Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer findet sie toll, Bürgermeister bringen sie dagegen auf die Palme: Die E-Roller führen zu vielerlei Diskussionen.
Alexander Segmüller wähnt sich derzeit im siebten Himmel der Mikromobilität. Acht Jahre hat er in Berlin für die Zulassung der kleinen elektrischen Stadtflitzer gekämpft, die man im Zweifelsfall auch in den Rucksack packen und mit in den Bus nehmen kann. Vom Solowheel, dem elektrischen Einrad, über das zweirädrige Segway bis zum E-Scooter: Alexander Segmüller ist ein Vorkämpfer für die ganze Palette der modernen Mikromobilität. „Endlich haben wir einen Verkehrsminister, der die Dimensionen der elektrischen Mikromobilität begriffen hat", freut sich Segmüller in diesem Spätsommer. „Mit der Zulassung für den Straßenverkehr der Elektroroller hat Andreas Scheuer nun ein Tor geöffnet, hinter dem wir die Innenstädte völlig neu erleben können." Die Euphorie des 33-Jährigen wird der angesprochene Verkehrsminister von der CSU teilen. Sonst gibt es allerdings viel Kritik an den E-Rollern und vor allem an deren Benutzern.
Direkt nach dem Fiasko um die Einführung der Pkw-Maut suchte Verkehrsminister Andreas Scheuer schnell nach einem neuen großen politischen Wurf. Da kam ihm der anstehende Hype um die Elektroflitzer gerade recht. „Die E-Scooter werden ein weiterer, wichtiger Baustein bei der Mobilitätswende werden", verkündete der CSU-Mann mehr als selbstbewusst. Dabei ging Scheuer davon aus, dass gerade in den Ballungszentren viele Autofahrer begeistert vom Auto auf den Elektroroller umsteigen werden. Ursprünglich wollte er die Scooter auch gleich überall fahren lassen: auf der Straße, den Radwegen und den Gehwegen. Letzteres verursachte einen wahren Aufstand, gerade in den Städten. Im Bundesrat wurden die E-Roller-Pläne des Verkehrsministers erstmal zusammengestutzt. Auf den Gehwegen dürfen sie zwar nun nicht fahren, dafür liegen vor allem die Leih-Roller nun in den Innenstädten auf den Gehwegen kreuz und quer.
„Die Innenstädte völlig neu erleben"
In Berlin hat dies nun Verkehrssenatorin Regine Günther (Bündnis 90/Die Grünen) auf den Plan gerufen. „Die elektrischen Zweiräder, die achtlos einfach irgendwo abgelegt werden, bilden für Seh- und Gehbehinderte eine Gefahr", so die Verkehrssenatorin. Darum dürfen sie jetzt nicht mehr auf den Gehwegen in Berlin abgestellt werden. Obendrein gibt es dort in der Innenstadt zwei große Sperrzonen für E-Scooter: rund um das Brandenburger Tor und gleich nebenan, im Umkreis des Holocaust-Mahnmals.
Auch die jüngste Idee von Andreas Scheuer, E-Rollern das Fahren auf der Busspur zu erlauben, wird so nicht stattfinden, zumindest nicht in Berlin. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) spricht man von einer „klassischen Schnapsidee". Verkehrssenatorin Günther lehnt dies ebenfalls rundherum ab. „Da die E-Scooter nicht schneller als 20 Kilometer pro Stunde fahren, würden sie den gesamten Busverkehr ausbremsen, die stünden dann im Stau." Schützenhilfe erhielt sie erst kürzlich unverhofft von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). „Ja, ich finde sie hier in der Stadt auch total nervig", sagte Schulze beim Tag der offenen Tür in der Bundespressekonferenz in Berlin gegenüber FORUM.
Just in dem Augenblick, da die Umweltministerin sich über die E-Scooter ausließ, gab es nur wenige hundert Meter von ihr entfernt das nächste Roller-Ungemach: Zwei Männer wurden auf ihren E-Rollern im Tiergartentunnel unter dem Regierungsviertel gesichtet. Doch der ist als Kraftfahrstraße nur Autofahrern vorbehalten und darf weder von Rad- noch Tretrollerfahrern benutzt werden.
Auch die Berliner Polizei ist zunehmend genervt von den E-Scootern, vor allem Alkoholfahrten stellen ein Problem da. Da die Roller aber gerade mal ein Vierteljahr zugelassen sind, gibt es bei der Polizei der Hauptstadt noch keine verlässlichen Zahlen zu alkoholisierten Fahrern. Aber auch andere deutsche Städte melden ähnliche Beobachtungen. Den Deutschen Verkehrssicherheitsrat besorgt dies nicht minder, doch seine Forderung nach einer Null-Promille-Grenze für Rollernutzer wurde vom Bundesverkehrsministerium zurückgewiesen. Derzeit gelten die gleichen Promillegrenzen wie für Autofahrer, das müsse reichen.
