Viele Modekonzerne bringen alle zwei Wochen neue Kollektionen auf den Markt. Kein Wunder, dass die Abläufe in der Fashionindustrie von immer schnellerem Tempo geprägt sind. Welch drastische Auswirkungen diese Entwicklung hat, zeigt eine Ausstellung in Berlin.
Die Dramaturgie ist eindeutig – dunkel gegen hell, bedrückende Bilder und erschreckende Fakten versus Konzepte, die Hoffnung wecken. Und klar auch die Message – Modekonsum und Massenproduktion billiger Kleidung sorgen für Ressourcenverschwendung, Umweltzerstörung und desolate Lebensbedingungen der Textilarbeiter in den Herstellerländern. Das dokumentiert die Ausstellung „Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode" im Berliner Museum Europäischer Kulturen aufs Eindringlichste. Dabei stammt der „Löwenanteil" der Schau, der Part, der eben den Blick hinter die Kulissen einer nur scheinbar glamourösen Branche wirft, bereits aus dem Jahr 2015. Und wurde als Reaktion auf die Katastrophe von „Rana Plaza", dem Gebäudeeinsturz einer Textilfabrik in Bangladesch im Jahr 2013 mit über 1.100 Toten, konzipiert – zunächst für das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
Alternative Konzepte und achtsamer Ressourcenverbrauch
Doch die Ausstellung fand dort einen solchen Anklang, dass sie auf Wanderschaft ging, unter anderem in St. Gallen, Köln, Manila und Jakarta – also auch in textilproduzierenden Ländern – zu sehen war. Nun ist sie in Berlin angekommen – und hier durch einen zweiten Teil zum Thema „Slow Fashion" ergänzt worden. Schließlich wolle man alternative Konzepte vorstellen, erklärt Kuratorin Judith Schühle, beispielsweise Designer, die neue Materialien entwickelten, um dem Ressourcenverbrauch beim Baumwollanbau etwas entgegenzusetzen.
Bevor Besucher allerdings in den hell gestalteten Saal mit verschiedenen interaktiven Angeboten und den Präsentationen zu unterschiedlichsten Nachhaltigkeitsansätzen kommen, geht es durch drei dunkle Räume, in denen der Weg von Mode vom Catwalk übers Werbeplakat bis in die Umkleidekabine nachvollzogen wird. Flankiert freilich von Fotoserien, bei denen es unter anderem um die Arbeitsbedingungen in großen Textilfabriken in Asien geht, um lange Arbeitstage, von nur wenigen Pausen unterbrochen. Um miserable Entlohnung, um mangelnde Mitbestimmung beziehungsweise Einschüchterung der Arbeiter, falls sich diese doch einmal trauen sollten, zu protestieren. In einem Videoclip erzählen gewerkschaftlich organisierte Textilarbeiterinnen aus der Türkei von Repressalien und Isolierung, andere Filmsequenzen schildern den fast hoffnungslosen Alltag Mindestlohn verdienender Arbeiterinnen in Marokko. Sie seien zu arm, um zu heiraten, sagen die Frauen lächelnd, wie könnten sie je von ihrem niedrigen Lohn auch noch eine Familie ernähren.
Eine der nächsten Stationen – Beiträge zur sogenannten Veredelung von Textilien. Ein irreführender Begriff sei „Veredelung" in diesem Zusammenhang, sagt Ausstellungskuratorin Schühle. Denn eigentlich gehe es um die Bearbeitung von Materialien mit Chemikalien, um Leder oder Stoffe für die Produktion vorzubereiten, um sie robuster zu machen – oder wie beim „Wasted Look" von Jeans – modische Akzente zu setzen. Dass das mit reichlich Umweltschäden und gesundheitlichen Nebenwirkungen für die Hersteller verbunden ist, sei vielen Konsumenten in den Abnehmerländern nicht so recht bewusst. Und dabei sei man auch hierzulande vom mitunter extremen Chemieeinsatz bei der Textilproduktion betroffen, Kontaktallergien durch billig produzierte Kleidung werden immer häufiger.
Bei all den Factsheets, den Videos und eindrücklichen Fotos wird schnell klar, wie eng die vielen kleinen Rädchen bei der Massenherstellung ineinandergreifen, in welch irrsinnigem Tempo sie sich bewegen. Denn die großen Ketten bringen mittlerweile etwa alle zwei Wochen neue Kollektionen auf den Markt, logisch also, dass dadurch der Druck in den Herstellerländern, in der gesamten Kette der Subunternehmen bis zur einzelnen Arbeiterin hindurch immer weiterwächst. Ein Dokumentarfilm zum Beispiel gibt Einblick in den Alltag eines indischen Baumwollbauern. Der muss reichlich Pestizide einsetzen, um überhaupt eine halbwegs rentable Ernte erzielen zu können. Und bekommt in der Stadt von Zwischenhändlern teilweise nervenschädigende Chemikalien verkauft, deren Einsatz hierzulande längst verboten ist. Kein Wunder also, dass die Arbeiterinnen, die die geerntete Baumwolle sortieren, über starke Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindelanfälle klagen. Dennoch, der Produktionsstress sei so groß, dass „keine Zeit für Skrupel" bleibe, heißt es in der Dokumentation über den Pestizideinsatz.
