Was passiert, wenn das Oberhaupt eines Landes plötzlich nicht mehr in der Lage ist, seine Pflichten zu erfüllen, schildert der Fantasy-Bestseller „King of Scars. Thron aus Asche und Gold": Nicolai weiß nicht mehr, wer er ist. Seitdem er als Zar in einem blutigen Krieg gekämpft hat, hat er seine Erinnerungen an sich selbst fast verloren. Was im wahren Leben wohl als posttraumatische Belastungsstörung durchgehen würde, verwebt die Autorin Leigh Bardugo mit viel Fantasie und Idealismus. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass die Autorin in Jerusalem geboren wurde. Inzwischen lebt sie in Los Angeles und schreibt Drehbücher für Hollywood: die beste Therapie gegen eigene Traumata.
Doch kommen wir noch einmal auf das Seelenleben des Zaren Nicolai zurück, das mittlerweile droht, von einem Dämon aufgefressen zu werden. Halb Mensch, halb Dämon mutiert Nicolai unweigerlich zu einer willenlosen, unvorhersehbar aggressiv agierenden Marionette. Welche Hysterie würde ausbrechen, wenn herauskäme, dass der Zar nicht mehr in der Lage ist, zu regieren? Während die Grisha Zoya nun also verzweifelt versucht, sein gefährliches Geheimnis zu wahren, um ihn in seinem Kampf gegen die düstere Macht zu unterstützen – denn eine Grisha ist Eigentum des Staates – mehren sich nach und nach mehr und mehr Kontrahenten, die das geschwächte Land Ravka erobern wollen.
Leigh Bardugo schreibt mit viel Einfallsreichtum und Sensibilität. „King of Scars" ist nicht umsonst ein Bestseller der „New York Times". Ihr Roman lässt sich in kürzester Zeit lesen und überzeugt mit der notwendigen Spannung. Ironie ist dagegen selten am Platz, dafür aber ein gekonnt strukturiertes fantastisches Staatssystem. Trotzdem sollte man es nicht übertreiben und „King of Scars" als Schlüsselroman lesen. Stattdessen eher als Unterhaltung, in die ein wenig Realität einfließt, wenn auch nie in überheblicher oder sarkastischer Weise – eher resignierend: Wenn das Oberhaupt nicht mehr regieren kann: Was ist dann der Staat?