Der SC Freiburg spielt bislang die beste Saison der Vereinsgeschichte und findet sich in der Spitzengruppe der Bundesliga wieder. Die Breisgauer stehen seit Jahren für den etwas anderen Weg – mit Erfolg.
Der SC Freiburg ist ein spezieller Verein mit speziellen Menschen. Achim Stocker, der ehemalige Präsident des SC Freiburg, war ein richtiger Typ. Mit einer dünnen Zigarre im Mundwinkel schlenderte er um die Jahre 2007 oder 2008 durch die Flure der Geschäftsstelle, als ihm Heiko Butscher, damals Spieler des SC, über den Weg lief. Butscher wollte gerade in den Aufzug steigen, da fing der damalige Präsident an, mit seinem Spieler zu schimpfen und forderte ihn auf, die Treppe zu benutzen. Jede überflüssige Liftfahrt, so sagte es Stocker damals, koste den Sportclub zwei Euro.
Während Stocker mittlerweile lange Geschichte beim SCF ist und sogar der nächste Präsident Fritz Keller nun an der Spitze des DFB steht, hat Freiburg aber noch einen außergewöhnlichen Sportsmann zu bieten, der maßgeblich am Erfolg dieses Vereins beteiligt ist: Christian Streich. Dabei hatte der Fußball-Lehrer auch nicht durchweg Erfolg. Die Art und Weise, wie das Umfeld in Freiburg mit Misserfolg umgeht, ist aber eine andere im Gegensatz zum Rest der Bundesliga.
Souveräner Umgang mit Misserfolg
In Streichs Ära ist schon viel passiert: Fast-Abstiege, Europapokal, Abstieg und Aufstieg. Jetzt die Rekordsaison. Die Ansichten in Freiburg ändern sich dadurch aber nicht: „Der Klassenerhalt bleibt unser oberstes Ziel", hatte SC-Sportvorstand Jochen Saier im SWR1-Stadion-Interview gesagt. Was Kritiker als Kokettieren bezeichnen, passt Saier realistisch der Situation an: „Das heißt ja nicht, dass wir 15. werden wollen. Wir müssen schauen, wie weit uns die Füße tragen!" Dass die Füße der Freiburger mittlerweile einiges tragen können, liegt wie gesagt an ihrem Trainer. Denn der arbeitet so lange in der Bundesliga, dass er fast alles schon einmal erlebt hat. In der Saison 2012/13 führte er seine Mannschaft auf den fünften Rang, im darauffolgenden Jahr wurde im Schwarzwald Europapokal gespielt. Nun, sechs Jahre später, arbeitet der „ewige Streich" noch immer in Freiburg. Seine Mannschaft steht auch wieder auf einem Europapokal-Platz. Damit steht der SCF nach gut einem Drittel der Saison vor den finanziell weitaus weicher gebetteten Clubs aus Schalke, Leverkusen oder Wolfsburg. Streich als dienstältester Trainer der Bundesliga steht der jüngeren „Laptoptrainer"-Generation in nichts nach. So beweist er in diesem Jahr erneut, dass er absolut auf der Höhe der Zeit ist. Hinzu kommen seine eingespielte Mannschaft und Schlüsselspieler in Topform – und dem Spielplan
Streich gelingt aber gerade in dieser Saison wieder etwas Wesentliches: Er entwickelt sich, vor allem in Sachen Taktik, Jahr für Jahr weiter. Bei der ersten Europapokal-Qualifikation war er noch ein Verfechter des 4-4-2 Systems. Woche für Woche gab es die gleiche Formation, die gleiche Marschroute. Seine Herangehensweise hat er nun aber geändert. Freiburg wechselt ohne große Probleme zwischen Dreier-, Vierer- und Fünferkette. Zudem bereitet Streich seine Mannschaft auf jeden Gegner bis ins Detail vor, während der Partie ist er flexibel und ändert auch mal den Plan. Vor allem im Pressing helfen diese Anpassungen seiner Mannschaft ungemein. Er spiegelt häufig die Formation des Gegners, um auf dem Feld möglichst viele Eins-gegen-eins Situationen herstellen zu können. Wie wichtig diese kleinen Details der taktischen Vorarbeit für Streich sind, zeigte sich am 33. Spieltag der vergangenen Saison. Freiburg verlor 0:3 gegen Absteiger Hannover. Streich führte die fehlende Videoanalyse als Grund an: „Wir haben mal kein Video gemacht, nicht alles wieder auf den Punkt, auf den Gegner zugeschnitten, weil wir die Jungs nicht permanent nerven wollen. Doch wenn wir es nur ein kleines bisschen verändern, kommt das raus."
