Der Solidaritätszuschlag ist für einen Großteil der Steuerzahler ab 2021 Geschichte – die restlichen zehn Prozent zahlen weiterhin etwa die Hälfte des bisherigen Aufkommens in die Bundeskasse ein. Wird der Rest-Soli künftig zu einer Einkommensteuer für Topverdiener?
Keine Steuer hat einen so netten Spitznamen wie der Soli. Wie niedlich. Die eigentlich „Solidaritätsbeitrag" genannte Zusatzsteuer hat die Regierung von Helmut Kohl bereits 1991 eingeführt, als die USA in den Golfkrieg zogen und von Deutschland wenigstens einen finanziellen Beitrag erwarteten – wenn man schon keine Soldaten schicken konnte. Außerdem ging es laut offizieller Begründung um die „Unterstützung der Länder in Mittel-, Ost- und Südeuropa" und (nicht zuletzt) die „Kosten der deutschen Einheit".
Wie sich dann recht schnell zeigte, war der Bedarf an Solidarität im Osten Deutschlands erst einmal deutlich größer als im Süden Europas. Darum wurde der Soli, zunächst nur für ein Jahr gedacht, 1995 wieder reaktiviert und gilt bis heute. Die Regierung gab damals das Versprechen, dass er nur so lange erhoben werden sollte, wie nötig. Aber was heißt nötig?
Die Zeit für eine Beerdigung des Solis scheint reif, 28 Jahre später und 30 Jahre nach dem Fall der Mauer. Blühende Landschaften gibt es im Osten inzwischen einige, jedenfalls streckenweise. Seit Jahren macht der Bundesfinanzminister sogar Überschüsse. Schon im Koalitionsvertrag hatten die Großkoalitionäre vor zwei Jahren festgeschrieben, den Soli deshalb für immerhin 90 Prozent aller Steuerzahler abzuschaffen. Das hat die Regierung nun auch formell beschlossen. Die Freigrenze, ab der der Soli erhoben werden soll, ist stark angehoben werden: von bislang 972 Euro Jahreseinkommensteuer auf 16.956 Euro. Für Verheiratete gilt jeweils der doppelte Betrag. Was etwas gewöhnungsbedürftig ist: Als Berechnungsgrundlage für den Soli gilt die normale Einkommensteuer (beziehungsweise die Körperschaftssteuer bei Unternehmen), nicht das Einkommen – von diesem Steuerbetrag werden bei Überschreitung der Grenzwerte 5,5 Prozent Soli angesetzt.
Elf Milliarden Euro weniger Steuern
Der jetzt beschlossene Entwurf von Olaf Scholz führt nach Berechnungen von Ökonomen des Münchner ifo-Instituts dazu, dass ein Single mit 40.000 Euro Jahreseinkommen brutto im Jahr 332 Euro weniger Steuern zahlen muss als bislang. Bei 60.000 Euro brutto sind es immerhin schon 669 Euro Ersparnis. Ein Alleinverdiener-Paar ohne Kinder mit 80.000 Euro brutto spart beachtliche 724 Euro.
Die obersten zehn Prozent der Steuerzahler werden indessen nur teilweise entlastet: Weitere 6,5 Prozent müssen etwas weniger Soli zahlen als bislang. Nur die restlichen 3,5 Prozent, also die echten Spitzenverdiener sowie die Unternehmen, werden gleichstark zur Kasse gebeten wie bisher. Die deutschen Steuerzahler werden somit insgesamt um knapp elf Milliarden Euro entlastet. Das sind etwas mehr als die Hälfte der 19 Milliarden Euro, die zuletzt als Soli in die Scholz-Kasse geflossen sind.