Auch der letzte der drei „Fast Fashion"-Ausstellungsräume hat es in sich. Eine Fotoserie zeigt den Aralsee, einst das viertgrößte Binnenmeer der Erde. Durch exzessive Landwirtschaft in den Anrainerstaaten, insbesondere den Baumwollanbau in Usbekistan, war die Fläche in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch geschrumpft, der Wasserspiegel extrem gesunken. Im Uferschlamm fanden sich hohe Rückstände giftiger Stoffe, Nebenprodukte unsauber hergestellter Insektizide. Das verbunden mit der Austrocknung des Sees und dem umhergewehten Salzstaub sorgte für erhebliche Gesundheitsschäden bei der Bevölkerung. Mittlerweile gibt es jedoch wieder Hoffnung am und für den Aralsee – zumindest für den nördlichen in Kasachstan liegenden Teil. Ein von der Weltbank mitfinanzierter Staudamm hat den Wasserspiegel wieder ordentlich ansteigen lassen.
Früher wurde Kleidung immer weitergegeben
Wie auch weitaus kleinere Projekte ihren Teil dazu beitragen können, der Modemassenproduktion etwas entgegenzusetzen, zeigt der Bereich „Slow Fashion". Berlin sei für diesen stetig wachsenden Bereich einer der wichtigsten Standorte, sagt Schühle. Nicht nur, weil hier zweimal jährlich im Rahmen der Fashionweek die Nachhaltigkeitsmesse „Neonyt" stattfindet. Pioniere der Branche haben ganz unterschiedliche Ansätze entwickelt, wie man beispielsweise alte Materialien upcyclen kann, aus ihnen also Höherwertiges herstellen kann. Ein Beispiel dafür ist Designerin Rut Meyburg, die in ihrer Schöneberger Werkstatt Rucksäcke und Taschen aus alten Ledersofas entwirft. Denn in der Regel ist das Möbelleder noch gut erhalten, vor allem an den Rückseiten oft fast wie neu. Und etwaige Gebrauchsspuren oder Kratzspuren des vierbeinigen Mitbewohners sorgen auch bei der Umhängetasche oder der Clutch für Authentizität.
Gleich nebenan: ein paar Kästchen mit Proben neuer Materialien – darunter das aus Algen produzierte Seacell, das sich weich und kühl anfühlt. Oder Pinatex, das sich auf den ersten Blick kaum von robustem Leder unterscheidet, in Wirklichkeit aber vegan ist – aus Pflanzen – und größtenteils aus Ananasfasern hergestellt wird.
Eine ganze Reihe von Labels hat sich mittlerweile auf die Arbeit mit dem neuen Material spezialisiert – und verwendet es für Sneaker und Sandalen, Taschen und Bikerjacken im Glitzerlook. „Slow Fashion" muss also nicht langweilig sein, befindet auch die Ausstellung und hat zum Beweis eine Schaufensterpuppenfamilie mit Kleidung unterschiedlichster Nachhaltigkeitslabels ausgestattet. Da gibt es die Jeansjacke des holländischen Labels Mud, das Kleidung monatsweise gegen Gebühr verleiht, oder die Strumpfhose von Swedish Stockings, dessen Produkte allesamt aus 100 Prozent recyceltem Polyester gefertigt werden. Dazu Oberteile, die bei einem „Clothing Swap" eingetauscht wurden – auch das ein Beispiel der Schau für nachhaltigen Umgang mit Kleidung.
Das Aufheben, Weiterreichen, Tauschen alter Kleidungsstücke sei früher selbstverständlicher gewesen, sagt die Ausstellungskuratorin Schühle und deutet auf zwei Figurinen aus den 40er-Jahren. Damals habe man gerade in Zeiten des Zweiten Weltkriegs mit Kleidung bedachter umgehen müssen. Ein Rock, der sich durch eingenähte Falten quasi beim Wachsen der Trägerin verlängern lässt, oder Schuhe, die aus grobem Leinenstoff und Lederbändern selbst gefertigt wurden, sind nur einige Beispiele dafür. Die aber scheinbar auch den Nerv vieler Ausstellungsbesucher getroffen haben. An einer Pinnwand nämlich können Etiketten mit Vorschlägen für „Slow Fashion" angebracht werden. Und da ist immer wieder vom Aufheben alter Kleidung, vom Reparieren oder Upcyclen die Rede. Während eine Besucherin noch einen ganz besonderen Tipp parat hat: Aus alten T-Shirts, so schreibt sie, könne man nämlich hervorragende mehrfach verwendbare Abschmink-Pads nähen.
Die Ausstellung „Fast Fashion. Schattenseiten der Mode" ist bis zum 2. August 2020 im Museum Europäischer Kulturen zu sehen. Infos im Internet: www.smb.museum/mek