Derzeit wird um Tarif-Reformen im Saar-ÖPNV gerungen. Das Wirtschaftsministerium hat Pläne vorgelegt, über deren Finanzierung noch gerungen wird. Damit der ÖPNV auch für Gelegenheitsnutzer und Umsteiger attraktiv wird, wäre noch einiges mehr zu verändern.
Im Augenblick orientiert sich der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) vor allem an den klassischen Zielgruppen: Schüler und Berufstätige. Gelegenheitsfahrer, die ihr Auto auch ab und an mal stehen lassen und den ÖPNV benutzen wollen, machen damit so ihre eigenen Erfahrungen. Eine Leserin, die diese Erfahrung einige Wochen gemacht hat, hat uns ihre Erlebnisse in einer ausführlichen Zuschrift zukommen lassen. Ihr Erfahrungsbericht bestätigt in etlichen konkreten Punkten, was bereits im Gutachten zum Saar-ÖPNV angemerkt war. Unter der Überschrift „Fahrpreise" schildert sie unter anderem ganz pragmatische Hindernisse:
„Dass der ÖPNV im Saarland besonders teuer ist, ist das eine (in Paris kostete mich im Juni ein Tagesticket für die gesamte Stadt inklusive Umland 1,35 Euro, im Großraum Malaga 1,55 Euro, lokale Busse sind dort derzeit kostenfrei). Die Bezahlmöglichkeiten sind das andere: Tickets können an den Haltestellen nur an Automaten außerhalb der Bahnen erstanden werden. Doch oft funktionieren die Geräte wochenlang nicht oder stehen so ungünstig, dass einfallendes Sonnenlicht ein Lesen des Displays verhindert. Glücklicherweise konnte ich dann jedesmal Karten bei den Fahrern haltender Busse kaufen, doch viele Haltestellen werden nicht von Bussen angefahren. Ich würde in einem solchen Fall schwarzfahren und habe erlebt, dass andere das gemacht haben. Hinzu kommt, dass die Tickets vor der Abfahrt eines Zuges gekauft werden müssen, sich manchmal aber längere Schlangen vor den Automaten bilden, weil entweder alle knapp dran sind oder jemand Unerfahrenes mit der Bedienung überfordert ist. Da kann es schnell passieren, dass eine Saarbahn abfährt, weil der Automat das Ticket noch nicht ausgegeben hat."
Ärger mit Fahrkarten und Anschlüssen
Ein weiteres Ärgernis sind ihre Erfahrungen mit Anschlüssen: „Die Anbindungen von Bussen an die Saarbahn ist an vielen Stellen suboptimal. Es ist natürlich sinnvoll, die Busse so ankommen zu lassen, dass die Fahrgäste die Saarbahn erreichen, insbesondere dann, wenn die Saarbahnen auch zu Stoßzeiten nur alle halbe Stunde fahren. Es ist aber nicht hilfreich, wenn die Busse dann sofort wieder losfahren und nicht die Ankunft der Saarbahn abwarten, so dass die Saarbahngäste auf dem Bahnsteig stehen bleiben."
