Wenn das neu gewählte Europaparlament Mitte September zur ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammenkommt, mangelt es nicht an großen Herausforderungen, von Entscheidungen über neue EU-Kommissare über Brexit bis zum Flüchtlingsthema.
Wenn das neu gewählte Europäische Parlament am 16. September zur ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause zusammenkommt, stehen gleich mehrere brennende Themen auf der Tagesordnung.
Das Brexit-Drama in London wird auch auf den Gängen und insbesondere im Plenarsaal in Straßburg seine Fortsetzung finden. Die Brexit-Befürworter um Nigel Farage von der UKIP werden lautstark und temperamentvoll der EU die Schuld für die dramatische Lage in die Schuhe schieben. Viele Abgeordnete werden ihrerseits den Frust über das Hickhack in London zum Ausdruck bringen. Auch nach drei Jahren herrscht keine Klarheit, was Großbritannien will – ein Abkommen mit der EU oder auch nicht, raus aus der EU oder doch nicht? Das EP müsste einer Verlängerung des Austrittsdatums über den 31. Oktober hinaus zustimmen. Nicht wenige Abgeordnete denken: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Obwohl auch mir das Thema „Brexit" zum Halse raushängt, sollte ein harter Brexit auch noch in letzter Minute verhindert werden. Ein Crash würde erheblichen Schaden anrichten, auch für die Industrie in unserer Region, vor allem für die Ford-Werke in Saarlouis.
Das EP wird sich intensiv mit der von Ursula von der Leyen vorgeschlagenen neuen Europäischen Kommission beschäftigen. Wie der US-Kongress in Washington hat sich auch das Europäische Parlament das Recht erkämpft, alle Kandidatinnen und Kandidaten in einem ‚Hearing‘ auf Herz und Nieren bezüglich der Eignung für die jeweilige Aufgabe in der Kommission zu überprüfen. Drei Stunden werden die Kandidaten zu ihrer Person und zu ihren Politikressorts „gegrillt". Das ist einmalig und gibt es in keinem Parlament der Mitgliedsstaaten.
Auch dieses Mal werden nicht alle 27 Personen den Test bestehen. Das ist gut so. Europa braucht die besten Köpfe. In Brüssel wird Politik für 500 Millionen Menschen gemacht, keine Kleinigkeit.
Die EU muss Vorreiter beim Klimaschutz sein
Die Plenarsitzung in Straßburg findet wenige Tage vor dem Uno-Klimagipfel in New York statt. Das Thema „Klimaschutz" stand schon bei der Europa-wahl im Mai bei den Bürgerinnen und Bürgern hoch im Kurs. Das Europaparlament wird die EU und ihre Mitgliedsstaaten auffordern, Vorbild und Vorreiter beim Klimaschutz zu sein. Die Industrialisierung hat vor mehr als 200 Jahren in Europa begonnen. Es steckt viel CO₂ aus unserem Teil der Welt in der Erdatmosphäre. Das wissen auch die Entwicklungsländer und pochen deshalb auf ‚Klima-Gerechtigkeit‘, das heißt, die Industrieländer müssen mehr tun und zudem den schwächeren und akut bedrohten Ländern helfen.
Der Status des „Entwicklungslandes" darf jedoch keine Ausrede sein, mutwillig die Natur zu zerstören. Die von der Regierung Bolsonaro geduldeten und zum Teil provozierten Waldbrände im Amazonas-Gebiet werden im EP zur Sprache kommen. Die „Sauerstoff-Lunge" des Amazonas gehört der Menschheit und nicht dem Präsidenten von Brasilien. Europa muss den nötigen Druck aufbauen, um diesen Raubbau zu stoppen. Das EP wird androhen, den Handelsvertrag mit Brasilien auf Eis zu legen, sollte die Regierung in Brasilia nicht zur Vernunft kommen.
Neben den Krisen gibt es auch Lichtblicke. Die äußerst rüde Politik der Lega Nord mit ihrem Innenminister Matteo Salvini ist Legende. Italien hat eine neue Regierung und mein ehemaliger Kollege Roberto Gualtieri ist italienischer Finanzminister. Ein überzeugter Europäer. Das böse Spiel mit dem ‚Italexit‘ aus dem Euro oder sogar der EU ist vorbei. Das EP wird darauf drängen, jetzt das Europäische Seenotrettungsprogramm „SeaWatch" neu anlaufen zu lassen. Es ist unerträglich, dass Menschen im Mittelmeer ersaufen und Rettungsschiffe keinen Hafen finden.
Europa ist so, wie es ist – mal wunderbar fortschrittlich und mal schrecklich engherzig. Langweilig wird es in der Europapolitik jedenfalls nicht. Auch nicht in der Plenarwoche des EP Mitte September. Übrigens: Die Debatten sind im Livestream auch zu Hause auf dem Sofa zu verfolgen.