Die Neuwahl des AfD-Bundesvorstandes wird über den Kurs der Partei entscheiden. Der extreme Flügel ist nach den Ost-Wahlen im Aufwind, die Landesverbände im Westen sind nur mit sich beschäftigt.
Adrenalin liegt in der Luft, Jörg Meuthen, Alexander Gauland und Wahlsieger Björn Höcke betreten die Bühne. Die drei Herren können vor Kraft kaum laufen. Es ist die Pressekonferenz nach der letzten Landtagswahl des Jahres im Berliner Regierungsviertel. Björn Höcke hat das Ergebnis der AfD in Thüringen Ende Oktober glatt verdoppelt, seiner Partei damit neben Sachsen eines der besten Wahlergebnisse geliefert. Der umstrittene Flügelmann, der immer wieder mit bewusst tabubrechenden Äußerungen provoziert, ist der neue starke Mann in der Partei. An seiner Seite stehen der AfD-Spitzenmann aus Sachsen, Jörg Urban, und Andreas Kalbitz, der Wahlsieger aus Brandenburg. Wobei Kalbitz nur die zweite Geige unter den Rechten innerhalb der AfD spielt. Noch in den Umfragen hatte es für die Brandenburger AfD so ausgesehen, als würde sie den Wahlsieg holen, doch das hat nicht geklappt. Im Gegenteil: Nach Rot-Rot kommt nun Rot-Grün-Rot. Der alte Ministerpräsident wird der Neue sein. Die Abwahl von Dietmar Woidke (SPD) ist schiefgegangen, was am Ego von Brandenburgs AfD-Chef Kalbitz erhebliche Kratzer hinterlassen hat.
Es läuft gut für Flügelmann Höcke
Da steht Flügelfrontmann Björn Höcke deutlich besser da. Er hat in Thüringen die im weiteren Sinne bürgerlichen Parteien mit seinen 23,4 Prozent machttechnisch in die Enge getrieben. Selbst wenn sich CDU, SPD, Grüne und FDP einigen könnten, bekämen sie zusammen keine Mehrheit mehr im Erfurter Landtag zustande. Damit ist Höcke etwas gelungen, was kein AfD-Spitzenkandidat zuvor in einem Bundesland geschafft hat. In der Partei gilt daher nun: Von Höcke lernen heißt siegen lernen. Das räumte unlängst auch der niedersächsische AfD-Chef Armin Paul Hampel ein. „Man muss sich schon fragen, warum wir kürzlich bei der Bürgermeisterwahl in Hannover krachend gescheitert sind und die Parteifreunde in Brandenburg, Sachsen und Thüringen räumen mit ihrem patriotischen Wahlkampf richtig ab", so der ehemalige ARD-Politik-Fernsehreporter im FORUM-Gespräch. Hampel lässt jedoch offen, ob sein Landesverband die Flügel-Leute in der Partei unterstützen wird. Offenbar gibt es da in seinem Landesverband noch reichlich Klärungsbedarf.
Die Niedersachsen gelten innerhalb der AfD als unsichere Kantonisten. Das ist allerdings in den westdeutschen Landesverbänden der AfD eher der Normalfall. Die Bayern sind bundespolitisch ein Totalausfall, hoffnungslos verstritten. Das gilt auch für die Baden-Württemberger, wobei seit Februar dieses Jahres dort ein bisschen Ruhe eingekehrt ist. Derzeit wird die AfD Baden Württemberg von Bernd Gögel und Dirk Spaniel geführt. Die beiden sind selbst eingefleischten AfDlern in der Berliner Parteizentrale gerade mal namentlich bekannt, mehr aber auch nicht. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen ist die Lage für die AfD nicht viel erquicklicher. Der Landesverband machte viel Schlagzeilen um den früheren Co-Landesvorsitzenden Marcus Pretzell wegen dessen Liaison mit der damaligen Partei-Sprecherin Frauke Petry. Das Pärchen ist unterdessen verheiratet, Petry mit ihrem neuen Mann allerdings in der politischen Versenkung verschwunden. Martin Renner ist nun der starke Mann der NRW-AfD. Auch er ist kaum bekannt, obwohl er mit einer 15-köpfigen Landesgruppe im Bundestag sitzt. Ein weiterer Hoffnungsträger der Partei in Nordrhein-Westfalen war Guido Reil. Der ehemalige Bergmann hatte schlagzeilenträchtig nach 26 Jahren die SPD verlassen und war in die AfD eingetreten. Doch dann gab es einige ungeklärte Fragen zu Wahlkampfspenden, Reil zog im Mai ins Europaparlament ein, seitdem ist von ihm nicht mehr viel zu hören. Auch die Landesverbände der AfD in Bremen und Hamburg haben keine wirklich prominenten Namen auf ihren Listen. Der saarländische Landesverband ist eine besondere Spezialität, Versuche des Bundesvorstands, ihn aufzulösen oder Landeschef Josef Dörr zum Rückzug zu bewegen, verliefen bisher im Sand. Die Verfahren laufen aber weiter.
Allen westdeutschen Landesverbänden ist der neidische Blick auf Wahlerfolge ihrer Parteifreunde im Osten gemein. Das wäre nicht allzu problematisch, wenn der Wahlkampf im AfD-Osten nicht so scharfkantig, provokant und nationalistisch geführt worden wäre. „Nur laut sein und eine Schlagzeile nach der anderen produzieren, reicht nicht", bringt es der saarländische AfD-Bundestagsabgeordnete Christian Wirth gegenüber FORUM auf den westdeutschen Nenner.
Neues Lieblingsthema Klimawandel
Landesverbände im Westen tun sich schwer mit den Polter-Kameraden aus dem Osten. Denn ihre Wählerschaft sind vor allem konservative, christliche Kreise, die einst bei Union und FDP zuhause waren. Diese Klientel kann mit den nationalistischen Tönen und dem Spielen mit völkischen Provokationen wenig anfangen. Sie hat vor allem die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung geeint. Dazu kam die Euro-Rettung und die Nullzinspolitik der EZB, die AfD-Vorstandssprecher Jörg Meuthen als „Vergewaltigung der deutschen Sparerseele" empfindet. Allerdings verfängt auch im Westen das neu entdeckte Lieblingsthema Klimawandel, den es zwar nach AfD-Lesart natürlicherweise gibt, menschliches Handeln habe damit nichts zu tun.
Meuthen war übrigens vom eigenen Kreisverband nicht mehr als Delegierter zum Bundesparteitag gewählt worden. Als Sprecher darf er dennoch teilnehmen und reden. Er gilt als Bindeglied zu eher bürgerlichen Wählerschichten. Der zweite Sprecher, Alexander Gauland, will aus Altersgründen nicht mehr antreten. Das schafft Platz für einen Vertreter des Flügels. Gauland hatte Höcke nach der Thüringenwahl mit dem überraschenden Satz geadelt, er sei „die Mitte der Partei". Der hatte noch im Wahlkampf angekündigt, sich nach dem Wahltag „mit großer Hingabe und großer Leidenschaft" der Wahl des Bundesvorstands zu widmen. Bislang ließ er eine eigene Kandidatur offen, brachte dafür Tino Chrupalla ins Gespräch. Dieser hatte bei der letzten Bundestagswahl den Wahlkreis Görlitz gegen den damaligen sächsischen CDU-Generalsekretär und derzeitigen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer gewonnen.