Die Gedanken kreisen, der Kopf kommt nicht zur Ruhe, und eine echte Lösung will sich nicht finden lassen. Warum grübelt der Mensch überhaupt, was sind die Folgen der Grübelei, und wie kann man unerwünschte Gedanken abstellen?
Soll ich das wirklich machen, was wäre wenn und hätte ich damals nicht besser … ? Jeder kennt solche grüblerischen Gedanken. Schon kleine Auslöser können manchmal ausreichen, um sie in Gang zu bringen. Nicht selten entsteht aus einem simplen Gedanken dann ein richtiges Gedankenkarussell, das nicht mehr aufhört sich zu drehen und einen beschäftigt hält. Die Gedanken springen vom Hölzchen aufs Stöckchen, gehen zurück in unsere Vergangenheit oder präsentieren uns verschiedene Zukunftsvisionen.
Woher kommt das Grübeln und finden wir dadurch gute Lösungen? Grübeln bedeutet wiederholtes Nachdenken über ein bestimmtes Problem oder zu einer Frage. Also etwa: Warum hat sich meine Arbeitskollegin heute so blöd benommen, wie kann ich den Urlaub mit den Schwiegereltern so gestalten, dass er für alle erträglich wird, oder was mache ich, wenn ich die Prüfung nicht bestehe? Wenn alle Aufmerksamkeit auf ein und denselben Gedanken gerichtet ist, der sich fortwährend wiederholt und als unkontrollierbar und belastend wahrgenommen wird, dann steckt man mittendrin in der Grübelfalle. Lösungen findet man durch Grübeln nicht – glaubt das aber fälschlicherweise.
Grübeln ist eigentlich ein Versuch, ein Problem zu bewältigen und sich Erleichterung zu verschaffen, erklärt die Diplom-Psychologin Bona Lea Schwab. Sie hat das „Anti-Grübel-Buch. Gedankenzähmen für Einsteiger" geschrieben. „Wir haben das Gefühl, zumindest irgendetwas zu unternehmen, uns mit einem Problem oder Gefühl auseinanderzusetzen, auch wenn dabei nichts herauskommt. Diese kurzfristige Erleichterung ist auch der Grund, warum wir immer wieder darauf zurückgreifen", sagt die Psychologin. Dabei muss man zwischen Grübeln und Nachdenken unterscheiden. „Beim Nachdenken geht es häufig darum, wie wir mit einer Situation fertig werden oder wie wir etwas verändern können. Das ist nach vorne gerichtet und lösungsorientiert. Grübelgedanken werden hingegen von ungünstigen Denkmustern gelenkt und zementieren den als negativ empfundenen Istzustand." Wer grübelt, sehe sich und andere kritisch, habe eine versperrte Sicht auf Handlungsoptionen und bleibe passiv. Typische Gefühle, die das Grübeln hervorruft, seien Traurigkeit, Wut und Ohnmacht.
Ausschüttung des Stresshormons
Auch ihr Kollege, der Psychotherapeut Andreas Knuf, hat sich ausführlich mit dem Grübeln beschäftigt. Er glaubt, dass die Grübelei nicht nur deswegen stattfindet, weil wir uns Erleichterung verschaffen und ein Problem lösen wollen, sondern weil sie ein Ablenkungsmanöver unseres Gehirns ist. „Die Flucht in die Gedanken ist einer der verbreitetsten, raffiniertesten Tricks, die wir Menschen anwenden, um uns vor der Wahrnehmung von Gefühlen zu schützen", so der Psychotherapeut. Wer etwa Angst vor seiner Zukunft habe, grüble zum Beispiel viel über seine finanzielle Situation, über seine Rente oder über die Frage, ob er die richtige Rentenversicherung abgeschlossen habe. Irgendwann käme der Grübler vielleicht zu der Einsicht, dass es eigentlich gar nicht um die richtige Absicherung, sondern um die Angst vor dem Älterwerden gehe. Das Gefühl, Angst könne so aber nicht verarbeitet werden. „Auf der kognitiven Ebene kann ich ein emotionales Thema nicht verarbeiten. Wenn jemand nur auf der kognitiven Ebene arbeitet, kommen Handlungen raus, hinter denen kein Saft ist. Die verpuffen, die erlahmen schnell, die werden kraftlos. Denn unsere eigentliche Motivation kommt aus den Gefühlen." Das ist ihm zufolge auch der Grund, warum uns die Grübelei keine Lösungen bringt.
