Vor 100 Jahren wurde Beate Uhse geboren. Zu Lebzeiten als „Orgas-Muse" verunglimpft, erhielt sie erst in späten Jahren öffentliche Anerkennung. In den 60ern galt sie als wichtigste Person der sexuellen Revolution und baute weltweit den größten Erotik-Konzern auf.
Ihrem ersten Sexshop haftete rein gar nichts vom späteren Schmuddel-Image an. Und auch der offizielle Name – „Fachgeschäft für Ehehygiene" –
gab wenig von dem preis, welche Art von Waren hier tatsächlich angeboten wurden, die im steifen Behördendeutsch bald als Sortiment des „erotisierenden Zubehörhandels" bezeichnet werden sollten. Auch die Einrichtung des Ladens war unauffällig-schlicht gehalten, wies große Ähnlichkeit mit dem Interieur einer Apotheke auf, ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wurde, dass alle Mitarbeiter ganz in Weiß gekleidet waren. Die Eröffnung im Städtchen Flensburg 1962 wurde ganz bewusst in die Vorweihnachtszeit gelegt, weil man hoffte, dass in der Vorfreude auf die Festtage die Lust auf Zerstörung der Fensterfront durch selbsternannte Sittenwächter nicht so groß sein würde.
Denn Anfeindungen schlimmster Art gehörten von Anfang an zum Alltagsgeschäft des am 22. Februar 1951 gegründeten „Versandhauses Beate Uhse". Die Inhaberin wurde regelmäßig mit wüsten Schimpfnamen wie „Beate Schweinskram" oder „Orgas-Muse" verunglimpft. Neben breiten konservativen Kreisen, die den geistig-kulturellen Zusammenbruch durch einen von Beate Uhse ausgelösten Sittenverfall an die Wand malten, waren es vor allem die Justiz und die Kirche mit ihrem als unerbittlichem Moralwächter fungierenden Volkswartbund, unter deren Attacken das damals noch junge, aber schon erfolgreiche Unternehmen am meisten zu leiden hatte. Beate Rotermund, wie die Firmengründerin nach ihrer zweiten Eheschließung hieß, wurde zur meist angezeigten Frau der Republik. Im Laufe ihres Unternehmerlebens musste sie mehr als 2.000 Anklageschriften samt Ermittlungsverfahren über sich ergehen lassen, 700-mal musste sie sich vor Gericht gegen den Vorwurf der Beihilfe zur Unzucht verteidigen, was ihr ziemlich erfolgreich gelang, denn nur ein einziges Mal im Jahr 1981 wurde sie rechtskräftig verurteilt.
Von ihren Eltern weltoffen erzogen und früh aufgeklärt
Bis zur Aufhebung des Pornografie-Verbots-Paragrafen im Zuge der Reform des Sexualstrafrechts im Jahr 1975 schritten Firma und Inhaberin immer auf einem hauchdünn-seidenen Rechtsfaden, schon der Verkauf von Kondomen an Unverheiratete beispielsweise galt als Straftatbestand. Beate Rotermund-Uhse, die wegen ihres Eintretens für den offenen Umgang mit Sexualität und Erotik sowie für ihren essenziellen Beitrag zur Liberalisierung der Sexualmoral und der Pornografisierung der Gesellschaft von fortschrittlich-liberalen Kräften häufig als „Mutter Courage des Tabubruchs" tituliert wurde und die sich selbst zeitlebens als Vorkämpferin der Gleichberechtigung ansah, war eine der wenigen Frauen im frühen Nachkriegsdeutschland, die als Unternehmerin fast ohne männlichen Beistand erfolgreich in der Wirtschaft durchstarten konnte. Im Rekordjahr 2005, das die Firmengründerin allerdings nicht mehr erleben sollte, machte die börsennotierte „Beate Uhse AG" als größter Erotik-Konzern der Welt gut 280 Millionen Euro Umsatz. Danach ging es mit dem Sex-Imperium im Zuge der im Internet spielend leicht verfügbaren Pornografie steil bergab, was letztlich zur Doppel-Insolvenz der Jahre 2017 und 2019 führen sollte.
Beate Köstlin wurde am 15. Oktober 1919 im ostpreußischen Dörfchen Wargenau geboren. Ihr Vater Otto Köstlin war Gutsbesitzer, die Mutter Margarete war eine der ersten Frauen, die in Deutschland als Ärztin praktizieren durfte. Beate wurde von ihren Eltern sehr weltoffen erzogen, sie wurde schon früh sexuell aufgeklärt und mit Tipps zur Intimhygiene versorgt. Die Schulausbildung absolvierte sie größtenteils fern der Heimat, zunächst zwischen 1931 und 1934 in der vom Reformpädagogen Martin Luseke geführten „Schule am Meer" auf der Nordseeinsel Juist, danach bis zur Reifeprüfung in der Odenwaldschule in Ober-Hambach, heute einem Stadtteil von Heppenheim. Nach einem einjährigen Aufenthalt als Au-pair-Mädchen in England kehrte sie aufs elterliche Gut zurück, um dort eine Ausbildung in Hauswirtschaft zu absolvieren. Doch schon 1937 zog sie nach Berlin, um sich ihren Jugendtraum als Fliegerin zu erfüllen. Sie entpuppte sich als Naturtalent, machte einen Flugschein nach dem anderen, wurde auch eine erfolgreiche Kunstfliegerin, die sogar von der UFA für Filmstunts verpflichtet wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie ähnlich wie ihre berühmten Kolleginnen Hanna Reitsch oder Gräfin Schenk von Stauffenberg im Rang eines Hauptmanns von der Luftwaffe der Wehrmacht zum Überführen von Flugzeugen an verschiedene Standorte verpflichtet. Gegen Kriegsende gelang der jungen Witwe – ihr früherer Fluglehrer und Ehemann Hans-Jürgen Uhse war bei einem Unfall im Mai 1944 ums Leben gekommen – mit einer gekaperten Maschine gemeinsam mit ihrem 1943 geborenen Sohn Klaus die Flucht durch die Lüfte aus dem schon von russischen Truppen besetzten Berlin.
