In Berlin werden die Fahrten mit U-Bahn und Bus teurer. Wie wäre es mal mit einer Preissenkung? Beispiele sprechen dafür, Argumente dagegen.
Da kriegen die Berliner mal was billiger und merken es gar nicht: Wer gedacht hatte, dass das Sonderangebot für eine Tageskarte für die U-Bahn am letzten Sommer-Sonntag des Jahres die Menschen in Scharen aus den Autos und in die Öffis treiben würde, sah sich getäuscht. Zwar waren die U-Bahnen ins Grüne gefüllt, aber das lag wohl eher daran, dass es noch so schön sonnig und warm war.
Wo man gerade schon bei den Ticketpreisen war: Wenige Tage später beschlossen Verkehrsbetriebe und Verkehrspolitiker, die Preise für die Fahrkarten im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg zu erhöhen: Ab 2020 wird ein BVG-Ticket für eine einfache Fahrt in der Innenstadt zehn Cent teurer, kostet dann also 2,90 Euro statt 2,80 Euro. Die Tageskarte wird sogar um 1,60 Euro teurer und kostet künftig 8,60 Euro.
Man kann die Verkehrspolitiker des Berliner Senats durchaus verstehen. Seit 2017 wurden die Preise nicht mehr erhöht, dafür gab es im Frühjahr einen happigen Tarifabschluss mit der Gewerkschaft Verdi im April, der die BVG 102 Millionen Euro kostet. Noch ist nicht klar, ob die BVG diese Kosten alleine übernehmen muss oder der Staat einspringt. Auch bei den kleinen Verkehrsbetrieben im Umland sieht es finanziell gar nicht rosig aus.
Modellprojekt für Günstige Jahrestickets
Die Preiserhöhung wirkt etwas aus der Zeit gefallen, wie die Berliner Opposition denn auch prompt anmerkte. Alle reden inzwischen über günstigere Fahrten mit den Öffentlichen, um den Umstieg vom Auto attraktiver zu machen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller geht seit einiger Zeit mit der Idee eines 365-Euro-Jahrestickets hausieren. Das Vorbild dabei ist Wien, das so ein Ticket seit Jahren hat. Ein Euro pro Tag eines Jahres – das kann sich jeder merken und wäre weniger als die Hälfte dessen, was ein Ticket in Berlin heute kostet.
Klar ist: Die BVG kann auf den zusätzlichen Kosten und Einnahmeausfällen für ein solches 365-Euro-Ticket nicht alleine sitzen bleiben. Ohne höheren staatlichen Zuschuss kann es nicht funktionieren. Aber kann sich Berlin das leisten? Seit dem Klimapaket der Bundesregierung darf Michael Müller sich Hoffnung auf neue Töpfe machen. Der Bund stellt Geld zur Verfügung, um „zusätzlich zehn Modellprojekte zur Stärkung des ÖPNV zu unterstützen, zum Beispiel die Einführung von 365-Euro-Jahrestickets", gibt die Bundesregierung an. In den Koalitionsverhandlungen in Brandenburg setzen sich die Grünen sogar dafür ein, dass das ganze Land ein Modellprojekt für ein solches Ticket wird. Das erscheint zwar noch etwas weit gegriffen, aber einzelne Städte sind schon dabei. Die Kleinstadt Senftenberg im Süden will übernächstes Jahr die allgemeine Freifahrt anbieten. Vorbild für kostenlose öffentliche Busse ist der idyllische Kurort Templin im Norden Brandenburgs. Mit 16.000 Einwohnern ist er zwar eine Kleinstadt, aber von der Fläche her steht Templin in Deutschland an achter Stelle. Der Ort bietet seit 1997 die städtischen Busse kostenlos an – und wurde vom Erfolg zunächst überwältigt: Die Fahrgastzahlen haben sich von 40.000 auf 600.000 verfünfzehnfacht – was dann doch zu viel war. Seither gibt es freie Fahrten für ein Jahresticket von 44 Euro – was immer noch sehr günstig ist, und die Fahrgastzahlen konnten sich so mit 200.000 pro Jahr auf einem guten Level einpendeln.
Die Stadt zahlt den Verkehrsbetrieben jährlich den Betrag, der diesen durch nicht verkaufte Fahrkarten entgangen ist. „Wir haben das gemacht, um die Innenstadt sicher und staufrei zu machen. Die bessere Luftqualität und der Imagegewinn geben uns Recht", sagt Sebastian Tattenberg von der Stadtverwaltung Templin. „Wir sind mit dem Modell über 20 Jahre gut gefahren, weiten es nun auf alle Ortsteile aus und empfehlen es gerne anderen Städten weiter."
