Dass ausgerechnet in Zeiten steigenden Umweltbewusstseins ein ökologisch nicht unbedenkliches Material namens Fleece Einzug aus der Outdoor- in die Designer-Welt hält, dürfte viele überraschen. Zumal sein Fashion-Image als synthetische Polyester-Faser alles andere als gut war.
Da Bergsteigen, vor allem in diversen Kreisen der Fashion-Community, als Trendsportart Nummer eins angesehen wird und als solche immer häufiger im Web als das „neue Yoga" gefeiert wird, dürfte es nicht weiter überraschen, dass sich die Designer ständig auf die Suche nach Outdoor-Klamotten begeben, die sich für eine Transferierung in die Modewelt eignen könnten. Dabei würde aber wohl niemand auf die Idee kommen, dass sich die potenziellen Kundinnen tatsächlich in Kletterstiefeln, mit dekorativen Wandhaken und Nylongürteln oder eben in flauschigen Fleecejacken auf die beschwerliche Route durch die Bergwelt begeben werden. Als 2017 etwa gleichzeitig mit dem Auftauchen des Fashion-Themas Wanderlust in der Menswear der neue Begriff „Normcore" die Runde gemacht hatte, waren genau diese aus synthetischer Polyesterfaser hergestellten Jacken als Paradebeispiel für diesen neuen Trend herausgestellt worden. Dieser Trend wurde als „Mountain Chic" oder „Camping Glam" interpretiert, obwohl der „Gorpcore"-Erfinder damit eigentlich rein funktionale Outdoor-Bekleidung vor Augen hatte.
Während Fleece in der Menswear dank den Vorreitern Patagonia und Supreme schon früher gelegentlich Eingang gefunden hatte und im vergangenen Sommer sogar in der Kollektion des Luxuslabels Louis Vuitton aufgetaucht war, war es schon ein echter Paukenschlag, dass sich 2018 mit Burberry und Tod’s zwei echte Schwergewichte der Damenmode diesem Material zugewandt hatten. Vor allem Christopher Bailey hatte in seiner Burberry-Abschiedskollektion vom Sommer 2018 sehr überzeugend unter Beweis stellen können, dass mit Fleece nicht nur dröge Teile in auffälligen Farben hergestellt werden können, sondern aufregende, bunt gemusterte Capes und Sweatshirts. Tod’s präsentierte in seiner Winter-Kollektion 2018/2019 ähnlich gestaltete Jacken und Zipper-Pullis in Braun- und Cremetönen.
Weitere Labels wie Jil Sander, Y-Project oder Sandy Liang sprangen schnell auf den Trendzug auf. Der nahm zusätzlich Fahrt auf, als sich Gigi Hadid und Kendall Jenner in entsprechenden Kleidungsstücken fotografieren ließen. Für die englischsprachige Ausgabe der „Elle" war dies Grund genug, 2019 zum Jahr des High-Tech-Materials Fleece auszurufen und gar eine Ablösung der Pufferjacken-Dominanz in Aussicht zu stellen. Sogar der bekennende Jogginghosen-Verächter Karl Lagerfeld hatte in seiner letzten Kollektion für Chanel und Fendi vor seinem Ableben dem Fleece ein gewisses Potenzial beigemessen. Deshalb sind aktuell bei beiden Labels Jacken und Pullis aus diesem Material zu finden. Auch Brands wie 3.1 Phillip Lim, Maryam Nassir Zadeh (zum flauschigen Ausfüttern einer braunen Bomberjacke), Oscar de la Renta (Jacke), Ulla Johnson (Jackeninnenfutter), Ahsley Williams (ziemlich schräge Jacke), The Row (für einen fast bodenlangen Umhang) oder Coach 1941 (für die Ärmel eines maskulin geschnittenen Mantels) haben offenbar ihre Vorliebe für Polyester entdeckt. Und auch die Fashion-Community ist schon angefixt, denn laut der Modesuchmaschine Lyst sind die entsprechenden Anfragen nach Fleece in jüngster Zeit steil nach oben geschossen. Fashionistas sollten unbedingt darauf achten, eines der neuen, meist sehr farbenfrohen, Fleeceteile zu tragen, um nicht gleich nach Outdoor auszusehen.
Fleece-Kleidung aus Altplastik
Aus ökologischer Sicht hat die verstärkte Nachfrage nach Fleece allerdings einen gravierenden Haken. Im Jahr 2016 hatten Wissenschaftler der University of California in Santa Barbara den Nachweis liefern können, dass sich beim Waschen von Fleeceteilen Kunststofffasern als Mikroplastik abgelöst hatten, die in Kläranlagen nicht herausgefiltert werden konnten und damit den Plastikmüll in Flüssen und Meeren weiter erhöhen können. Aus diesem Grund haben sich bereits einige Brands wie Houdini Sportswear dazu entschlossen, ihre Fleeceklamotten nur noch aus Altplastik zu produzieren, weil dieses recycelte Material beim Reinigen deutlich weniger Mikrofasern abgibt. Zudem arbeiten Forscher derzeit an der Entwicklung von natürlichen Fleecematerialien auf Holzbasis. Umweltbewussten Fleece-Fashionistas wird geraten, die Teile in einem speziellen Waschbeutel verpackt in die Maschine zu stecken.
Bleibt noch die Frage zu klären, was für ein Material Fleece überhaupt ist: Es ist kein Gewebe, sondern eine Maschenware und ein Veloursstoff, meist aus Polyester. Es gibt inzwischen aber auch schon Fleecestoffe aus Wolle, Baumwolle oder verschiedenen Fasermischungen. Zudem ist Fleece, auch unter den Begriffen Teddyfleece, Plüsch oder Kunsthearling bekannt, ein gewirkter Stoff mit einer kuscheligen, aufgerauten Oberfläche. Bei der Herstellung werden zunächst sogenannte Plüschhenkel, kleine Garn-schlaufen, gebildet, die anschließend aufgeschnitten und aufgeraut werden. Fleece gibt es in den verschiedensten Arten und Qualitäten, beispielsweise als leichtes und feines Microfleece, als hochfloriges und doch leichtes Teddyfleece oder auch als Stretchfleece (bei dem Elastan beigemischt ist). Strickfleece verfügt über eine glatte Außenseite und ist nur auf der Innenseite geraut.
Fleece gilt als sehr atmungsaktives Material und hat ein hohes Wärmeisolierungsvermögen. Es ist allerdings nicht wasserdicht, auch wenn diverse Hardfleece-Stoffe schon einen gewissen Nässeschutz gewähren können. Fleece wurde Ende der 1970er-Jahre in den USA erfunden. Häufig wird das Unternehmen Malden Mills Industries, dessen Produkte heute unter dem Label Polartec vertrieben werden, als erster Fleece-Produzent genannt. Aber auch Patagonia hatte schon 1977 hochflorige Fleece-Teile auf den Markt gebracht.