Ob nun mit den E-Scootern die Verkehrswende endgültig geschafft wird, kann derzeit noch niemand sagen. Es gibt einfach noch zu wenig Daten zum Einfluss des E-Roller-Verleihs auf den Verkehr. Doch ein erster Überblick lässt erhebliche Zweifel aufkommen, dass besonders viele Autofahrer auf den Roller gekommen sind. Bislang werden diese vor allem am Wochenende und abends genutzt. Das bedeutet umgekehrt, dass nicht der Arbeitsweg per E-Scooter bewältigt wird, sondern die Wege in der Freizeit.
Dies bestätigt das Deutsche Institut für Urbanistik: „E-Stehroller werden besonders im Freizeitverkehr und von Touristen benutzt." Und weiter heißt es: „Die Roller könnten den Autoverkehr in der Stadt nicht reduzieren: Da hat sich der Verkehrsminister einen Bären aufbinden lassen." Besonders Außenbezirke von Städten ließen sich nicht wirtschaftlich abdecken.
Geschäftsmodell mit persönlichen Daten
Das Bundesumweltministerium hat sich unterdessen auch der E-Roller angenommen und will das Rollerverhalten Deutschlands beobachten. Das ihm untergeordnete Umweltbundesamt kann allerdings derzeit nur auf eine Umfrage bei 4.000 Verleihnutzern in Paris verweisen. Demnach wäre fast die Hälfte der Befragten ohne Roller zu Fuß gegangen. Knapp 30 Prozent hätten den ÖPNV oder das Fahrrad genommen. Lediglich acht Prozent der Befragten ersetzten demnach mit dem geliehenen E-Scooter eine Auto- oder Taxifahrt. Wohlgemerkt stammen diese Daten aus Paris. Aber eines wird schon klar: eine revolutionäre Verkehrswende vom Auto zum Roller kann das nicht werden. Was auch eine Umfrage des Meinungsforschers Manfred Gülner und dem Forsa-Institut bestätigt: Demnach möchten über 70 Prozent der Deutschen gern ein Auto besitzen. Selbst bei den unter 30-Jährigen liegt die Quote noch bei fast 60 Prozent. Was nicht weiter verwundert: Ein Pendler kann schlicht und einfach in seinem Vorort nicht auf einen Miet-Roller umsteigen, weil es sie dort nicht gibt. Selbst die Verleiher mussten einräumen, dass das Haupteinsatzgebiet der E-Scooter die Innenstädte sind, schon wegen der Verwaltung der Roller. Diese müssen jeden Abend wieder eingesammelt und aufgeladen werden.
Das übernehmen sogenannte Juicer. Dabei handelt es sich meist um Studierende oder Zeitarbeiter, die pro eingesammeltem Roller bezahlt werden. Das ist ein weiterer Kritikpunkt an den E-Scootern, da es sich nicht um etablierte Arbeitsverhältnisse handelt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt vor einem Boom von prekären Arbeitsbedingungen, wie es ihn bereits in anderen Bereichen der digitalen Arbeitswelt gibt. Auch wird mehr Umweltbewusstsein beim Einsammeln der Tretroller gefordert. „Wenn man diese mit einem alten Diesel-Transporter einsammelt, macht das keinen Sinn mehr für die Umwelt", so der Vorsitzende des Verbandes für Elektro-Kleinstfahrzeuge, Lars Zemke.
Doch in der Summe aller Betrachtungen steht schnell die Frage im Raum: Welchen Sinn haben dann überhaupt die E-Scooter? Denn nur mit der reinen Vermietung verdienen die Verleiher nicht wirklich Geld, dazu sind die Margen einfach zu eng. Allein Anschaffung und Unterhalt kosten einiges, ganz abgesehen davon, dass die Lebensdauer eines E-Scooters bei derzeit vermutlich nicht mal drei Monaten liegt. Den Verleihern geht es sowohl bei den Mietfahrrädern als auch bei den E-Scootern vor allem um den neuen Rohstoff des 21. Jahrhunderts: persönliche Daten. Jeder Kunde, der ein Vehikel mietet, muss sich anmelden, sprich: seine Daten hinterlegen und eine App herunterladen. Wer mit dem E-Roller unterwegs ist, hinterlässt automatisch ein nachvollziehbares Bewegungsprofil. Handelt es sich zum Beispiel um einen Pendler, der von einem bestimmten Bahnhof jeden Morgen die letzten Meter zur Arbeit fährt, kann der Verleiher den Arbeitsplatz des Kunden feststellen. Geht es dann nach dem Dienst spätnachmittags mit dem Roller noch in den Supermarkt, fallen auch hier für den Verleiher wertvolle Daten an: individuell zugeschnittene Angebote können den Service verbessern, sagen die Unternehmen. Sie machen die Verkehrswege der Nutzer transparent, ihre Datensammlungen können verkauft werden, warnen Datenschützer. Datenrohstoff ist in unserer digitalen Welt sehr wertvoll. Der wahre Sinn der E-Scooter könnte sein, über diese Geschäftsmodelle einen weiteren dieser Rohstoffe zu heben.