Sie hat bis heute 35 Millionen Platten verkauft: die kalifornische Band Korn um Jonathan Davis alias JD. Der Musiker spricht im Interview über das neue, düstere Album „The Nothing", traumatische Erfahrungen und seine nachtaktiven Kinder Pirate und Zeppelin.
Mr. Davis, glauben Sie wirklich, dass tief in der Erde eine außergewöhnliche Kraft lebt, die Sie „The Nothing" nennen?
Ja. Dieser Ort ist sehr dunkel, aber es gibt da auch Licht. Dort herrscht eine Mischung aus positiver und negativer Energie. Ich habe mit dem Album voriges Jahr begonnen, als ich meine Frau verlor, was mein Leben komplett auf den Kopf gestellt hat. Ich war wirklich unglücklich. Ich dachte „The Nothing" wäre ein guter Titel für das Album. Ich bin durch eine sehr schmerzvolle Zeit gegangen und wollte herausfinden, was da gerade mit meinem Leben passiert.
Ist „The Nothing" ein Konzeptalbum über Schmerz?
Es ist nicht wie Pink Floyds „The Wall". Aber es handelt auf jeden Fall von den Gefühlen, die ich zu einer bestimmten Zeit hatte und darüber, wie ich damit umgegangen bin.
In welcher Stimmung waren Sie, als Sie das Album machten?
Meine Seele war verwundet. Ich wollte alleine sein, also schloss ich mich in mein Studio ein. Außer meinem Toningenieur durfte niemand um mich herum sein. Ich hatte vorher gar keine Zeit, mich mit mir selbst und meiner wunden Seele zu beschäftigen, weil ich mich um meine Kinder kümmern musste. Im Studio stellte ich vier verschiedene Mikrofone auf, mit denen ich abwechselnd sämtliche Gesangsspuren aufgenommen habe. Manche Stücke haben jetzt 19 Gesangsspuren allein mit meiner Stimme. Ich singe sowohl den Chor als auch die Harmonien. Dabei ließ ich mich von Bands wie Queen, Yello und Abba inspirieren. Diese Künstler haben sich für ihre Songs Zeit genommen, weil sie es perfekt machen wollten. Ihre Chöre sind echt fett. Ich dachte, wenn ich so etwas mache, dann hilft es mir vielleicht, Ruhe in meinen Kopf zu kriegen und den Schmerz zu vertreiben. Das Studio ist für mich ein vertrauter Ort.
Wie haben Sie es geschafft, in solch einer extremen Situation das Beste aus sich herauszuholen?
Ich mache schon so lange Musik; ich weiß einfach, was ich tue. „The Nothing" ist meine 13. Platte. Wenn ich etwas fühle, kann ich meinem Toningenieur genau erklären, wie wir das aufnehmen müssen. Ich kann Magie spüren, wenn sie im Raum ist. Als wir das Intro aufnahmen, hatte ich nicht vor, zusammenzubrechen. Es ist einfach passiert, weil ich in dem Moment so traurig war. So einen Scheiß kannst du nicht planen. Ich bin bereits am ersten Tag beim Einsingen des allerersten Intros zusammengeklappt. Ich habe das mit auf die Platte genommen, weil solche Momente zu meiner Kunst dazugehören. Alles, was ich mache, ist echt.
Wissen Sie jetzt aus eigener Erfahrung, dass Musik eine heilende Wirkung haben kann?
Musik war schon immer meine Therapie. Mit ihr versuche ich, die Traumata meines Lebens zu verarbeiten. Ich hatte im Studio keine Ahnung, was da genau in mir vorging, ich wollte nur, dass mir irgendwie geholfen wird. Jeder Künstler braucht ein Ventil. Bei mir ist es nicht die Leinwand, sondern die Schallplatte.
Wie und wann haben Sie erstmals gespürt, dass es einen Ort gibt, den Sie „The Nothing" nennen?
Es gab ihn schon immer. Dass dieser dunkle Ort existiert, habe ich in meinem Leben immer wieder gespürt. Und als meine Frau starb, häufte sich das alles, und ich driftete ab auf einen sehr dunklen Pfad. Niemand kann sich vorstellen, wie sich die Dunkelheit wirklich anfühlt, bis er vielleicht einen Menschen verliert, der ihm wirklich nahestand. „The Nothing" bringt dich dazu, Dinge zu tun, die du eigentlich nicht willst. Es hat meinem Kopf wirklich angezapft. Aber ich bin keine radikale Person, sondern verhalte mich eher neutral. Ich toleriere Menschen, die anders denken und glauben als ich. Ich weiß aber, dass es im Universum zwei Dinge gibt, die wahr sind: das Negative und das Positive.
Und was haben die mit „The Nothing" zu tun?
Im „Nothing" balancieren sich das Positive und das Negative aus. Ich trage beides in mir, aber ich bin nicht wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Ich respektiere jeden, der mich respektiert. Und wer das nicht tut, den mache ich fertig (lacht). So lebe ich mein Leben.
Wie stellen Sie sich „The Nothing" vor?
