Die EU soll Vorreiter beim Klimaschutz werden, fordert die neue Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen. Ein Green Deal soll Investitionen in Höhe von vielen Milliarden Euro locker machen.
Seit einigen Jahren macht er als Schlagwort in politischen Zirkeln die Runde: der Green New Deal. Die US-Demokraten, darunter die Harvard-Professorin mit Präsidentschafts-Ambitionen Elizabeth Warren, haben ihn sich auf die Fahnen geschrieben. Die ziemlich populäre kanadische Aktivistin und Autorin Naomi Klein verkauft gerade in Deutschland ihr neues Buch mit selbigem Titel. In Europa sind es vor allem Grüne wie Sven Giegold, die britische Labour-Partei und freischwebende Linke wie der kurzzeitige griechische Finanzminister Janis Varoufakis, die für einen Green New Deal werben und ihn überall als Zaubertrank anpreisen. Im Kern geht es darum, dass der Staat viel, viel mehr Geld ausgeben soll, um grüne Investitionen zu finanzieren. Dafür sollen vor allem neue Schulden gemacht und die großen staatlichen Banken eingespannt werden. In Zeiten niedriger Zinsen sei das ja auch kein Problem, so die These.
Die Idee des Green New Deal lebt vom Mythos des historischen New Deal, mit dem der US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930er-Jahren erfolgreich war, jedenfalls aus der Sicht der US-Demokraten, dafür weniger aus der Sicht der Wirtschaftshistoriker. Auch damals wurden ja schon Staumauern für Wasserkraftwerke gebaut und wurde in großem Stil aufgeforstet. Das kann man heute ja noch mal so machen.
Europa soll bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein
New Deal heißt auf Deutsch: Neues Spiel, die Karten werden neu gemischt, alles noch mal ganz von vorn. So etwas versprechen Politiker immer gerne. Am Ende kommt jedoch nur selten viel Neues heraus.
Nun hat die neue Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, im Amt seit dem 1. Dezember, auch einen Green Deal angekündigt – aber ohne das „new". Alt sieht die Kommission deshalb trotzdem nicht aus. Nur ist die Bedeutung jetzt etwas unklar. Grün und nachhaltig soll er sein, der Deal, den Aufbruch symbolisieren, aber das mit den hohen Schulden will die Deutsche offenbar vermeiden. Was heißt Green Deal? Es klingt etwas nach Big Deal, einer großen Sache. Mit Recht?
Groß ist das Ziel in jedem Fall: Europa soll der erste klimaneutrale Kontinent werden und zwar bis Mitte des Jahrhunderts. Was erst mal etwas kurios klingt, heißt nichts weniger als das Ende der fossilen Energieerzeugung. Im Großen und Ganzen. Raus aus der Kohle sowieso, aber bis spätestens 2050 auch weg vom Erdöl und Erdgas. Was bis dahin doch noch verbrannt wird, soll als Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre gezogen werden, wie auch immer, darum eben „klimaneutral".
Das entspricht zwar dem, was Klimawissenschaftler für nötig halten, aber ob es realistisch ist, ist eine ganz andere Frage. Schon dass bis 2030 der Kohlendioxidausstoß nicht nur um 40 Prozent sinken soll, wie bislang EU-Beschlusslage ist, sondern um 50 Prozent oder sogar um 55 Prozent, wie die neue EU-Kommission nun vorhat, ist heftig umstritten und sehr ehrgeizig. Dabei ist das eigentlich erst der Anfang. Die hoch hängenden Früchte kommen erst später dran.
Dabei geht Ursula von der Leyen mit neuem Ehrgeiz an das Klimathema heran. Erstmals soll ein explizites EU-Klimaschutzgesetz her, das das Ziel der Klimaneutralität gesetzlich festschreibt. Es ist ja nicht so, also ob das Klimathema für die Europäische Union Neuland wäre. Seit fast 20 Jahren befasst sich die EU mit Energiesparen, Energieeffizienz und vielen anderen Umweltthemen. Seit 2005 gibt es insbesondere das Emissionshandelssystem für Kraftwerke und die Industrie. Es gilt als das wichtigste Instrument der EU zum Klimaschutz, obwohl es lange nicht gut funktioniert hat. Es soll nun noch erweitert werden: Auch Autos und Heizungen sollen erfasst werden und ihre Nutzer einen Klimapreis bezahlen.
