringert sich. „Es treten dafür neue Kundenzielgruppen auf: Verleihfirmen, Hotelketten oder Unternehmen, die ihren Mitarbeitern ein Dienstfahrrad spendieren." Außerdem würden immer mehr fachfremde Unternehmen in den Fahrrad- oder Rollermarkt einsteigen. Bosch gilt vor allem als Automobilzulieferer, doch der Elektronikriese dominiert längst den Markt der Zweirad-Elektromotoren. Stefan Reisinger: „Batterien, Sensorik, E-Mobilität: All diese Themen rufen neue Player auf den Plan, die vorher im Automobil-Bereich unterwegs waren." 2018 bereits stellte der Automobilzulieferer Mubea ein eigenes Konzeptrad vor. Große Player wie Brose oder Continental stiegen wie Bosch schon früh in den Markt ein, Getriebehersteller ZF startet mit dem in der Fahrradbranche bekannten Markennamen Sachs in diesem Jahr die Produktion eines eigenen Mittelmotors für E-Mountainbikes. Der Technologie- und Rüstungskonzern Rheinmetall aktivierte die Kreativität seiner Mitarbeiter, um neue Geschäftsfelder auszuloten – und legte 2015 den Grundstein für einen eigenen Rad-Elektromotor, der 2020 auf den Markt kommen soll. Und selbst die Lobby der deutschen Autofahrer in Form des ADAC, bietet in diesem Jahr erstmals in München den Test und Verkauf von E-Bikes an.
Unzufrieden mit deutschem Radnetz
Auch Städte in Deutschland reagieren mittlerweile verstärkt auf den Trend. Rad-Schnellwege entstehen im ganzen Land, zum Beispiel der Isar-Highway in München. Zwischen Heidelberg und Mannheim beteiligen sich die Bürger an der Planung eines 21 Kilometer langen Rad-Schnellweges. Eine positive Wirtschaftlichkeitsstudie könnte den ersten grenzüberschreitenden Radweg zwischen Offenburg und Straßburg weiter voranbringen. Und dennoch herrscht mehr Frust als Freude: Deutschlands Radfahrer werden nach einer großen Umfrage immer unzufriedener mit ihrer Situation. Fehlende Radwegsysteme, ein lascher Umgang mit Falschparkern und ungünstige Ampelschaltungen nehmen vielen Menschen zunehmend die Lust am gesunden und umweltfreundlichen Radfahren. So heißt es im „Fahrradklima"-Test, den der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) im April vorstellte. Vor allem in größeren Städten sitzt der Unmut tiefer. Selbst Sieger im Test wie Bremen, Karlsruhe oder Göttingen erreichen auf der Schulnoten-Skala maximal eine 3. Die Nase vorn haben kleinere Kommunen im Münsterland wie Bocholt, Reken oder Wettringen, die schon lange – wie die nahen Niederlande – mit Enthusiasmus auf Radverkehr setzen. Ein Wunsch eint dabei 80 Prozent aller Befragten: Sie möchten vom Autoverkehr getrennte, glatt asphaltierte Radwege, die breit genug sind fürs Überholen. Aber die sind meistens Fehlanzeige.
Auf Deutschlands Straßen rollen mehr als 60 Millionen Kraftfahrzeuge. Der Treibhausgasausstoß im Verkehr ist seit 1990 weiter angestiegen. Ein wachsender Anteil an Radlern ist deshalb umweltpolitisch gewollt. Nach Berechnung des ADFC sind aber noch zwei Drittel der Verkehrsflächen für Autos reserviert. Ginge es nach dem Willen der deutschen Radler, muss der Raum neu aufgeteilt werden. Städte und Kommunen machen es schon mal vor.