Als eine starke Energie. Sie ist praktisch überall um uns herum zu spüren. Sehr dunkel, aber nicht böse. Das kann man nur schwer erklären. Manchmal finde ich mehr Frieden in der Dunkelheit als im Licht. Meine Spiritualität hat etwas mit Energie zu tun. Als meine Frau starb, kam die Dunkelheit in mein Leben zurück. Ich hatte das Gefühl, ich müsste wieder Alkohol trinken, aber das tue ich seit einem Jahr nicht mehr. So eine Scheiße passiert einem im Leben. Mit „The Nothing" habe ich dem einfach einen Namen gegeben. Sich einen Drink zu genehmigen, um sich besser zu fühlen, ist nichts Böses. Aber sich zu besaufen und dann jemanden zu töten, schon. Das sind alles Dinge, die sich nur in meinem Kopf abspielen. Man könnte es Zweischneidigkeit nennen. Ich würde gern mal wieder die Sau rauslassen, aber ich habe zu Hause zwei kleine Jungs, um die ich mich kümmern muss. Und es gibt noch einen weiteren, erwachsenen Sohn.
Waren die Kids zugegen, als Sie „The Nothing" aufnahmen?
Kaum. Bei meinen letzten Platten hatte ich überhaupt nicht die Chance, mich mal von der Leine zu lassen und zu tun, was ich will. Dafür war gar keine Zeit, weil ich die Kinder hatte.
Welchen Einfluss haben der 13-jährige Pirate und der elfjährige Zeppelin auf Ihre Musik?
Ich nenne sie „meine kleine Produzenten". Bei „Paradigm Shift" und „The Serenity Of Suffering" hatte ich ihnen im Studio noch ein kleines Apartment eingerichtet, wo sie Videogames spielen konnten. Damals waren sie noch klein, inzwischen bleiben sie lieber zu Hause, wenn ich arbeite. Meine Schwester kümmert sich um sie. Mein Studio gehörte früher dem Countrysänger Buck Owens und war einst ein Kino. Im ersten Stock steht immer noch der Filmprojektor. Immer wenn ich einen neuen Song fertig habe, spiele ich ihn den Kids vor. Dann sagen sie entweder „Das ist gut, Daddy!" oder „Nein!". Auf diese Weise sind sie zu einem Teil des Projektes Korn geworden.
Ihr Vater Rick Davis war auch Musiker und spielte unter anderem in der Band von Frank Zappa.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich meinem Vater bei der Arbeit in diesem Studio zusehen durfte. Der Countrysänger Buck Owens hat es ihm irgendwann überlassen. Als ich zurück nach Bakersfield zog, habe ich es wiederum von Dad übernommen. Ich bin dort also auch aufgewachsen, womit sich jetzt durch meine eigenen Kinder ein Kreis schließt. Das ist sehr cool.
Das Album hat mehr Zeit beansprucht als sonst. Wieso das?
Zeit ist ein Luxus. Mein Sohn Zeppelin ist „Typ 1"-Diabetiker und muss sich täglich Insulin spritzen. Um Folgeerkrankungen zu vermeiden, ist bei ihm eine ständige Kontrolle und Regulierung des Blutzuckerspiegels notwendig. Deshalb haben wir dauernd telefoniert, während ich im Studio an „The Nothing" arbeitete. Dank modernster Technologie kann ich seine Blutwerte jederzeit über mein Smartphone checken. Früher habe ich das noch oldschool-mäßig gemacht, weshalb ich für die Band immer nur wenig Zeit hatte. Wenn seine Werte zu hoch waren, musste ich ihn spritzen. Bis zu 15 Schüsse am Tag! Diesmal hatte ich alle Zeit der Welt, aber dafür waren die Umstände deprimierend. Eine bittersüße Erfahrung.
Wie viel Wert haben Sie diesmal auf klangliche Details gelegt?
Ich bin mein eigener Produzent. In meinem Studio steht tonnenweise Equipment herum. Eine traumhafte Spielwiese für einen Musiker. Ich habe zum Beispiel fantastische deutsche Mikrofone und stelle meine eigenen Kabel her, mit denen ich die Teile an die Verstärker anschließe. Ich mache meinen ganz eigenen Scheiß, damit meine Sachen wirklich gut klingen. Es war mir sehr wichtig, dass mein Gesang engelsgleich klingt. Dafür habe ich eine Menge getan.
Wollten Sie die Spannung wieder herstellen, die Sie mit Korn ganz am Anfang verspürten?
Ich wollte vor allem eine bittersüße Platte machen. Ich weiß nicht, ob Spannung das richtige Wort dafür ist. Ich war eher traurig und deprimiert wie Scheiße. Normalerweise bin ich immer aufgeregt, wenn ich eine neue Platte mache. Aber diesmal war ich mit den Nerven am Ende. Erst rückblickend kann ich sagen, dass die Arbeit an der Platte mich auch ein bisschen getröstet hat. Ich mag bestimmte Rituale beim Musikaufnehmen.
Hat Ihr Freund Marilyn Manson einen geheimen Gastauftritt auf dem Album?
