Super Attraktionen, gigantische Hotelcasinos, die sich mit Kopien von Sehenswürdigkeiten schmücken, allabendlich ein Meer aus Lichtern, viel Klimbim und viel Bling-Bling: Las Vegas präsentiert sich wie ein einziger Erlebnispark.
Die kühle, frische Luft, die durch das offene Autofenster strömt, riecht nicht nach Sand und auch nicht nach Kakteen. Dennoch ist man mitten in der Wüste. Sie heißt genauso wie die Menschen, die vor langer Zeit hier lebten: Mojave – ein indigenes Kriegervolk, dessen Frauen Biber- und Kaninchenfelle trugen. Die Männer waren unbekleidet.
Der große Aufschwung kam 1931
Von nackten Indianern ist zu dieser späten Stunde weit und breit nichts mehr zu sehen. Die vielspurige Straße vom Flughafen McCarran International könnte sonst wohin ins Dunkel führen. Doch bringt sie die Ankömmlinge vorerst in die angeblich hellste Stadt der Welt. Las Vegas ist der Start- und Endpunkt ihrer Mietwagenrundreise durch Nevada, Arizona, Utah. Einige der schönsten Gegenden im Südwesten der USA und zwölf aufregende, erlebnisreiche Tage liegen vor ihnen.
Es regnet nicht. Doch geht der Scheibenwischer. Und weiß der Wüstenfuchs, warum die rote Ampel jetzt eine leere Kreuzung sperrt. Für die beiden müden Insassen ein kleiner Zeitgewinn, um zu ergründen, wie sich die quietschende Nervensäge an der Heckscheibe zum Schweigen bringen lässt. Dass sie nicht am Tag gelandet sind, hat einen Vorteil: Die breite Fahrbahn gehört ihnen fast ganz allein. Zunächst.
Je weiter sie sich auf die Skyline zubewegen, umso zahmer und vertrauter fügen sich die 390 Pferdestärken des SUV. Vor den Reisenden liegt, im Glamourglanz des abendlichen Lichtermeeres, die wohl verrückteste und sonderbarste Stadt der Welt.
Erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts von Mormonen besiedelt, diente der mit Quellen gesegnete Wüstenort auch als Fort der US-Armee und Wegstation für Reisende zwischen Kalifornien und New Mexico. Der große Aufschwung kam 1931, als der Staat Nevada das Glücksspiel legalisierte. Hotelcasinos, Wettbüros, Bars und Nachtclubs schossen wie Pilze aus dem Boden und lockten Gangsterbosse an, die die Stadt allmählich übernahmen. In den 70er-Jahren war Las Vegas bereits so heruntergekommen, dass es brave Bürger eher mieden.
Anschaulich dargestellt ist diese Entwicklung an einem authentischen Schauplatz, dem ehemaligen Post- und Gerichtsgebäude, in dem zahlreiche Mafiaprozesse stattfanden. Seit 2012 bietet der neoklassische Bau in Downtown als Nationales Museum für organisierte Kriminalität und Strafverfolgung (MOB Museum) spannende Einblicke in die dunklen Kapitel der einstigen „Stadt der Sünde".
Mit gigantischen Bling-Bling-Shows wie ehemals von Siegfried und Roy mit ihren weißen Großkatzen und anderen publikumswirksamen Attraktionen hielt zu Beginn der 90er-Jahre der Familientourismus in Las Vegas Einzug. Mit immer neuen Sensationen buhlen seither die Hotels um Gäste.
Zur ägyptischen Sphinx und dann nach Venedig und zur Schatzinsel
Lawinen von Touristen durchströmen Tag für Tag den Strip, die knapp sieben Kilometer lange Hauptvergnügungsmeile zwischen „Mandalay Bay Resort" und dem 350 Meter hohen Stratosphere Tower. Hier kann man von der ägyptischen Sphinx bis nach Venedig laufen und kommt sogar noch am Hotel und Casino „New York ‒ New York", der Schatzinsel und dem Eiffelturm vorbei.
Alles ist ein riesiger Rummelplatz, ein kitschig funkelnd-bunter Mix, frei nach dem Motto: „Hauptsache groß, laut und viel." Und, wie die vielen Baustellen zeigen, ist kein Ende dieses Booms in Sicht. Zu den auffälligsten Neuigkeiten der vergangenen Jahre gehört der 2014 eröffnete High Roller, das mit fast 168 Metern höchste Riesenrad der Welt – bis zur Ablösung durch das voraussichtlich 260 Meter hohe Ain Dubai im Frühjahr 2020.