Kleiner Ratgeber über Verhütungsmethoden
Nach ihrer Landung in Flensburg geriet sie kurz in britische Kriegsgefangenschaft und hielt sich anschließend durch Schwarzmarktgeschäfte und Arbeiten in der Landwirtschaft über Wasser. Die Probleme junger Frauen, die in den damals unsicheren Zeiten ungewollt schwanger wurden, weil Kondome nicht verfügbar und ohnehin Kenntnisse über Empfängnisverhütung kaum vorhanden waren, brachte sie auf die Idee, einen kleinen Handzettel-Ratgeber mit dem Titel „Schrift X" über die Knaus-Ogino-Methode zu verfassen. Für zwei Reichsmark pro Stück konnte sie davon 1947 rund 32.000 Exemplare verkaufen. Nachdem sie im Oktober 1949 den Flensburger Kaufmann Ernst-Walter Rotermund geheiratet hatte, der nicht nur seinen Sohn Dirk mit in die Ehe brachte, sondern auch hilfreiche Kenntnisse über das Waren-Vertriebswesen, ließ Beate, die schon im Mai 1949 den Sohn Ulrich zur Welt gebracht hatte, 1951 ihr „Spezialversandhaus für Ehe- und Sexualliteratur und für hygienische Artikel" ins Flensburger Handelsregister eintragen.
Im ersten Beate-Uhse-Katalog aus dem Jahr 1952, der deutschen Haushalten gratis und ungefragt zugesandt wurde, waren unter den rund 50 gelisteten Artikeln schon nicht mehr nur Bücher vertreten, sondern beispielsweise auch Kondome. Sextoys suchte man darin damals allerdings noch vergeblich. Ein Jahr später konnte die Produktpalette dank Zukäufen eines Unterwäscheateliers, einer Foto- und Filmgesellschaft, einer Druckerei oder zweier Verlage schnell weiter ausgebaut werden. 1956 überschritt der Umsatz des Versandhauses Beate Uhse erstmals die Eine-Million-Mark-Grenze, wozu auch die Präsentation des ersten Vibrators beigetragen haben dürfte. 1969 wurde ein neues Firmengebäude eingeweiht, das von den Einheimischen gleich den Namen „Sexeck" erhielt und über das erste Großraumbüro Europas verfügte. 1972 endete Beates Ehe mit Rotermund in einem Rosenkrieg und einer Abfindung in Höhe von drei Millionen Mark an den Ex, er vergnügte sich mit einer Geliebten, sie fand auf ihrer Flucht auf die Bahamas einen neuen Partner, der in New York als Lehrer tätig war und einen Pilotenschein besaß. Das Paar trennte sich 1980 in beiderseitigem Einvernehmen.
Letzte Lebensjahre verbrachte sie in Florida
Nach der Streichung des Pornografie-Paragrafen begann das Unternehmen 1975 mit der Produktion und dem Verleih von pornografischen Filmen, was die Frauenbewegung ebenso auf die Palme brachte wie der Ausbau der Blue-Movie-Kinos, vor allem auch nach Übernahme der Sex-Shop-Kette Dr. Müller’s 1979. Um den ständigen Zwist zwischen den drei Söhnen zu beenden, teilte Beate 1981 ihr Imperium in zwei Teile auf. Klaus, der 1984 starb, und Dirk übernahmen den Versand- und Großhandel und nannten ihr Unternehmen „Orion". Beate und Ulrich konzentrierten sich zunächst auf das Filial- und Filmgeschäft, bauten aber ab 1986 auch wieder einen Erotik-Versandhandel auf, der nach der Wende auch in den neuen Bundesländern schnell expandierte. 1992 verabschiedete sich Beate, die 1983 eine Magenkrebserkrankung erfolgreich bekämpft hatte, aus dem Tagesgeschäft und zog sich in den Aufsichtsrat der Firma zurück, die 1999 als weltweit erstes Erotik-Unternehmen den Börsengang wagen und deren Aktien sogleich unter die wichtigsten 100 deutschen Wertpapiere aufsteigen sollte. Beate Rotermund erhielt erst in den späten 90ern öffentliche Anerkennung und ließ 1996 in Berlin das Beate Uhse Erotik-Museum eröffnen. Im fortgeschrittenen Alter betrieb sie neben ihren Lieblingshobbys Tennis, Fliegen, Fallschirmspringen und Skilaufen noch Tauchen und Golfen und veröffentlichte 1989 ihre Autobiografie „Mit Lust und Liebe". Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie größtenteils in ihrem Haus in Florida. Sie starb am 16. Juli 2001 im Alter von 81 Jahren an einer Lungenentzündung in einem Krankenhaus im Schweizer St. Gallen.