Mit dem deutschen Angriff auf Polen begann vor 80 Jahren der Zweite Weltkrieg. Hitlers Eroberungskrieg führte die Völker ins Verderben und wirkt bis heute nach.
Mit der falschen Behauptung, polnische Soldaten hätten den deutschen Sender Gleiwitz in Oberschlesien überfallen, löste Adolf Hitler am 1. September 1939 den deutschen Angriffskrieg auf den östlichen Nachbarstaat Polen aus. Indem er in die Rolle des unschuldigen Opfers schlüpfte und Notwehr vorgaukelte, behauptete der deutsche Diktator am Vormittag jenes Tages im Berliner Reichstag, Polen habe „heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten."
Heute wissen wir, dass Hitlers völkerrechtswidriger Krieg gegen Polen der Auftakt zum Zweiten Weltkrieg war und unsagbares Leid über die Völker brachte. Schon Hitlers Begründung des Angriffs auf Polen vermischte in typischer Diktatorenmanier Wahrheit und Legende. Der Überfall auf die Sendestation in Gleiwitz war nach einer Idee des SD-Chefs Reinhard Heydrich von Angehörigen des Sicherheitsdienstes (SD) in polnischen Uniformen inszeniert worden. Ganz nach der Ankündigung Hitlers vom 22. August 1939 vor hohen Offizieren, es werde demnächst einen „propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben – gleichgültig, ob glaubhaft."
Die Nachricht vom Kriegsausbruch löste bei der deutschen Bevölkerung keine Begeisterung aus. Ernste Gesichter, beklemmende Stille, kein Optimismus – so erinnern sich Jahrzehnte später Zeitzeugen. Viele hätten voller Sorge auf ein schnelles Ende des Feldzugs und auf weiteres Stillhalten der Westmächte – Frankreich und England – gehofft. Die Beifallsstürme aus den Radiolautsprechern beschränkten sich meist auf die willfährigen Abgeordneten des längst gleichgeschalteten Reichstags.
Hitlers Krieg im Osten war kein Zufallsprodukt einer momentanen politisch-militärischen Lage, sondern von langer Hand geplant und vorbereitet. Der Historiker und Publizist Hermann Graml hat darauf verwiesen, dass die Beharrlichkeit und Offenheit, mit der die Nationalsozialisten auf einen Eroberungskrieg zusteuerten, fast beispiellos gewesen sei. Seit 1919 hatten führende Nationalsozialisten in Büchern, Zeitungsartikeln und unzähligen Versammlungsreden den Deutschen gepredigt, sie seien ein „Volk ohne Raum", das zu seiner biologischen Existenzsicherung neuen „Lebensraum" in Osteuropa erobern und germanisieren müsse.
Das Stillhalten der europäischen Mächte ermutigte Hitler
Zu dieser kriegerischen Expansion seien die Deutschen nicht nur gezwungen, sondern wegen ihrer angeblichen rassischen Höherwertigkeit auch berechtigt. Nach der „Machtergreifung" am 30. Januar 1933 machten sich die Nationalsozialisten sofort an die Verwirklichung ihres Programms. Dabei spielten Strategie und Taktik eine zentrale Rolle. Anfangs stand die NS-Außenpolitik ganz im Zeichen einer systematischen Selbstverharmlosung, bis sie an der Wende 1937/38 zur offenen Expansion überging.
Mit Friedensschwüren und Versöhnungsparolen – etwa vor der Saarabstimmung vom 13. Januar 1935 gegenüber Frankreich – wandte sich der neue Reichskanzler zunächst dem Kampf gegen den Friedensvertrag von Versailles zu. Zielstrebig überwand er die Deutschland dort auferlegten Beschränkungen. 1938 jubelte entsprechend ein NSDAP-Plakat: „Zug um Zug zerriss Adolf Hitler das Diktat von Versailles!" Dabei berief sich Hitler publikumswirksam immer wieder auf das 1919 einseitig zu Lasten Deutschlands ausgelegte Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Doch hinter der national und völkisch verbrämten Revisionspolitik verbargen sich weitere große Ziele, die der im Innern straff gleichgeschaltete, zentralisierte und totalitär umgestaltete Führerstaat anstrebte: die auf Gewaltanwendung setzende Eroberung neuen Lebensraums im Osten, die Abrechnung mit dem marxistischen Bolschewismus und die deutsche Vormachtstellung in Europa. Das Instrument des Krieges betrachtete Hitler in diesem Kontext als unausweichlich und legitim. Die traditionellen Regeln zwischenstaatlicher Beziehungen kümmerten ihn wenig.