Vor allem geht es von der Leyen aber um viel Geld: Eine Billion, also 1.000 Milliarden Euro, seien für Klimaschutzinvestitionen insgesamt während ihrer voraussichtlich fünfjährigen Amtszeit notwendig. Die müssten vor allem aus der Privatwirtschaft, also von Banken und anderen Finanzinstitutionen kommen. Green Finance gilt in der Szene längst als der letzte Schrei. So solle Europa ein „Vorbild weltweit" werden. Zwischen 2021 und 2027 will von der Leyen dafür rund 100 Milliarden Euro in einen Just Transition Fund fließen lassen, der zögernden Ländern helfen soll, ihren Strukturwandel zu bewältigen. Wie dieser gefüllt werden soll, steht jedoch noch in den Sternen, vor allem von Deutschland dürften hohe Zahlungen erwartet werden.
Wohin diese Milliarden fließen sollen, ist noch nicht ganz klar. Hohe Ausgaben sind für neue Stromtrassen nötig, die erneuerbaren Strom über den ganzen Kontinent verteilen sollen. Eine moderne Eisenbahninfrastruktur soll Alternativen zum Pkw schaffen. Ansonsten soll viel Geld in die Erforschung neuer, sauberer Technologien fließen.
Klima-Anreize auch für Produzenten im Ausland
Der Widerstand gegen die grünen Pläne lässt nicht auf sich warten: Der tschechische Premier Andrej Babis will erst mal mehr Geld, bevor er den Zielen zustimmen kann. Der scheidende Präsident des deutschen Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Bernhard Mathes, warnte: „Statt durch immer schärfere EU-Klimaziele die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Europa zu gefährden, muss jetzt der Weg für die bereits gesetzten Klimaziele bis 2030 durch eine kluge Industriepolitik geebnet werden. Ein weiteres ,Draufsatteln‘ ist nicht notwendig und zerstört die dringend notwendige Planungssicherheit", sagte er. Tatsächlich weiß die Automobilindustrie nicht wirklich, wie sie die ab 2020 geltenden CO₂-Verbrauchsgrenzwerte für ihre Flotten erreichen kann.
Wissenschaftler stellen sich aber hinter von der Leyen: „Natürlich: Das ist kein einfacher Ritt. Wie in jeder Revolution gibt es dabei Gewinner und Verlierer. Wichtig ist, dass die verletzlichsten Teile der Gesellschaft nicht allein gelassen werden", schreiben die Vordenker des Thinktanks Bruegel in Brüssel. Für sie sind ein Preis für Kohlendioxid, hohe öffentliche Investitionen in nachhaltige Projekte, eine neue Industriepolitik und ein gerechter Strukturwandel die wichtigsten Punkte. Vor allem der letzte, also das Auffangen derjenigen, die Jobs in alten Industrien verlieren, dürfte politisch entscheidend werden.
Eine kritische Frage lautet: Wie verhindert Europa, dass es vor lauter Klimaschutz den globalen Wettbewerb verliert, weil dann andere Länder billiger werden, in denen weniger Klimaschutz betrieben wird – etwa in Asien? Auch darüber wird längst nachgedacht. Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft sagt: „Ein europäisches Grenzausgleichssystem würde für Produzenten im Ausland Anreize schaffen, CO₂-Emissionen einzusparen, wenn sie in die EU exportieren." Das wäre ein wirksames Instrument, die EU ist immerhin der zweitgrößte Güterimporteur der Welt. Es wäre auch legal, die Welthandelsorganisation WTO könne nichts dagegen haben, denn es funktioniere genauso wie eine andere Steuer, die seit Jahrzehnten erhoben wird: die Mehrwertsteuer. Auch dafür werden Güter an der Außengrenze nachbelastet, wenn sie nach Deutschland importiert werden. Vieles von dem, was völlig neu erscheint, ist tatsächlich gar nicht so neu.