Ob diese nur teilweise Entlastung fair ist, darüber gab es eine wochenlange Diskussion. Immerhin wird die Steuertarifkurve etwas steiler – der Steuertarif etwas progressiver, wie es in der Fachsprache heißt: Die Steuerlast der Spitzenverdiener steigt relativ zu der der Durchschnittsverdiener leicht an. Das erscheint eigentlich gerecht. Aber wirtschaftsnahe Ökonomen sagen, es sei schädlich für Investitionen und Konjunktur, gerade jetzt, wo diese etwas kippelt. Einige fordern daher, der Soli solle komplett abgeschafft werden. Wirtschaftsminister Peter Altmaier etwa hat von seinem Ministerium ein Konzept erstellen lassen, wie der Soli bis 2026 ganz verschwinden könnte. Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, fordert seine komplette Abschaffung auf einen Schlag. Die FDP sieht es genauso – und bringt dafür auch verfassungsrechtliche Gründe ins Spiel. So zweifelt der Bundesrechnungshof, dass der Soli verfassungsgemäß ist, wenn zum Jahresende 2019 der Solidarpakt II ausläuft, mit dem speziell der Osten Deutschlands gefördert wurde. Das ist ja eigentlich der Sinn des Solis, auch wenn er nicht zweckgebunden in den Bundeshaushalt fließt. Finanzminister Olaf Scholz jedoch zeigt sich „sehr sicher", dass das Bundesverfassungsgericht den Soli weiter erlauben wird. Sein Argument: Wenn die bisherige Freigrenze zulässig war, dann dürfte die künftige, weit höhere, es doch auch sein. Immerhin denkt auch Scholz an ein komplettes Ende des Solis; allerdings solle darüber erst in der nächsten Legislaturperiode entschieden werden. Ob er dann allerdings noch Finanzminister ist, ist fraglich.
300 bis 700 Euro mehr in der Haushaltskasse
Das liberale Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung begrüßte die Teil-Abschaffung des Solis für über 90 Prozent der Steuerzahler als „ersten Schritt". Aber: „Der Vorschlag lässt nicht nur gut verdienende Manager und Freiberufler außen vor, sondern auch große Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften. Angesichts der zerbrechlichen Konjunktur und des sich verschärfenden internationalen Steuerwettbewerbs ist das nicht sinnvoll. Deshalb sollte die vollständige Abschaffung des Solis, der vor fast 30 Jahren als befristete Abgabe eingeführt wurde, möglichst schnell folgen", so der Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, Andreas Peichl.
Das stößt auf Widerspruch: „Die zentrale Frage ist, ob der Soli abgeschafft oder in die Einkommensteuer überführt werden soll", sagt Marcel Fratzscher, Präsident des tendenziell SPD-nahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Es sei zwar damals versprochen worden, dass der Soli temporär sei. „Aber den Einkommensstarken wurde nie versprochen, dass sie permanent geringere Steuern zahlen müssen." Fratzscher plädiert daher für eine Umwandlung des Solis in einen neuen Einkommensteuer-Tarif für Spitzenverdiener. Ähnlich hatte sich auch schon Olaf Scholz geäußert. Immerhin würde eine komplette Abschaffung des Solis noch mal rund neun Milliarden Euro kosten, die dann in der Kasse fehlen. Bisher lieferten die obersten zehn Prozent über 60 Prozent des gesamten Soli-Aufkommens. Die jetzt beschlossene Lösung hat also den großen politischen Vorteil, für 90 Prozent der Steuerzahler den Soli abzuschaffen, aber dennoch rund die Hälfte des Soli-Aufkommens auch in Zukunft weiter in der Kasse zu haben.
In jedem Fall entlastet der Beschluss des Kabinetts die allermeisten Durchschnittsverdiener. 300 bis 700 Euro pro Jahr mehr in der Haushaltskasse wären deutlich mehr als der von Umweltministerin Svenja Schulze geplante Klimabonus und würde zusammen mit diesem dazu führen, dass ein sehr großer Teil der Haushalte per Saldo auch bei einer CO2-Bepreisung bald finanziell besser dastehen würde als vorher.