Ford hat mit dem Ranger Raptor so etwas wie den kleinen Bruder des F-150 Raptor nach Deutschland gebracht. Der Neuling ist zwar auch nicht wirklich „klein", aber mit 5,36 Meter Länge und 2,03 Meter Breite noch halbwegs europatauglich. Der Ranger selbst ist in Deutschland und Europa der meistverkaufte Pick-up – und jetzt ist er noch ein Stück abgefahrener.
Keine Frage, Pick-ups spielen in Deutschland (immer noch) eine automobile Nebenrolle. Anders ist das in den USA, wo regelmäßig mehrere Modelle aus der Kategorie der allradbetriebenen Pritschenwagen in den Top Ten der Zulassungszahlen zu finden sind. Dort fährt der Professor mit dem Pick-Up ebenso zur Uni wie der Student, die Hausfrau rollt damit zum Einkaufen zur Shopping Mall, der Handwerker mit Werkzeug und Baumaterial zum Kunden, der Farmer bringt Heuballen zu seinen Tieren. Kurzum: Unabhängig von Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder Hautfarbe, beruflicher Stellung oder Einkommen ist der Pick-Up in den USA ein klassenloses und höchst nützliches Fahrzeug für alle, die Personen und Ladegut transportieren wollen oder müssen.
Hierzulande greifen nicht nur Garten- und Landschaftsbauer zum Pick-Up, sondern auch Menschen, die ihr Zuhause mit einem Ofen heizen und ihr Holz gerne selbst im Wald schlagen. Oder Häuslebauer, die am Wochenende schon mal sperriges und schweres Baumaterial transportieren. Auch Camper, die die Variabilität einer absetzbaren Wohnkabine schätzen, die am Wochenende oder für die Urlaubsreise rasch auf der Pritsche montiert ist. Oder einfach all jene, denen die Optik gefällt und die den Allradantrieb und den damit verbundenen Traktionsgewinn zu schätzen wissen. Viele dieser Menschen greifen zum Ford Ranger. In Deutschland fand er im ersten Halbjahr 2019 genau 5.016 Käufer, was gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr ein sattes Plus von 50,4 Prozent bedeutet. Europaweit legten sich im gleichen Zeitraum 26.064 Menschen einen Ranger zu, ein Plus von 10,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
In den USA beliebtes Allzweckfahrzeug
Wer den Ford F-150 Raptor kennt, weiß um dessen 450 PS starken Biturbo-V6, der es in knapp fünf Sekunden von null auf 100 km/h schafft. Ganz so üppig hat es der „Euro"-Raptor dann doch nicht unter der Haube. Er muss mit einem Zweiliter-Diesel auskommen, der es mit zwei Turbos auf eine Leistung von 156 kW/213 PS bringt. Beeindruckender sind die 500 Nm, die für einen Diesel-Vierzylinder mehr als ordentlich sind. Gekoppelt ist das Antriebsaggregat an eine Zehn-Gang-Automatik. Sie verrichtet ihren Dienst unaufgeregt und kaum spürbar. Und das ist so ziemlich das Beste, was man von einem Automatik-antrieb sagen kann. Weniger toll ist hingegen der überaus lange Bremsweg, der alles andere als zeitgemäß ist.
Damit es dem Fahrer nicht langweilig wird, hat Ford seinem allradbetriebenen neuesten Spielzeug sechs Fahrmodi spendiert. Sie unterscheiden sich in den Punkten Heck-/Allradantrieb, Ansprechverhalten des Motors, Traktions- und Stabilitätskontrolle. Beinahe selbsterklärend sind die Betriebszustände „Normal", „Gras/Schotter/Schnee" sowie „Matsch/Sand". Im „Sport"-Modus rollt der Raptor grundsätzlich als Hecktriebler. „Rock" haut den Allrad mit Untersetzung rein und deaktiviert zusätzlich das ESP.
Der „Baja"-Modus schaltet ebenfalls das ESP auf „off" und setzt auf eine spezielle Traktionskontrollen-Einstellung und die freie Wahl zwischen Heck- oder Vierradantrieb.