Nein, Mann! Wir wollten immer mal etwas zusammen machen, aber entweder ist er auf Tour oder ich bin es. Immer wenn er zum Beispiel zu mir sagt: „Los Kumpel, lass uns ein bisschen zusammen abhängen", muss ich ihm absagen, weil ich ein Date mit meinen Kindern habe. Wir schaffen es einfach nicht, uns mal richtig zu treffen. Nichtsdestotrotz liebe ich diesen Kerl! Es gibt heute nicht mehr viele wie ihn und mich.
Bereits 2015 ließ Marilyn Manson verlauten, dass Sie beide dabei seien, zusammen etwas komplett Unerwartetes zu machen.
Wir hätten das tun sollen, als wir in unseren 20ern und total im Arsch waren! Heute gelingt es uns nicht mehr, solch ein Projekt zu terminieren, weil wir beide immens beschäftigt sind. Aber ich gebe die Idee nicht auf, mit Marilyn Manson eines Tages ein finsteres Country-Album zu machen.
Warum sind Sie von der Düsternis so sehr fasziniert?
Weil sie mich einfach dazu bringt, tolle Musik zu machen. Die Dunkelheit hat mich schon immer künstlerisch inspiriert. Das heißt aber nicht, dass es in meinem Leben keine glücklichen Momente gibt. Ich habe Tonnen von „happy shit" erlebt! Ich habe wunderbare Kinder und führe ein unglaubliches Leben. Ich muss mich eigentlich jeden Tag kneifen, um das zu begreifen.
Sammeln Sie noch immer die Kunst von Serienkillern?
Nein. Heutzutage sammele ich menschliche Trophäen wie Schädel. Die Serienkiller-Sachen habe ich abgegeben und bin einen Schritt weitergegangen. Ich habe jetzt ja Kinder.
Sind Sie auch von dunklen Persönlichkeiten wie Donald Trump fasziniert?
(lacht) Nicht wirklich. Ich habe jetzt keine Lust, über ihn zu sprechen. Über Politik zu diskutieren macht für mich keinen Sinn. Das bringt niemandem etwas, weil es dabei keinen Gewinner gibt. Ich warte lieber geduldig darauf, was passieren wird. Wir leben in gruseligen Zeiten, Bruder!
Neil Young sagt, er sei in den Nächten kurz vor Vollmond am kreativsten. Wie ist das bei Ihnen?
Die Nacht ist für mich die fruchtbarste Zeit. Ich lebe nicht nach den Mondphasen, aber ich bin ein Vampir, Bruder! Wir haben jetzt zwölf Uhr mittags, das ist verdammt früh für mich. Normalerweise stehe ich da gerade auf. Ich bin immer die ganze Nacht auf den Beinen und gehe gegen 8 Uhr schlafen. Dann penne ich bis 15 Uhr und hole die Jungs von der Schule ab. So sieht mein Tagesablauf aus. Nachmittags mache ich mit meinen Söhnen Hausaufgaben und koche ihnen etwas. Dann bringe ich sie ins Bett und bleibe die ganze Nacht wach. Wenn es dunkel ist, fühle ich mich am lebendigsten. Ich bin definitiv nachtaktiv.
Und wie halten es Ihre Kinder Pirate und Zeppelin mit der Nacht?
(lacht) In den Sommermonaten bleiben Pirate und Zeppi auch immer bis fünf Uhr früh wach und schlafen dann bis 14 Uhr. Dieses Jahr wollte ich aber, dass sie es anders machen, weshalb meine Schwester auf die Jungs aufpasst, wenn ich unterwegs bin. Ich habe ihnen eingebläut, dass sie im Sommer spätestens um zwei Uhr ins Bett müssen, allerspätestens um drei. Wenn sie mit mir auf Tour sind, achte ich aber darauf, dass sie ein bisschen Tageslicht abbekommen und wir etwas zusammen unternehmen. Wir sind wirklich eine nachtaktive Familie.
Wann ist für Sie die beste Zeit, um aufzutreten?
Ich mache es am liebsten gegen 22 Uhr. Bei meinem Tagesrhythmus ist das das Erste, was ich nach dem Aufstehen tue. Nach dem Frühstück gehe ich auf die Bühne. Eine Show ist für mich die erste Aktivität des Tages. Danach bleibt mir noch die ganze Nacht, um kreativ zu sein. In der Schulzeit sind die Jungs ja nicht dabei. Dann habe ich im Bus Zeit, um die ganze Nacht Musik zu schreiben.
Werden Sie „The Nothing" demnächst auch in Europa live vorstellen?
Ja, voraussichtlich nächstes Jahr. Wir gehen zunächst in den USA auf Tour und planen nach der Weihnachtspause das kommende Jahr. Unser neues Management schaut sich gerade nach Fachleuten um, die uns bei der Live-Umsetzung der Platte helfen sollen. Für Korn ist es ziemlich hart, eine Setlist zusammenzustellen, weil wir schon neun Alben gemacht haben. Das sind 25 Jahre voller Korn-Hits! Ich kann aber nicht länger als anderthalb Stunden spielen. Metallica schaffen drei Stunden. Ich aber muss sämtliche Korn-Songs singen, gurgeln, schreien und grunzen, was meine Stimmbänder extrem beansprucht.