Eigentlich sollte die neue EU-Kommission zum 1. November die Arbeit aufnehmen. Der Streit um die Besetzung macht den Termin fraglich. Klar sind dagegen die großen Herausforderungen.
Manfred Weber lässt an der Ernsthaftigkeit seiner Sorgen keine Zweifel aufkommen. Als er vor dem Deutschlandtag der Jungen Union in Saarbrücken betont, es gehe um nicht weniger als die Frage, „ob Europa sich von der Weltbühne verabschiedet", war der Satz alles andere als eine bloße Parteitagsfloskel. Dass Europa in neuen nationalen Großmachtstreben zwischen den USA und China (manche nennen dazu auch noch Russland) in eine Nebenrolle zu geraten droht, ist keine neue Sorge. Aber sie wird täglich drängender.
In Europa, womit Weber in diesem Fall die EU meint, habe ein ernsthafter Umdenkprozess „immer erst nach großen Krisen" eingesetzt. Und an denen hat es in jüngster Vergangenheit keinen Mangel gegeben. Aus der Banken- und Finanz- sowie der Eurokrise habe die EU Konsequenzen gezogen. In Fragen der Migration sei man inzwischen zumindest auf dem Weg.
Umdenken erst nach großen Krisen
Er hoffe nun, „dass wir nicht erst wieder eine große Krise brauchen", um angesichts der ja nicht gerade neuen Herausforderungen weiter zu kommen. Die EU müsse, so Webers Credo, lernen, vorauszudenken.
Das Gerangel um die neue Kommission wirkt dagegen kaum als ein strategisches Vorausdenken, kommt eher wie ein Nachkarten und eine Vergangenheitsbewältigung der besonderen Art daher. Die Vorgänge nach den Europawahlen sind in der Tat einmalig und werden die neue Kommission – so sie denn endlich zustandekommt – in der ganzen Legislaturperiode begleiten.
„Kann die EU Weltpolitik?" ist eine der zentralen Fragen an die neue Kommission, als hätte die mit dem Brexit (wie immer der jetzt ausgeht) und all den Baustellen, die in den letzten Jahren nicht geschlossen werden konnten, nicht ohnehin schon alle Hände voll zu tun.
Dabei wird es auch eine Emanzipation von den USA geben. Er glaube nicht, dass die Entwicklung unter Präsident Trump die „Entwicklung eines einzelnen Präsidenten" sei, betonte Weber. Damit stehen Sicherheitsfragen oben auf der Agenda. Die Entwicklung in der Türkei und der Angriff auf Nordsyrien, stellen vieles infrage. Hatte die EU in unerwarteter Klarheit und Einmütigkeit seinerzeit mit Sanktionen gegenüber Russland reagiert, reichte es diesmal in einer ersten Reaktion nur zu einem Aufruf an die Mitgliedsstaate, Waffenexporte an den Nato-Partner zu überprüfen. Manfred Weber hatte sich zuvor noch für Wirtschaftssanktionen ausgesprochen und dabei auch konkret auf die geplante Investition von VW verwiesen. Das Unternehmen plant ein Werk in der Türkei für den Export nach Osteuropa. „VW trägt auch eine gesellschaftliche Verantwortung", sagte Weber. Im Übrigen setzt sich der konservative Spitzenpolitiker für eine echte europäische Armee ein, deren Einsatz aber – nach deutschem Vorbild – unter einem Parlamentsvorbehalt stehen sollte.
Für regelbasierte Weltordnung
„Mehr Weltpolitikfähigkeit, bitte", hatte die „Zeit" bereits vor eineinhalb Jahren zur Münchner Sicherheitskonferenz angemahnt. Darauf sei die Union eigentlich nicht angelegt, antwortete seinerzeit Juncker, und ergänzte: „Die Umstände bringen es mit sich, dass wir uns um Weltpolitikfähigkeit bemühen müssen." Mit den Umständen meinte er den zunehmenden Rückzug der USA und die Erosion der bisherigen Weltordnung. Was aber „weltpolitikfähig" heißt, ist noch schwammig. Ein europäischer Flugzeugträger, wie er immer mal wieder ins Gespräch gebracht wurde, mag als Nukleus einer integrierten europäischen Verteidigungspolitik taugen, eine multilaterale und regelbasierte Weltordnung, wie sie auf der Agenda 2019 bis 2024 der EU steht, wird er kaum erreichen.
Bei allem Ringen in diesen Megathemen sind zwei Zielsetzungen der künftigen Kommission klar definiert und stark besetzt: Frans Timmermanns steht für einen neuen „green deal" und europäische Klimaziele, Magrethe Vestager für die digitale Zukunft.