Auslöser für solche Grübelfallen braucht es kaum. Viele Menschen grübeln beispielsweise abends vor dem Schlafengehen, weil dann alles ruhig ist und keine Ablenkungsmöglichkeiten vorhanden sind. Besonders wenn man nichts zu tun hat, tauchen Grübelgedanken häufig auf. Zudem sind Frauen öfter vom Grübeln betroffen als Männer. Grübeln ist aber nicht angeboren. Ob man zum Grübeln neigt, hängt beispielsweise von Persönlichkeitsfaktoren und eigenen Erfahrungen ab. Wer unsicher ist, wenig offen für Neues und einen hohen Anspruch an sich selbst hat, wird eher zum Grübler.
Das Problem am Grübeln ist jedoch nicht nur, dass man keine Lösung findet, sondern dass unser Körper währenddessen auf Hochtouren läuft. Durch das Grübeln befeuert, schüttet er mehr vom Stresshormon Kortisol aus. Ein Team rund um den US-amerikanischen Verhaltensforscher William Gerin konnte zeigen, dass Alltagsgrübeln ebenso viel Stress erzeugt wie die stressige Situation selbst. In einem Experiment sollten sich je 30 Frauen und Männer an eine Situation aus dem vergangenen Jahr erinnern, bei der ihnen der Kragen geplatzt war. Danach schilderten sie den Versuchsleitern diese Situation. Bereits währenddessen schnellten bei allen Testpersonen Blutdruck und Herzfrequenz nach oben. Die Teilnehmer zeigten sämtliche Symptome von akutem, starkem Stress. Kurz darauf wurden sie in einen Ruheraum geschickt – im ersten Durchlauf war dies ein karges Wartezimmer, beim zweiten bot der Raum reichlich Ablenkung in Form von Zeitschriften, Geschicklichkeitsspielen und einer Pinnwand mit bunten Postkarten. Das Ergebnis: Wenn sich die Probanden ablenken konnten, kreisten nur noch 17 Prozent ihrer Gedanken um den Ärger. Wurden sie hingegen in das isolierte Wartezimmer geschickt, waren es 31 Prozent, also fast doppelt so viel. Zudem beruhigten sie sich auch erst elf Minuten später als die Abgelenkten. Ständiges Grübeln ist ein Zustand exzessiver Selbstaufmerksamkeit, der das Stresslevel auf konstantem Niveau hält. Und zwar unabhängig vom Ereignis. Das eigentliche Ziel des Grübelns, das Finden einer Lösung, wird nicht nur verfehlt, sondern unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, leidet. Die Psychologinnen Sonja Lyubomirksy und Susan Noelen-Hoeksema von der Stanford University konnten zeigen, dass Menschen, die viel grübelten, ihre Pläne eher verwarfen und mit ihren Entscheidungen unzufriedener waren als jene, die nicht grübelten.
Neben Stress und einer herabgesetzten Problemlösefähigkeit können auch Traurigkeit und Angst durch das Grübeln ausgelöst werden. Wer viel grübelt, hat sogar ein höheres Risiko psychisch zu erkranken. „Bei Menschen, die generell mehr grübeln, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, in eine Depression zu rutschen", sagt Doktor Silke Huffziger, psychologische Psychotherapeutin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. In zwei Studien rund um ihre Professorin Christine Kühner haben die Wissenschaftler auch festgestellt, dass Menschen, die schon einmal eine Depression durchlaufen haben, häufiger in dieser Art des Denkens bleiben und dadurch eher gefährdet sind, einen Rückfall zu erleiden. Wer, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, in Denkschleifen festhänge, verschlechtere seine Stimmung.
