Wie schön ist es im Zeitalter unzuverlässiger Streaming-Übertragungen, wenn ein großes Sportevent auf Knopfdruck im kostenlosen Free-TV zu sehen ist. Von weither kommen die Signale, mit denen die Grand Slams ins neue Tennisjahr starten, von den Australian Open in Melbourne.
Auch ohne Internetverbindung kann auf Eurosport vom 20. Januar bis zum 2. Februar wirklich jeder Fan dabei sein, der Fünf-Satz-Matches, berührende Abschiede großer Sportler und das Sichtbarwerden neuer Sterne miterleben möchte. Siehe Andy Murrays Verabschiedung vor einem Jahr. Wobei die Good-bye-Grüße seiner Kollegen und Gefährten im Januar 2019 für ihn – rückblickend betrachtet – so verfrüht und unpassend waren wie Trauerreden für einen Scheintoten. Fakt dürfte hingegen Caroline Wozniackis kürzlich angekündigter Abgang von der Profi-Tour sein.
Vorerst wendet sich die ehemalige Nummer eins aus Dänemark an ihre Social-Media-Fans und nach den Australian Open neuen Zielen in ihrem Leben zu. „Ich habe alles erreicht, wovon ich geträumt habe", teilt die 29-Jährige auf Instagram mit. Mit 19 Jahren war die gute Freundin von Angelique Kerber erstmals die beste Profi-Spielerin der Welt. Insgesamt 71 Wochen führte Wozniacki die WTA-Liste im Frauen-Tennis an. Vor ein paar Monaten heiratete die Dänin einen sehr erfolgreichen Ex-Sportler, nämlich den Basketball-Profi und NBA-Champion David Lee. Alles in allem kein schlechter Zeitpunkt, um eine Profi-Karriere zu beenden, die fast die Hälfte ihres bisherigen Lebens umspannte. Und das an dem Ort, an dem „Caro" vor zwei Jahren strahlende Championesse war. Schließlich sind die Australian Open eines der vier wichtigsten Turniere im Tennisjahr, bei dem übrigens Serena Williams vor drei Jahren schwanger ihren 23. Grand-Slam-Titel holte. Kerber sprang 2016 vor Freude über ihren ersten Turniersieg im Super-Major gar in einen kühlen Fluss.
Über Vergangenes und Aktuelles in der Welt der Athleten plaudert neuerdings Angies Porsche-Team-Gefährtin Andrea Petkovic öfter ganz offen. In ihrer neuen Funktion als Sportmoderatorin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Damit lässt Andrea den ersten Teil ihrer Zukunftsplanung für ihre Zeit nach dem Tenniszirkus Wirklichkeit werden. „Petkos" Premiere bei der ZDF-„Sportreportage" im Dezember verlief ganz gut, sobald sich die eloquente Lebensphilosophin aufgewärmt hatte. Bei ihrer Vorbereitung auf das neue Tennisjahr hatte die 32-Jährige hingegen Pech: Eine Knieverletzung rückte das Streben der Darmstädterin nach höheren Grand-Slam-Erfolgen in der Schlussphase ihrer Karriere einmal mehr in weite Fernen.
Andrea Petkovic als Sport-Moderatorin im TV
Nägel mit Köpfen machte indes Anna-Lena Grönefeld. Die frisch verheiratete 34-Jährige verkündete mit einem Kinderfoto auf Twitter, dass Schluss mit Tennis sei und ihr nächstes Ziel, „hoffentlich" eine eigene Familie zu gründen. „Dieses kleine Mädchen hatte Träume. Die letzten 18 Jahre durfte sie einen davon leben", twitterte Grönefeld in die subjektiv geprägte, soziale Kurznachrichten-Welt. Trophäen hat die begeisterte Fed-Cup-Teilnehmerin reichlich gesammelt. Als Einzelspielerin kam die Nordhornerin bis auf Rang 14 der Weltrangliste. Später konzentrierte sich die sympathische Teamplayerin noch erfolgreicher auf Mixed und Doppel. Zwei Grand-Slam-Titel im Mixed – in Wimbledon und in Paris – sowie mehrere Endrunden bei den größten Turnieren der Welt konnte sie auf ihrer Liste der Tennisträume abhaken. Auf der WTA-Tour stand Anna-Lena 17-mal mit Doppel-Partnerinnen auf dem Siegertreppchen ganz oben. Vergangenen November erreichte Grönefeld mit Demi Schuurs das Halbfinale der WTA-Finals in Shenzhen – ein stimmiger Schlussakkord. In Hannover will die Niedersächsin künftig an der Tennis-Base andere Sportler und den Nachwuchs anleiten. Barbara Rittner, „Head" der Damen im Deutschen Tennisbund, gratulierte ihr auf Twitter zur „tollen Karriere". Wie übrigens auch Kristina Mladenovic und Nicolas Kiefer, der 2004 Olympia-Silber im Doppel holte. Die DTB-Chefin der Spielerinnen richtete an die Friedensstifterin ihres ehemaligen Fed-Cup-Teams ein: „Keep in touch". Eine weitere Zusammenarbeit der beiden Motivationsgenies ist wichtig, denn den deutschen Tennisdamen fehlt für die Tour der erwachsenen Profis der unmittelbare Nachwuchs. Der müsste von kompetenten Coaches und Beratern jetzt sehr schnell gefunden und nachgebildet werden. Erfahrung mit der Profi-Tour ist dabei Gold wert. Eine vielversprechende „Zwanzigerin", wie die Japanerin Naomi Osaka, die vergangenes Jahr die Australian Open mit 21 Jahren gewann, ist beim DTB derzeit nicht in Sicht. Die fünf deutschen Spielerinnen, die in Melbourne direkt im Hauptfeld starten, sind alle über 30 Jahre alt. International dominierten 2019 die jüngeren Damen beim Griff nach den Grand-Slam-Titeln.
