Das Meer birgt eine ungeheure Kraft. Allein mit der Wellenenergie ließe sich theoretisch ein Viertel des weltweiten Strombedarfs decken. Bei der Umsetzung hapert es allerdings noch, wie Dipl.-Phys. Jochen Bard vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik erklärt.
Herr Bard, auf welche Weise lässt sich aus dem Meer Energie gewinnen?
Das Thema Meeresenergie ist sehr vielfältig. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung bei den Wellenkraftwerken sowie den Meeresströmungs- und Gezeitenkraftwerken. Letztere werden durch Gravitationskräfte angetrieben. Wellenenergie ist dagegen konzentrierte Windenergie: Sie entsteht dadurch, dass der Wind über lange Strecken über die Wasseroberfläche weht – je länger und je intensiver, umso größere Wellen entstehen und umso größer ist die Energie, die an das Wasser abgegeben wird. Es gibt aber noch viel mehr Möglichkeiten. Salzgradientenkraftwerke nutzen die Differenz zwischen den unterschiedlichen Salzkonzentrationen im Meer- und im Süßwasser, um daraus mittels eines osmotischen Verfahrens Energie zu gewinnen. Man kann sich auch die Temperaturdifferenz zwischen dem warmen Oberflächenwasser und dem kalten Wasser in den tieferen Meeresschichten zunutze machen, um damit eine Turbine anzutreiben. Die zur Verfügung stehenden Flächen sind riesig, allerdings ist der Wirkungsgrad nicht besonders hoch. Auch deshalb werden Wellen- und Gezeitenkraftwerke momentan am intensivsten verfolgt.
Wo werden solche Wellenkraftwerke gebaut: An der Küste oder auf dem offenen Meer?
Grundsätzlich ist das Energieangebot auf dem offenen Meer deutlich größer. Beispielsweise vor den Küsten Irlands, Schottlands, Norwegens oder der französischen Westküste, vor denen jeweils Tausende Kilometer von Atlantik liegen und das Meer entsprechend viel Windenergie tanken kann. In Binnenmeeren wie der Ostsee oder dem Mittelmeer funktioniert das Ganze nicht ganz so gut. Wenn die großen Wellen auf die Küsten auflaufen, verlieren sie dabei viel von ihrer Energie. Gleichzeitig ist die Wellenenergie weiter draußen aber natürlich schwieriger abzugreifen, weshalb sich einige Entwickler doch lieber auf die küstennahen Bereiche konzentrieren. Es gibt also ganz unterschiedliche Konzepte. Aufgrund der Komplexität der kreisförmigen Wellenbewegung ist die Frage, wie man die Wellenenergie am besten herausbekommt, nicht eindeutig zu beantworten.
Welche verschiedenen Ansätze gibt es?
Grob lassen sich vier Modelle unterscheiden. In Wellenkraftwerken mit pneumatischen Kammern drückt jede Welle das Wasser in eine Röhre und zieht es dann bei einem Wellental wieder heraus. Indem sich die Wassersäule auf und ab bewegt, wird die Luft verschieden stark komprimiert. Dadurch entsteht ein Luftstrom, der eine Turbine antreibt. Als Nächstes kann man das Wasser in eine Art Reservoir fließen lassen, von dem aus es über Turbinen, die einen Generator antreiben, zurück ins Meer fließt. Die dritte Möglichkeit ist die Nutzung der Bewegungsenergie von Auftriebs- oder Schwimmkörpern, die durch die Wellen in Bewegung versetzt werden, sogenannte Punktabsorber. Eine weitere Variante sind bewegliche Metallplatten, die relativ küstennah am Meeresboden verankert werden. Hier macht man sich die Tatsache zunutze, dass ein großer Teil der Wellenenergie durch Wasserbewegungen unter der Oberfläche übertragen wird. Wenn sich die Klappen hin- und herbewegen, wird daraus über einen Generator elektrische Energie erzeugt.
Und welcher Ansatz hat sich als der beste herausgestellt?