Ein lautes „Stopp!" soll helfen
Um der Grübelfalle zu entkommen, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Zunächst einmal muss man das Grübeln als solches erkennen. Der Leiter des Zentrums für Psychotherapie Bochum, Tobias Teismann, hat mit seinen Kollegen eine Faustregel aufgestellt. Weiß ein Patient nicht, ob er noch nachdenkt oder schon am Grübeln ist, macht Teismann einen Zwei-Minuten-Test: Er fordert die betreffende Person auf, ihre Gedanken für zwei Minuten weiterzuverfolgen. Anschließend soll sie sich folgende Fragen stellen: Bin ich einer Lösung nähergekommen? Habe ich etwas verstanden, was mir vorher nicht klar war? Fühle ich mich weniger depressiv? Wer keine der Fragen mit ja beantworte, grübele wahrscheinlich.
Um dann aus der Grübelfalle auszusteigen, hilft es, sich seine Gedanken ganz bewusst aufzuschreiben und dabei auch zu überlegen, wann und wo man grübelt und auch zu schauen, was die Grübelgedanken ausgelöst haben könnte. Ziel ist es, dadurch immer früher wahrzunehmen, dass man grübelt. Wer sich selbst ertappt, kann lernen, den Automatismus zu unterbrechen. Bona Lea Schwab empfiehlt dazu eine Technik aus der Verhaltenstherapie, den sogenannten Gedankenstopp. „Mit ihm stoppt man den destruktiven Gedankenfluss. Sobald man merkt, dass man grübelt, sagt man sich innerlich: Stopp! Noch besser ist es, das Wort laut auszusprechen", so die Psychologin. Danach solle man am besten etwas Aktives tun, wie die Spülmaschine ausräumen oder Akten sortieren. Auch hilfreich sei, sich einen Grübelort zu suchen, an dem man sich ausdrücklich erlaubt, solchen Gedanken nachzugehen. „Am besten zu einer festen Uhrzeit, die man sich dafür reserviert. Das sollte ein nicht zu bequemer Ort sein, an dem man maximal zehn Minuten seinen Gedanken nachhängt. Diese Methode eignet sich für hartnäckige Grübelgedanken, die man mit den anderen Übungen nicht in den Griff bekommt. Man kann sich im Laufe des Tages auf später vertrösten und sich selbst gestatten zu grübeln – nur dass man eben die Regeln selbst festlegt, nach denen dies geschieht."
Psychotherapeut Andreas Knuf, der das Buch „Ruhe da oben. Der Weg zu einem gelassenen Geist" geschrieben hat, rät neben dem Aufschreiben der Gedanken auch dazu, sich Was- statt Warum-Fragen zu stellen. „Klienten kommen ganz oft mit der Warum-Frage: Warum verhalte ich mich so, warum habe ich diesen Konflikt mit meinem Partner? Ich entgegne dann, dass ihnen die Antwort auf diese Frage höchstwahrscheinlich überhaupt nicht weiterhilft", so Knuf. Die Frage nach Ursachen und Hintergründen sei natürlich wichtig, aber wenn sich Menschen dabei verhaken, könne es helfen, Was-Fragen zu stellen. „Was fühle ich gerade? Was habe ich bei dem Streit gefühlt? Was möchte ich? Was brauche ich? Diese Umformulierung kann helfen, die ohnehin rasenden Gedanken in die Gegenwart und auf die Gefühle zu lenken." Wer nicht eigenständig aus seinen grüblerischen Gedanken aussteigen kann, sie aber als unkontrollierbar und belastend wahrnimmt, dem kann ein Gang zum Experten helfen.