Für flexible und kombinierte Mobilität ist der ÖPNV aus ihrer Sicht nicht ausgelegt, wie sie unter dem Stichwort „Platzmangel" deutlich macht: „Mein Auto ist nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern auch Zwischenlager für Notfälle: angefangen von Ersatzschuhen über Regenschirm, Sonnenbrille oder Deo bis hin zu Einkaufskörben und kleinem Werkzeugset. Dies alles täglich im ÖPNV mitzuschleppen ist nicht möglich. Ausgeschlossen sind zudem größere Einkäufe mit dem ÖPNV, weil es in den Saarbahnen keine Verstaumöglichkeiten gibt. In Zügen gibt es Gepäcknetze, in Flugzeugen zudem Platz unter den Sitzen für das Handgepäck, beides ist in den Saarbahnwaggons so gut wie nicht vorhanden. Es bleibt also nur, Wege zu versperren oder Sitzplätze zu belegen. Um mich dem ÖPNV nicht ständig aussetzen zu müssen, habe ich jede Gelegenheit genutzt und morgens mein Fahrrad mitgenommen, um damit zurückfahren zu können. Ich habe oftmals überlegt, darauf zu verzichten, denn die Fahrradmitnahme war nicht nur für mich, sondern auch für die anderen Fahrgäste eine Qual: In Spitzenzeiten mussten sich drei Fahrräder und drei Kinderwagen den knappen Platz teilen, hinzu kamen die Fahrgäste, die keinen Sitzplatz erhalten hatten. Ich hatte mir deshalb angewöhnt, bereits zwei Haltestellen vor meinem Ziel mein Fahrrad in die Nähe einer Tür zu bugsieren und war doch jedesmal froh, es rechtzeitig geschafft zu haben. Wenn es zukünftig erlaubt werden sollte, Räder schon vor 9 Uhr im Berufsverkehr mitzunehmen, möchte ich nicht die Aggressionen erleben, die dann unvermeidlich entstehen werden".
Eigentlich könnte die Verfasserin eine regelmäßigere ÖPNV-Nutzerin sein. Zumindest wenn es rein nach der Erreichbarkeit gehen würde, wie sie schildert. Allerdings hat sie sich nach ihren Erfahrungen auch so ihre Gedanken über das Thema „Zeitverlust" gemacht und kommt in ihrem Fall auf eine interessante Modellrechnung: „Im Februar meldete der Verkehrsdaten-Analyst Inrix, dass im vergangenen Jahr jedeR AutofahrerIn durchschnittlich 120 Stunden in einem Stau verbrachte – mit einem volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von 5,1 Milliarden Euro. Ich – trotz einer idealen Anbindung von etwa zehn Minuten Fußweg zur Saarbahnhaltestelle und einem fünfminütigen Fußweg zu meinem Arbeitsplatz – benötige pro Fahrt 20 Minuten länger als mit dem Auto. Das sind pro Tag 40 Minuten, pro Woche 200 Minuten und im Jahr 145 Stunden und 20 Minuten (Urlaubs- und Feiertage ausgerechnet), also erheblich länger als die durchschnittlichen Stauzeiten. Dabei habe ich eine ideale Anbindung an den ÖPNV, bei denjenigen, die auf Busse angewiesen sind, umsteigen müssen und womöglich in ländlichen Gebieten wohnen, ist der Zeitverlust erheblich größer. Der wirtschaftliche Gesamtschaden lässt sich vermutlich überhaupt nicht errechnen, ich wage ihn nicht einmal zu schätzen, aber dass er bei einem hohen Vielfachen der Stauzeiten liegt, ist klar."
Das „Fahren müssen" reduzieren
Das Ergebnis dieser Selbstversuche, über einige Wochen ohne Auto klarzukommen, fällt einigermaßen ernüchternd aus, gibt aber zugleich einen Hinweis auf eine grundsätzliche Perspektive:
„Viele der von mir genannten Punkte sind saarlandspezifisch und ließen sich abstellen, doch viele andere sind ÖPNV-immanent und nicht vermeidbar. Letztere aber sind für mich wesentlich, sodass für mich nur ein Schluss bleibt: ÖPNV? Nein danke! Selbst wenn er kostenlos wäre, ich würde ihn nur in Notfällen nutzen. Ich weiß auch, dass das hohe Verkehrsaufkommen und hier insbesondere der Individualverkehr erhebliche Schäden unterschiedlichster Art anrichtet, aber der ÖPNV ist nicht die Lösung. Wie wäre es stattdessen, die Ursachen für das hohe Verkehrsaufkommen anzugehen? Niemand setzt sich freiwillig diesem Verkehrsstress aus, wir fahren doch nur, weil wir es müssen. Dieses „Muss" zu reduzieren, wäre für alle eine Erleichterung, würde aber bedeuten, dass wir unsere Art zu wirtschaften (nicht nur deshalb) und die Raumplanung komplett umstellen müssen".