Das Fluchtdrama „Queen & Slim" porträtiert mit stiller Wucht ein afroamerikanisches Pärchen, das zur falschen Zeit am falschen Ort in Notwehr einen rassistischen Cop erschießt und in einer Odyssee Richtung Florida flieht. Das unerreichbare Ziel ist Kuba.
Zwischen Schwarz und Weiß liegen Abermillionen Farbtöne, die sich durch äußerliche Einflüsse permanent potenzieren. Die Geschichte, die hier erzählt wird, beginnt mit einem typisch amerikanischen Klischee der Schwarz-Weiß-Malerei, in einem typisch amerikanischen Fast-Food-Diner bei einem Tinder-Treffen. Dieses Flirt- und Seitensprungportal führt auch Earnest „Slim" Hines (Daniel Kaluuya) und Angela „Queen" Johnson (Jodie Turner-Smith) zusammen.
Auf dem Nachhauseweg werden die beiden von einem frustrierten weißen Cop wegen einer Lappalie gestoppt und offensichtlich schikaniert. Ein Wort gibt das andere, die Situation eskaliert, Queen wehrt sich, wird am Arm durch einen Streifschuss verletzt, Slim streckt den Polizisten im Affekt nieder, um seiner neuen Flamme das Leben zu retten.
Was in den meisten Roadmovies aus diesem Ausgangspunkt angeschoben wird, ist entweder eine sattsam bekannte Synthese aus bemerkenswerten „Bonnie und Clyde"-Epen wie von Arthur Penn mit Faye Dunaway und Warren Beatty oder dem Meisterwerk „Thelma & Louise" mit Geena Davis und Susan Sarandon von Ridley Scott.
Irrweg durch Trump’sche USA
Nun sind die beiden hier in aller Augen und Ohren Polizistenmörder. Schwarze Monster, die eine konditionierte kleine, pflichtbewusste und manipulierte Marionette getötet haben, die einen Staat, in dem schnell die Waffen gezogen werden, hinter sich hat. Dummerweise wurde die Eskalation auf Video aufgezeichnet und verbreitet sich viral. Eine protestierende Monsterwelle von Sympathisanten und Trittbrettfahren wütet. Da plappert ein kleiner Bub von den Demos, da flirren minütlich die News über die Bildschirme. Slim und Queen hingegen aber finden kurioserweise ruhige Momente in einem verblüffend episch langen Filmcoup und kommen sich auf ihrem Irrweg durch das raue Trump’sche Amerika näher. Sie pausieren, halten inne, erfreuen sich an freundlichen Menschen, Pferden oder der noch unberührten Landschaft und Natur …
Nahezu naturalistisch inszeniert die zweifache Grammy-Preisträgerin Melina Matsoukas, unter deren Ägide Megastars wie Beyoncé und Rihanna ihre sündhaft teuren Musikfilmchen glanzvoll vermarkten, eine von allen Soßen der blindwütigen Ballerei entfetteten Lichtspiel-Perle, die tiefgründig nachhallt.
Mithilfe des durchdachten Skripts von Lena Waithe („The Chi") und dem Underdog-Romancier James Frey („1000 kleine Scherben") entstand ein Spielfilm, der von erstaunlich empathischen Hauptrollen getragen wird. Daniel Kuluuya machte sich schon 2011 in der Serie „Black Mirror" einen Namen in der Hollywoodmenagerie. Jodie Turner-Smith ist aus der actionbetonten US-Fernsehserie „Nightflyers" nicht mehr wegzudenken. Dieser Spezialisten-Potpourri befeuert einen nichtalltäglichen Kinogenuss, der selbst die größten Arthaus-Feinde befriedet. Denn er ist von blödsinniger und lärmender Dauerballerei befreit und geht mit besonders empathischem Gespür für die unendlichen Zwischentöne an das Sujet heran, bei dem man ganz genau hinschauen muss. Das ist kein konventionelles, nach einer bestimmten Filmgattung bestimmbares Schubladen-Kino, sondern ein mutiger, vor allem selbstreflektierender Mix, der trotz der adrenalinen Basis nachdenklich stimmt und offene Fragen aufwirft, die alle beschäftigen.
Von empathischen Rollen getragen
Massenhysterie und Opfer-Gegengewalt sind Themen, die uns immer wieder gesellschaftlich bewegen. Man erinnere sich an Trayvon Martin, der 2012 verstarb und dessen gewaltsamer Tod sogleich die „Black Lives Matter"-Fraktion gebar. Oder die an wüste John-Wayne- Filme gemahnende sklavische Symbolik, als im August 2019 ein schwarzer Verdächtiger in Texas von berittenen Polizisten an einem Strick über den Asphalt gezogen in Gewahrsam verbracht wurde.
Die alles erfassende Kamera von Tat Radcliffe in „Queen & Slim" erzählt eine lange Geschichte und besinnt sich auf die Urfunktion des Mediums Films. Am Ende steht die Frage: Was wird aus dieser unserer gemeinsamen Welt, wenn es so weitergeht? Heute stehen wir vor dem Abgrund, morgen sind wir einen Schritt weiter? Die Botschaft lautet Glaube, Gemeinsamkeit, Liebe und Hoffnung werden uns retten können. „Aus der Stille werden die wahrhaft großen Dinge geboren", philosophierte schon der schottische Historiker und Essayist Thomas Carlyle (1795 – 1881) und bringt damit die Kernaussage dieses wunderbaren Films auf den Punkt.