Das Stillhalten der europäischen Mächte im Zeichen der Beschwichtigungspolitik („Appeasement") bei Hitlers offen oder verdeckt aggressivem Vorgehen ermunterte diesen zu immer kühneren Schritten. Eine Reihe außenpolitischer Schritte festigte Hitlers Stellung im In- und Ausland, stärkte sein Ansehen im eigenen Volk und schwächte die Erfolgschancen des deutschen Widerstandes: Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht (März 1935), Flottenabkommen mit England (Juni 1935), massive Aufrüstung (Vierjahresplan 1936) und Rheinlandbesetzung (März 1936).
Pakt mit Stalin war geplanter Schachzug
Am 5. November 1937 erklärte Hitler vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht, dass die „Lösung der deutschen Frage" nur auf dem niemals risikolosen „Weg der Gewalt" erfolgen könne, offen sei nur noch „wann" und „wie". Das wissen wir aus den Aufzeichnungen von Oberst Friedrich Hoßbach, der bei der vierstündigen Konferenz zugegen war. Die vom Westen widerspruchslos hingenommene Annexion Österreichs im März 1938 war für Hitler nur Ausgangspunkt für ein weiteres Ausgreifen. Im Münchener Abkommen vom September 1938 setzte der braune Diktator mit erpresserischen Mitteln die Abtretung des deutsch besiedelten Sudetenlandes durch die Tschechoslowakei durch.
Wenige Monate später, im März 1939, ließ er entgegen vorheriger Zusagen („Wir wollen gar keine Tschechen") deutsche Soldaten in Böhmen und Mähren einmarschieren. Prag wurde besetzt, die „Rest-Tschechei" zerschlagen. Es war die entscheidende Wende zum Krieg. Schon am 10. November 1938 hatte Hitler sich vor deutschen Pressevertretern von der eigenen, wegen der Umstände erzwungenen jahrzehntelang betriebenen „Friedenspropaganda" distanziert und die Vorbereitung der breiten Masse auf gewaltsame außenpolitische Schritte postuliert.
Für den anvisierten Westkrieg gegen Frankreich stellte Polen in Hitlers Augen einen Risikofaktor dar. Als Warschau sich weigerte, durch die Erfüllung deutscher Forderungen – etwa die Lösung der Danzig- und Korridorfrage – seine Unabhängigkeit aufzugeben und vorerst einen Satellitenstatus hinzunehmen, entschloss sich Hitler Ende März 1939 zur gewaltsamen Lösung dieses Problems. Daran hinderten ihn auch die Garantie-Erklärungen der militärisch schlecht vorbereiteten Westmächte für Polen nicht mehr.
Bei der Konfrontation zwischen England und Frankreich einerseits und den Bündnispartnern Japan, Italien und NS-Deutschland andererseits war die Sowjetunion zunächst noch nicht festgelegt. Die intensiven diplomatischen Bemühungen der Berliner Diplomatie um die Gunst der Sowjetunion mündeten schließlich im spektakulären deutsch-sowjetischen Nichtangriffsabkommen vom 23. August 1939, dem sogenannten Hitler-Stalin-Pakt.
Millionen Vertriebene als Kriegsfolge
Nun waren die beiden Diktatoren, die sich bisher als ideologische Todfeinde bekämpft hatten, zu Komplizen geworden. Der Geheimvertrag zur Teilung Polens nahm Hitler die Furcht vor einem Zwei-Fronten-Krieg bei der Westexpansion und ermunterte ihn zur Auslösung des Krieges. Wenige Tage später erging der Befehl zum Angriff auf Polen. Dies sei „ein Tiefpunkt der deutschen und europäischen Geschichte" gewesen, kommentierte 70 Jahre später der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
Frankreich und England erklärten Deutschland zwar den Krieg, blieben aber untätig. Während in Polen ein „Blitzkrieg" wütete, warteten Franzosen und Engländer im Westen ab. Der Zweite Weltkrieg stand vor der Tür. Seine ersten Opfer waren polnisch.
Die schlimmsten Verbrechen des NS-Regimes – propagandistisch vorbereitet durch die Behauptung der angeblichen „Minderwertigkeit" der Betroffenen – waren die Massenmorde an polnischen und sowjetischen Menschen und der grauenhafte Völkermord an den Juden. Am Ende des Krieges stand die Rote Armee mitten in Deutschland. Dieses hatte seine staatliche Einheit eingebüßt, die Grenzen von 1937 verspielt und musste nun Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen eine neue Zukunft bieten.
Hitler hatte mit seinen Helfershelfern Verderben über die Völker und Schande über sein eigenes Volk gebracht. Der „Terrorist des Jahrhunderts" („Der Spiegel") war nach einem Wort des Historikers Paul Sethe „das größte Verhängnis der deutschen Geschichte".