Auch das ist schwer zu sagen, weil die verschiedenen Verfahren eben für ganz unterschiedliche Bedingungen entwickelt wurden. Die pneumatischen Kammern waren mit die ersten Systeme, die vernünftig funktioniert haben. Sie wurden häufig in Wellenbrecher mit eingebaut, allerdings war der bauliche Aufwand und damit die Kosten relativ hoch im Verhältnis zur gewonnenen Energiemenge. Mittlerweile haben aber auch die Punktabsorber einen gewissen technischen Stand entwickelt. In Deutschland gibt es beispielsweise die Firma Sinn oder die Firma Nemos, die solche Schwimmkörper an Offshore-Windkraftanlagen befestigen wollen.
Wie viel Energie lässt sich aus dem Meer gewinnen?
Das theoretische Potenzial von Wellenenergie liegt sehr hoch und beträgt etwa ein Viertel des weltweiten Strombedarfs. Leider kommen die besten Wellen aber nicht unbedingt dort vor, wo sie gebraucht würden und wo der Strom genutzt werden könnte. Vieles spielt sich rund um den 40. Breitengrad auf der Südhalbkugel ab, vor den Küsten Australiens, Neuseelands, Chiles oder Argentiniens – und weniger vor den Küsten der großen Industrienationen. Deshalb muss man von diesem theoretischen Potenzial eine Menge Abstriche machen. In Europa haben wir ungefähr 1.000 Terrawattstunden an technisch nutzbarem Wellenenergiepotenzial. Das entspricht ungefähr dem Anderthalbfachen des deutschen Stromverbrauchs oder einem Sechstel des europäischen Strombedarfs. Allerdings müsste man die Meere dafür schon sehr intensiv mit Wellenenergiekonvertern bestücken, was momentan einfach nicht der Fall ist.
Wieso wird diese Technologie nicht intensiver genutzt?
Wir haben dazu vor einigen Jahren eine Studie für die Europäische Kommission gemacht. Ein Grund ist, dass sich eben nicht für jeden Standort die gleiche Anlage verwenden lässt. Die technologische Konvergenz ist dadurch sehr gering und der Entwicklungsaufwand deutlich höher. Die Kosten sinken damit nicht in dem Maße, wie es in den vergangenen etwa bei Fotovoltaikanlagen oder Windkraftanlagen der Fall war. Es lässt sich damit momentan einfach kein Geschäft machen. Eine weitere Herausforderung hat mit der besonderen Charakteristik der Ressource zu tun. Die Anlagen müssen auch die Winterstürme überstehen, bei denen die Wellenenergie um bis zu 100-mal höher sein kann. Zum Vergleich: Bei Windkraftanlagen liegt das Verhältnis der Spitzenleistung zur mittleren Leistung bei zwei zu eins. Das bedeutet, dass die Anlagen, damit sie das überleben, entweder sehr stabil sein oder besondere Features enthalten müssen, die diese Kraft abschwächt – was es nur noch teurer macht. Auch Wartung und Reparatur sind nicht ganz einfach.
Zumindest das Problem der Schwankungen hätte man bei Meeresströmungs- und Gezeitenkraftwerken nicht.
Das ist richtig. Die Gezeiten sind einem regelmäßigen Rhythmus unterworfen, das heißt, sie können sehr genau vorherberechnen, wann eine Anlage wie viel Strom erzeugt. Durch geschickte Kombination von zwei, drei Standorten lässt sich damit eine sehr hohe mittlere Leistung erreichen. Die Kosten sind aber auch hier noch zu hoch, als dass die Firmen ohne Förderung in den Markt hineinkommen würden. Zudem gibt es nur wenige geeignete Stellen. Wenn wir in Europa etwa 1.000 Terrawatt an Wellenenergiepotenzial zählen, dann sind es für Gezeitenströmungen nur noch 100 Terrawattstunden. Und weltweit sieht es ähnlich aus: Auch da gibt es nur einzelne Hotspots, an denen sich die Strömungsenergie vernünftig nutzen lässt.