Wenn sie durch die Lüfte schweben, glaubt man es kaum – doch es sind Tausende Tonnen Laub, die jedes Jahr gesammelt, entsorgt und verwertet werden müssen. Dabei täte es der Umwelt gut, wenn wenigstens ein Teil liegen bleiben würde.
Alles muss runter. Mögen die goldgelben, rötlichen oder braunen Blätter noch so schön in der Spätherbstsonne leuchten, früher oder später fallen sie alle zu Boden. Dann setzt sich in Deutschland eine Armee in Bewegung, die seinesgleichen sucht. In der Kleingartenkolonie dröhnen die Laubbläser, die Stadtreinigung schickt Einsatzkräfte mit Kehrmaschinen und Ladekränen, und noch im kleinsten Vorgarten röhrt der Laubsauger. Es ist, als ob da mit vereinten Kräften ein Feind zu Boden gerungen wird, der sich frech bis in alle Winkel ausgebreitet hat.
Zugegeben: Laub auf Gehwegen und Straßen kann Fußgänger oder Radfahrer böse ins Rutschen bringen. Und die Blätter auf den asphaltierten Flächen bieten weder Kleinlebewesen Schutz noch düngen sie die Erde. Die größte Stadtreinigung Deutschlands, die Berliner Stadtreinigug (BSR), hat denn auch wie jedes Jahr Mitte Oktober pflichtbewusst ihren Spezialeinsatz begonnen. Rund 2.100 Beschäftigte und 550 Fahrzeuge sind dann auf Straßen und Gehwegen in der Riesenstadt mit ihren 430.000 Straßenbäumen unterwegs. Die Zahlen sind beeindruckend: Pro Herbstsaison sammelt die BSR 38.000 Tonnen Laub ein – das entspricht dem Gewicht von etwa 6.300 afrikanischen Elefanten.
Berliner Laub wiegt so viel wie 6.300 Elefanten
Mit Hunderten Besen, Rechen, Laubbläsern und Laubsaugern kümmert sich die BSR allerdings nur um das öffentliche Straßenland. Für Parks und Grünanlagen sind die Bezirksämter zuständig. Laub aus dem eigenen Garten wird dann mit entsorgt, wenn die privaten Laubsammler spezielle Laubsäcke kaufen. An den Straßenrand gestellt, nimmt die BSR sie einfach mit. Laub einfach auf die Straße zu kehren, wird dagegen als Ordnungswidrigkeit bestraft.
Das eingesammelte Laub wird in Großkompostieranlagen gebracht. Die lassen die Blätter verrotten, und im nächsten Frühjahr verkaufen sie sie als Komposterde. Oder sie setzen sie bei 200 Grad Hitze einem enormen Druck aus, um ihnen das Wasser zu entziehen. Dabei entstehen aus etwa 200 Kilogramm organischen Reststoffen bis zu 70 Kilogramm Biokohle-Pellets.
Acht Großkompostieranlagen gibt es im Berliner Umland. Sie zahlen der BSR keinen Pfennig für das Biogut, im Gegenteil, sagt BSR-Sprecher Sebastian Harnisch. Weil die industrielle Kompostierung den Unternehmer mehr kostet als der Verkauf des Komposts später einbringt, muss die BSR sogar noch was fürs Abgeben bezahlen.
Bleiben die vielen Hobbygärtner und Eigenheimbesitzer, die Putz- und Reinigungsdienste für die Mietshäuser und die Hausmeister, die Laubenpieper und die Friedhofsgärtner: eine Armee, für die in jedem Baumarkt immer die neuesten Modelle der Laubsauger und -bläser parat stehen. Das Herzstück dieser Geräte ist ein Motor mit einem daran angeschlossenen Luftgebläse. Das Gebläse kann entweder Unterdruck erzeugen, um dadurch eine starke Saugkraft zu entwickeln, oder Luftdruck aufbauen, um einen Luftstrom durch das Blasrohr zu jagen. Je nach Antriebsart sind Gebläsegeschwindigkeiten von über 400 Kilometern pro Stunde möglich. Testberichte raten zu Geräten mit mindestens 250 Kilometern pro Stunde, um auch große, nasse Blätter wegpusten zu können. Für den Sog werden Luftgeschwindigkeiten bis zu 160 Stundenkilometern und Saugleistungen von etwa zehn Kubikmeter pro Minute erzeugt.