Erstmals zwei Nationalspieler beim SC Freiburg
Womöglich war dieser Schuss vor den Bug aber der Grundstein für die neue penible Vorbereitung und die neuen taktischen Anpassungen – und somit auch für den aktuellen Erfolg. In jedem ihrer Spiele zeigten sich die Freiburger griffig und gut vorbereitet – meist in der momentan bevorzugten 3-4-3-Variante. In diesem System haben die Freiburger keine klassischen Außenstürmer, aber mit Christian Günter und Jonathan Schmid zwei dynamische und offensiv denkende Außenverteidiger. Deren offensive Präsenz ist einer der Grundsteine für den Freiburger Erfolg. Vor allem Günter, der aus der eigenen Jugend stammt, war auf dem linken Flügel schon immer ein eher unterschätzter Eckpfeiler des Teams. Mit nunmehr vier Torvorlagen und einem eigenen Treffer unterstreicht er dies in der aktuellen Saison. Das alles ist aber nicht neu, wie so vieles im Spiel der Freiburger. Vielmehr ist es die Kontinuität auf den Positionen auf und neben dem Spielfeld. Die Spielweise der Freiburger unterscheidet sich in dieser Saison nur marginal von der letzten Saison, die sie als 13. abschlossen. Der einzige neu verpflichtete Profi diesen Sommer, der auch gleich zum Stammspieler aufstieg, war Jonathan Schmid. Wie Vincenzo Grifo hat auch er eine Freiburger Vergangenheit, kennt größte Teile der Mannschaft und die verschiedenen Abläufe und Taktiken. Sicherlich ein Vorteil, aber auch nicht der Grund für den momentanen Höhenflug. Für viele ist es der leichte Spielplan zum Auftakt. Sie siegten gegen Hoffenheim (damals Tabellen-Zwölfter), Fortuna Düsseldorf, Mainz und Paderborn, holten ein Unentschieden gegen Augsburg und verloren gegen Köln. Hoffenheim ist mittlerweile aber im oberen Tabellenbereich angekommen.
Zudem wurde gegen Borussia Dortmund ein Punkt geholt und RB Leipzig sowie Eintracht Frankfurt geschlagen. Nach nunmehr zwölf Spieltagen wurden gegen einige gute Teams schon gespielt – und besiegt. Nicht zuletzt durch die Mischung aus Erfahrung und Jugend. Beim Blick auf den Kader fällt auf, dass Freiburg auf Routine setzt und sich nicht dem Jugendtrend des Geschäfts hingibt. 15 Spieler sind 26 und älter. Jerome Gondorf (31), Mike Frantz (32) und Stürmer Nils Petersen (30) sind die Stützen des Teams. Zudem sind mit Luca Waldschmidt und Robin Koch zwei deutsche A-Nationalspieler vertreten – das gab es in Freiburg noch nie. Wie Waldschmidt entwickeln sich auch andere junge Spieler beim SC prächtig. Dazu zählen Nico Schlotterbeck, Dominique Heintz oder auch Janik Haberer. Alles in allem steht der Kader des SCF so gut da wie schon lange nicht mehr oder vielleicht noch nie. Freiburg hat Alternativen. Weil zum Beispiel ein Supertalent wie Luca Waldschmidt geblieben ist oder einer wie Vincenzo Grifo doch noch zurückgekommen ist. Weil die Freiburger selbst damit aber gar nicht unbedingt gerechnet hatten, wurden auch noch andere Spieler geholt. Damit ist der Kader in der Breite so gut wie vielleicht nie zuvor. Dazu kommt für Christoph Ruf, einen Buchautor, der über den SC Freiburg und die Ära Streich ein Buch veröffentlichte, die sorgfältige Arbeit der Scouting-Abteilung: „Wenn Spieler kommen, dann zählt auch das Private", sagt Ruf und verweist wie Streich auf Teamgeist, auf die funktionierende Gruppe. „Freiburg-sozialisiert" nennt Ruf das und hat das Paradebeispiel parat: Nils Petersen. Ein Torjäger, der sich für die Bank nicht zu schade ist. Als Teil eines Teams, dass mit Moral schon viermal nach Rückstand gepunktet hat: acht Zähler, das hat kein anderer Bundesligist geschafft. Acht der insgesamt 19 Tore schoss Freiburg in den letzten zehn Minuten, auch das kriegt kein anderer Bundesligist so gut hin. Freiburg ist anders erfolgreich. Auch wegen des ruhigen Umfelds.
Schon viermal nach Rückständen gepunktet
Selbst die Fans sind in schlechten Zeiten nie respektlos gegenüber ihrer Mannschaft. Bilder von wütenden Anhängern auf Zäunen, die die Mannschaft beschimpfen – Fehlanzeige. Ein Spieler soll mal hinter vorgehaltener Hand gesagt haben, dass es manchmal fast schon nerve, „wenn du absteigst und die Leute trotzdem noch nett zu dir sind." Als bei einem Auswärtsspiel Bengalos im Freiburger Gästeblock gezündet wurden, appellierte Streich an seine Fans, so etwas doch zukünftig zu unterlassen. Ihm schien es so, als „wäre einigen in der Fankurve der momentane Erfolg zu Kopf gestiegen". Bodenständigkeit verlangt Streich nicht nur von seinen Spielern, auch von den Fans. Bodenständigkeit die auch der damalige Präsident vorlebte, als er Heiko Butscher nicht mit dem Lift nach oben fahren ließ, wegen diesen verflixten zwei Euro, die das kostet.