Aber auch in anderen Ländern Europas gibt es ähnliche Beispiele. Haben freie oder 365-Euro-Tickets in Deutschland eine Chance? Können sie die Verkehrswende voranbringen? Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) verneint deutlich. „Es ist der falsche Ansatz, über Preise von Tickets zu reden, so lange das Angebot nicht stimmt", sagt Eike Arnold, stellvertretender Pressesprecher des VDV. „Preise sind nur ein Faktor bei der Entscheidung, ob jemand mit Auto oder Bus zur Arbeit fährt." In Wien sei der Anteil der Nutzer von Bussen und Bahnen zwar gestiegen – das geschah aber fast ausschließlich vor der Einführung des 365-Euro-Tickets 2012. „In Wien wurde über 20 Jahre viel in Busse, Bahnen investiert, und Parkzonen wurden intensiver bewirtschaftet, so dass das Angebot wirklich attraktiv wurde und die Fahrgastzahlen stark zunahmen. Erst dann wurden die Ticketpreise gesenkt." Dort fließt seither viel Geld aus den ordentlichen Parkgebühren für Autos in die ÖPNV-Finanzierung. Der Preis für den Transport ist ohnehin nicht das Entscheidende: „Die Fahrt mit dem Auto ist ja in der Regel bereits jetzt deutlich teurer, wenn man fair rechnet", sagt Arnold.
Staatlicher Zuschuss zum ÖPNV
Tatsächlich sind öffentliche Verkehre immer staatlich bezuschusst. Es geht immer um eine Aufteilung von Ticketerlösen und staatlichem Zuschuss. In keinem anderen Land ist der Staatsanteil dabei so niedrig wie in Deutschland. Durch die Ticketverkäufe werden hierzulande fast 70 Prozent der Kosten des öffentlichen Verkehrs finanziert, wie eine Studie der EU-Kommission, allerdings nur für Schienenverkehr, ermittelt hat. In Großbritannien sind es rund 60 Prozent und in den meisten anderen europäischen Ländern, wie Österreich, Frankreich und Italien, sogar unter 40 Prozent.
Man könnte also politisch entscheiden, den staatlichen Zuschuss zu erhöhen. Die Einnahmen durch Tickets beim ÖPNV liegen immerhin bei 13 Milliarden Euro. Das klingt zwar viel, ist aber nicht vollkommen unbezahlbar.
In Wien betrug der staatliche Zuschuss für die Verkehrsbetriebe zuletzt 324 Millionen Euro. Das ist deutlich weniger als der Zuschuss des Berliner Senats an die BVG in Höhe von 641 Millionen Euro – für mehr Verkehrsleistung.
Am Ende des Tages kommt es auf die Frage an: Wie hältst Du’s mit dem Preis? In jüngster Zeit hat sich unter Experten offenbar ein Konsens entwickelt, dass man Menschen mit Preisveränderungen zu einer Veränderung ihres Verhaltens bringen kann. Das ist ab einem bestimmten Punkt sicher richtig. In der Praxis aber geht es immer um kleine Preisänderungen, die meist zu gering sind, um die Entscheidung zu beeinflussen.
Zum nun beschlossenen Klimapakt gehört auch, die Tickets des Fernverkehrs der Deutschen Bahn nicht mehr mit 19, sondern mit sieben Prozent Mehrwertsteuer zu belasten. Die Bahn hat versprochen, die Preissenkung weiterzugeben. Aber angesichts der längst nicht mehr durchschaubaren Vielfalt der Bahnpreise scheint eine Preissenkung um zehn Prozent auch kein klares Preissignal aussenden zu können.
Ohnehin fallen große Unterschiede bei den Ticketpreisen auf. Sie haben sich meist über viele Jahre entwickelt. So sind London und Stockholm mit umgerechnet rund fünf Euro pro Einzelfahrt die teuersten Städte Europas. Die deutschen Großstädte liegen mit zweieinhalb bis drei Euro im Mittelfeld. Süd- und osteuropäische Großstädte kosten meist nur knapp zwei Euro pro Fahrt. Bleibt abzuwarten, ob bei den Preisen für den Verkehr nun etwas in Bewegung kommt.