Da der Raptor schon leer 2.585 Kilogramm wiegt, reißen seine 213 Pferdchen den Asphalt nicht wirklich auf. Das Landstraßentempo von 100 km/h erreicht der Raptor in 10,5 Sekunden, die Spitze liegt bei 170 km/h. Das ist durchaus ordentlich für ein Fahrzeug dieser Größe, aber doch ein gutes Stück entfernt von den Werten des größeren amerikanischen Bruders. Dafür liegt der Normverbrauch bei entspannten 8,9 Litern Diesel auf 100 Kilometer Fahrstrecke. Während der Testfahrten im Bergischen Land zeigte der Bordcomputer Verbrauchswerte um zwölf Liter an. In Kombination mit dem 80 Liter fassenden Kraftstofftank ergibt sich damit eine Reichweite, die vor allem die Kunden down under bei Fahrten im Outback zu schätzen wissen dürften. Denn auch in Australien wird der „kleine" Raptor angeboten. Gegenüber einem „normalen" Ranger hat der Raptor jedoch bei den Abmessungen zugelegt. Er ist 16,8 Zentimeter breiter, hat 15 Zentimeter mehr in der Spurweite aufzuweisen, ist 4,4 Zentimeter länger und 5,2 höher geraten.
Trotz hohem Gewicht mäßiger Verbrauch
Während (nicht nur) leistungsbegeisterte Menschen sich auf der Straße schon noch ein wenig mehr Dampf wünschen würden, macht der Raptor im Gelände einen durchaus guten Eindruck. Hier kommt ihm sein Drehmoment zugute. In Verbindung mit dem sauber schaltenden Automatikgetriebe wühlt er sich tapfer durch Geröll, Schlamm und Schotter. Durch Wasser durchzufahren schafft er problemlos: Ford gibt die Watttiefe mit beeindruckenden 850 Millimetern an, die Bodenfreiheit liegt übrigens bei 51 Zentimetern und damit 283 Millimeter höher als bei den anderen Ranger-Modellen. Auch derbe Steigungen bügelt der Diesel mit seinem satten Drehmoment ganz locker weg. Kurz: Der Motor ist im Gelände in seinem Element. Obendrein klingt er – egal ob auf Asphalt oder auch abseits davon – richtig gut. Er gurgelt und grummelt, nicht aufdringlich laut, sondern dezent und durchaus angenehm in der Tonlage.
Überhaupt ist der Raptor mit seinem fetten „Ford"-Schriftzug am Kühler durchaus ein zäher Hund. Gedacht und geeignet für den harten Einsatz überall dort, wo es nun mal keine Straßen gibt. Damit der Raptor als echtes Offroad-Gerät taugt, hat Ford ihm etliche Optimierungen angedeihen lassen. Dazu zählen neben zahlreichen Karosserie-Modifikationen und einem Unterfahrschutz aus 2,3 Millimeter starken Stahlplatten ein verstärktes Chassis, das überraschend komfortable Fox Racing-Fahrwerk, eine elektronische Hinterachssperre und die erstaunlich laufruhige 285er 17 Zoll BF-Goodrich-All-Terrain-Bereifung, die unter üppigen Kotflügelverbreiterungen steckt. Den Einstieg in den Fünfsitzer machen seitliche Trittbretter leichter. An Front und Heck sorgen neue Stoßfänger für offroadtaugliche Rampen- und Böschungswinkel (24 und 32,5 Grad).
An der hinteren Starrachse setzt der Raptor als einziger aus der Ranger-Modelpalette auf eine Mehrlenkerachse mit Schraubenfedern statt auf Blattfedern. Die ist allerdings nicht nur für guten Fahrkomfort auf und abseits des Straßennetzes verantwortlich, sondern auch für die – von rund einer Tonne auf 620 Kilogramm – reduzierte maximale Nutzlast. Ziehen darf der Raptor „nur" 2,5 statt der dreieinhalb Tonnen, die ein anderer Ranger an den Haken nehmen darf. Dafür gibt es die Anhängekupplung serienmäßig. Womit klar ist, dass der Raptor eher Lust-Laster denn echtes Arbeitsgerät sein mag.
Motor ist im Gelände in seinem Element
Dazu passt dann auch der sportlich ambitionierte Preis: Exakt ab 66.771 Euro ist ein Ford Ranger Raptor zu haben, ausschließlich in der Version als viertüriger Doppelkabiner mit fünf Sitzen. Damit ist er mehr als doppelt so teuer wie der günstigste Ford Pick-Up. Für das Geld gibt es beim Raptor eine umfangreiche Ausstattung ab Werk, zu der etwa auch ein Acht-Zoll-Touchscreen-Infotainmentsystem, elektrisch verstellbare Sitze, schlüsselloses Zugangssystem, Rückfahrkamera, Laderaumrollo und Anhängevorrichtung zählen. Die einzige Option in der Aufpreisliste ist der Metalliclack.