So ein Gebläse erzeugt natürlich ordentlich Lärm – ein Schallpegel von mehr als 100 Dezibel ist bei vielen Laubgeräten mit Benzinmotor normal. Zwar dürfen die Geräte an Werktagen zwischen 17 und 9 Uhr sowie zwischen 13 und 15 Uhr nicht betrieben werden und an Sonn- und Feiertagen schon gar nicht. Aber wer kennt das nicht, dass einen morgens um 7 Uhr so ein brüllendes Teil aus dem Schlaf reißt? Die Anwender hören entweder nichts mehr oder haben einen Gehörschutz übergezogen. Der Normalmensch als Anwohner flucht und drückt sich das Kopfkissen auf die Ohren. Die Polizei rufen? Für die ist das eher eine Lappalie. Bevor da jemand kommt, ist der lärmende Kämpfer an der Laubfront schon wieder weiter gezogen.
Aber es geht nicht nur um Ruhestörung, es geht auch um „Mord“. Seit Jahren warnen Ökologen vor den schädlichen Folgen der Laubsaugerei für die Tierwelt. So nennt der Naturschutzbund (Nabu) die Geräte wahre „Tiermörder“, denn mit dem Laubsauger saugt man nicht nur Laub ein, sondern gleichzeitig auch Unmengen von Kleinstlebewesen, die zwischen den Blättern oder auf dem Boden leben. Käfer, Spinnen, Tausendfüßler, Asseln und Amphibien können sich kaum dem Turbo-Blas- und Saugstrom widersetzen. Hat der Laubsauger auch noch einen integrierten Häcksler, kommt es zu einem regelrechten Gemetzel, denn der schreddert nicht nur die Blätter, sondern auch die Tierchen. Doch das ist noch nicht alles, denn durch das Entfernen der wärmenden Laubschicht sind viele Lebewesen dem Frost ausgesetzt und kommen nicht über den Winter. Davon sind nicht nur kleine Tiere betroffen, sondern auch Nützlinge wie der Igel. Auch das Bundesumweltministerium warnt vor den Geräten. Sie sollten privat überhaupt nicht und im öffentlichen Raum nur dann verwendet werden, wenn es keine Alternative gibt. Ein komplettes Verbot sei aber aus europa- und wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht möglich.
Laubsauger haben sich heute lückenlos in die gärtnerische Aufrüstung eingepasst. Fräsen, Abflämmer, Häcksler, Rasentrimmer haben längst Fugenkratzer, Scheren und den Sauzahn ersetzt. Jetzt sollen auch Rechen und Besen ausgedient haben. Die Technik übernimmt. Zum Preis von 349 Euro für den Testsieger ist man dabei.
Turbolaubsauger metzeln laut Nabu alles nieder
Aber warum soll das Laub eigentlich überall verschwinden? Jeder zusammengekehrte Haufen bietet für die kalte Jahreszeit einen kuscheligen Unterschlupf für Igel, kleine Vögel und die Larven vieler Schmetterlinge. Unter dem Laub finden Regenwürmer, Spinnen, Käfer, Molche und Raupen eine Möglichkeit zum Überwintern. Viele dieser Tiere sind nützliche Helfer beim biologischen Pflanzenschutz. Laub bietet Pflanzenwurzeln zuverlässigen Frostschutz und soll auch zwischen Sträuchern nicht restlos beseitigt werden. Laub ist kein Abfall, sondern ein hervorragendes Recyclingmaterial der Natur. Die Bäume können nichts mehr damit anfangen, denn die Fotosynthese schläft ein, der Baum zieht die Nährstoffe in den Stamm zurück. Ist das Chlorophyll weg, verschwindet auch das Grün, und die bunten Herbstfarben lassen die Blätter leuchten.