Entgegen vieler Behauptungen wurden diese vertikalen Karussells nicht in den USA erfunden. Zwar ging hier 1893 zur Weltausstellung in Chicago das erste richtig große, über 80 Meter hohe, Riesenrad in Betrieb. Seine deutlich kleineren Vorgänger drehten sich jedoch bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Bulgarien.
Vom Zimmer im „Platinum Hotel" schaut man direkt auf das mit mehr als 2.000 LEDs illuminierte Monsterrad. Wie eine Raumstation ragt es zwischen all den hell erleuchteten Straßen und Gebäuden in den nächtlichen Las Vegas-Himmel. In jeder seiner 28 geschlossenen Gondeln haben bis zu 40 Leute Platz.
Je nach Bedarf lässt sich jede der Ufo-artigen Kabinen mit einer rollenden Bar ausstatten. Per Happy-Hour-Ticket kann man während der 30-minütigen Fahrt so viel trinken, wie man schafft. Besonders happy sind wohl die, die das fliegende All-you-can-drink-Erlebnis mit nur wenigen anderen teilen müssen. Mit ganz viel Glück hat man die Bar nebst Barmann oder -frau sogar ganz für sich allein. Und wem der Weg dorthin zu Fuß zu uncool ist, der kann sich à la Superman – bäuchlings durch die Luft – per Seilrutsche Fly Linq Zipline auf den High Roller zubewegen. Sitzend geht natürlich auch und ist sogar noch etwas billiger. Die 35 Meter hohe Startrampe der Seilrutsche befindet sich im zwölften Stock des Hotels „The Linq". Das ist mit dem Riesenrad verlinkt durch eine Promenade gleichen Namens. Direkt darüber, an 330 Meter langen Seilen, können maximal zehn Superhelden gleichzeitig die Welt retten, natürlich immer kräftig schreiend.
In der Silent Disco kommt die Musik aus dem Kopfhörer
In der Hoffnung, dass keinem Helden von der Höhe oder dem letzten schnellen Cocktail plötzlich übel wird und sie davon beregnet werden, schauen die Passanten unten zu.
Während ringsum plötzlich alle ganz normal mit ihren Armen fuchteln, hüpfen oder wenigstens ein bisschen wackeln, stehen die zwei deutschen Touris wie blöd mit ihrem Sechs-Dollar-Eis herum. Sie sind beim Schlendern durch die dichtgefüllte Promenade in eine Silent Disco geraten.
Von Musik ist nix zu hören, denn die schickt der DJ jedem direkt auf die Ohren – auf drei verschiedenen Kanälen. „Hey, tanzt doch auch", sagt Julie und drückt den beiden Wundertüten kabellose Kopfhörer in die Hand. „Sucht aus, was euch gefällt", sagt die Promoterin und zeigt den Knopf zum Wählen. Und schon ist die stumme Tanzgemeinde um zwei Zappler reicher. Für den Augenblick ist es ein Spaß, aber eigentlich doch ganz schön krank.
Fontänenshows im „Bellagio", Vulkanausbrüche im „Mirage"
Nur ein paar Schritte weiter kann man sich gemeinsam an handgemachten Rhythmen freuen. Eine junge Schlagzeugerin zeigt ihr Können und leiht die Trommelstöcke gern auch mal aus. Gegenüber zeigen Graffiti-Sprayer ihr Talent. Und Künstlerin Cerissa Lopez vom Bowling-Zentrum Brooklyn Bowl malt farbenfrohe Blumen an den Laternenpfahl. Dahinter, auf dem Strip, beginnt der abendliche Pendellauf zwischen den Fontänenshows vor dem „Bellagio" und den Vulkanausbrüchen am „Mirage".
Ihr persönlich schönstes Las Vegas-Erlebnis erwartet die beiden Autoreisenden am nächsten Morgen. Als die Sonne über Sunrise Mountain aufgeht und erst die Mojave-Wüste, dann die ganze City mit einem Feuerschein bedeckt, sind sie schon auf der Interstate 15. Der Süd-Nord-Highway bringt sie aus der Stadt zu den atemberaubend schönen Landschaften der umliegenden Nationalparks – hinein ins echte Reiseabenteuer Südwest-USA.