2020 werden die Tennisenthusiasten, wenn sie bei Eurosport einschalten und den Co-Kommentaren der Wimbledon-Legende Boris Becker aus Melbourne lauschen, mitbekommen wollen, ob auch im Herrentennis tatsächlich die Zukunft beginnt. Keiner der aktuellen Welt-Topspieler, der jünger als 30 Jahre ist, hat bisher einen Grand-Slam-Pokal im Regal stehen. Als Novak Djokovic in der vergangenen Saison als Champion der Australian Open gefeiert wurde, war er 31 Jahre und nahm bereits seine siebte Trophäe aus Melbourne mit nach Hause.
Egal, ein neues Jahrzehnt beginnt: Die Golden Twenties könnten schon bei den Australian Open für die „Twens" Dominic Thiem, Stefanos Tsitsipas und Daniil Medvedev ins Rollen kommen. Thiem versuchte bei der Vorbereitung in Miami schon mal abzuheben, wenn auch nur beim Paragliding. Tsitsipas hielt seine Ruhepause vor der Saison schnell nicht mehr aus. Der Grieche brach mit seiner selbstauferlegten Social-Media-Abwesenheit, um sich von seinen Followern etwa bei der Wahl einer Lieferdienst-Pizza beraten zu lassen. Die Energiereserven des 21-Jährigen dürften aufgefüllt sein.
„Sascha" Zverev ließ sich an den Augen operieren
Ob die deutsche Nummer eins, Alexander Zverev, beim Kampf um den ersten Major-Sieg des Jahres ernsthaft mitspielt, ist offen: „Sascha" ließ sich Anfang Dezember an den Augen operieren. Ohne Kontaktlinsen aufzuschlagen und zu retournieren, ist für den 22-Jährigen neu. Während seiner erfolgreichsten drei Jahre trug der Top-Ten-Stammgast auf den Courts Kontaktlinsen, außerhalb der Plätze Brille. Doch die Linsen bereiteten Zverev zunehmend Schwierigkeiten während des Trainings und in den Matches. Den Ball frühzeitig exakt zu antizipieren und zu fokussieren, ist auf dem Level der reaktionsschnellen, hundert besten Tennisspieler der Welt unerlässlich. Der gebürtige Hamburger entschied sich daher, der fortschreitenden Hornhautverkrümmung durch eine Operation Einhalt zu gebieten. Zuvor stellte der Halbfinalist der ATP-Finals von London auf einer Showtour mit seinem Mentor Roger Federer durch Südamerika noch einen Rekord mit 42.517 Zuschauern bei einem Match in der Stierkampfarena von Mexiko-Stadt auf.
Nach einem kurzen Urlaub am Strand von Mexiko fühlte sich die Nummer sieben der Welt schließlich bereit für den Eingriff. Auf Instagram meldete sich die deutsche Grand-Slam-Titelhoffnung bald nach der OP. „Alles lief nach Plan", verkündete er in seinem Netzwerk-Video. „Es geht mir gut."
Wenn die Zeit zum Heilen und Ausruhen für die Augen – trotz Saisonvorbereitung – ausgereicht hat, steht Sascha bei den Australian Open als Mit-Favorit auf dem Court. Ob ihm seine neue Sicht auf die Dauerabonnenten der Grand-Slam-Titel seit 2016, Djokovic, Federer und Rafael Nadal, genügend Mut gibt, die „Big Three" mit offensiver Spielweise aus der Balance zu bringen und selbst den ehernen Retournierer Djokovic in seinem Selbstbewusstsein zu erschüttern, wird sich zeigen. Anders als die großen Drei haben ihre wichtigsten Angreifer, zu denen auch Zverev gehört, keine Zeit, im Saisonverlauf längere Pausen einzulegen, weil sie sonst zu viele Punkte und ihre Match-Konstanz verlieren würden. Die Urlaubsphase durch eine Woche Show mit Federer auf nur sechs Tage zu verkürzen, könnte sich deshalb für Zverev im Nachhinein als schlechte Wahl herausstellen.
Mies und Krawietz mit guten Chancen
Auch bei den Australian Open lohnt sich der Blick auf die deutschen French-Open-Sieger im Doppel, Andreas Mies und Kevin Krawietz. Ebenso auf Jan-Lennard Struff, derzeit auf Platz 35 der weltbesten Spieler, und Julia Görges, die mit dem ehemaligen Fed-Cup-Kapitän Jens Gerlach als neuem Coach unterwegs ist. Ob Laura Siegemund, Tatjana Maria, Philipp Kohlschreiber, Dominik Koepfer, Cedric-Marcel Stebe, aber auch Maximilian Marterer, Dustin Brown, Yannik Hanfmann, Mats Moraing, Oscar Otte, Sabine Lisicki, Mischa Zverev, Antonia Lottner, Yannick Maden, Mona Barthel, Peter Gojowczyk, Matthias Bachinger und Tobias Kamke im Hauptfeld von sich reden machen, wird sich zeigen. Deren eventueller Auftakt in vielleicht goldene Tennis-Zwanziger ist für Fans aus der Ferne bei diesem Event zum Glück ja auch im Fernsehen mitzuerleben.