Deutschlands Sicherheit werde „nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt", sagte einst Peter Struck. Heute führt Brigadegeneral Jürgen Brötz den Einsatz, der von den Entwicklungen im Irak nur mittelbar betroffen ist.
Herr General Brötz, im Unterschied zum früheren Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (Isaf) in Afghanistan:
Gibt es Veränderungen?
Ja. Im Unterschied zum Isaf-Mandat bis 2014, das eine Sicherheits- und Wiederaufbaumission unter Nato-Führung war, unterstützen und beraten wir jetzt bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, wie dem Militär und der Polizei. Allein unsere Zielgruppe hier im Norden des Landes umfasst mehr als 45.000 Personen.
Wie sieht Ihr Aufgabengebiet aus?
Ausbildung, Beratung, Unterstützung. Auf Englisch heißt es „Train, Advise, Assist". „Resolute Support" (Name der Mission, Anm. d. Red.) unterscheidet sich darin, dass es im Vergleich zur beendeten Mission keine deutsche Beteiligung meiner Soldaten an Kampfhandlungen mehr gibt. „Resolute Support", das jetzige Mandat, hat die stetig wachsende Befähigung der nationalen Sicherheitskräfte zum Ziel, selbstständig für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Dazu bedarf es einer großen Bandbreite an Fähigkeiten, die wir gezielt ausbilden und unterstützen. Diese umfassen Personalwesen, militärische Nachrichtenlage, Logistik, Planung von strategischen Kampfhandlungen sowie taktische Grundsätze der Sicherung.
Gibt es messbare Erfolge?
Ja. In der Zusammenarbeit mit meinen afghanischen Partnern erkenne ich immer wieder sichtbare Fortschritte. Zum einen wird unsere Beratung gut umgesetzt, zum anderen sind Wissbegierde und Lernwilligkeit vorhanden. Das zeigt mir immer wieder die Notwendig- und Sinnhaftigkeit unseres Einsatzes. Eine Verlängerung des Mandats über den 31. März 2020 hinaus kann ich mir deswegen gut vorstellen. Auch das deutsche Generalkonsulat und das Büro der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) befinden sich aus Sicherheitsgründen im Camp Marmal. Wir arbeiten sowohl eng mit dem Generalkonsul wie auch mit Mitarbeitern der GIZ zusammen, die in Nordafghanistan Projekte der Entwicklungszusammenarbeit betreuen.
Wie ist die Sicherheitslage in Ihrem Einsatzgebiet und im Rest Afghanistans?
Niemand von uns fährt ungeschützt durch das Land. Zudem wollen wir Bewegungen am Boden soweit es geht vermeiden. Daher gibt es viele Lufttransporte, um die Risiken zu minimieren.
Gab es schon einmal Anschläge auf Camp Marmal? Wenn ja: wann und wie?
Es gibt Anschlagswarnungen, aber keine Anschläge. Die Infos bekommen wir aus den militärischen Netzwerken und aus spezifischen Nachrichtenübermittlungen. Eine Bedrohung ist durchaus vorhanden. Daneben gibt es immer mal wieder Beschüsse des deutschen Feldlagers Pamir in Kundus durch Raketen der Taliban.
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aben Sie Kontakt zur Zivilbevölkerung?
Ja, ich habe nicht nur intensiven Kontakt zu den Provinzgouverneuren, sondern auch zu den Vertretern der Religionsgemeinschaften, Jugend- und Studentenorganisationen sowie zu den Vorstehern von einzelnen Dörfern. Hier sprechen wir über allgemeine Sicherheitsfragen.
Wenn Freunde nach Afghanistan reisen wollen, was würden Sie ihnen raten?
Ich würde niemandem raten, überhaupt nach Afghanistan privat zu reisen. Und wenn es doch sein muss, sollten sie die Sicherheitsmaßnahmen beachten, wie zum Beispiel ihre Reise dem Auswärtigen Amt bekanntzugeben. Es gibt immer auch Touristen, die kommen, um Bergtouren zu unternehmen. Doch es gibt hohe Sicherheitsrisiken.
Mittel- und langfristig: Welche Entwicklungen erwarten Sie in Afghanistan beziehungsweise in Nordafghanistan?
Ich hoffe sehr, dass durch neue Verhandlungen mit den Taliban Frieden zumindest mittel- bis langfristig greifbar wird. Durch diese Prozesse, die den innerafghanischen Dialog einschließen, sind durchaus Chancen einer Annäherung gegeben. Wir sind schon sehr froh darüber, dass im September Präsidentschaftswahlen stattfinden konnten.
Welche Konfliktherde sehen Sie?
Das Land ist geprägt durch eine Vielzahl von ethnischen Minderheiten. Ich fühle in allen Gesprächen, dass der Wunsch nach Frieden deutlich vorhanden ist. Dieser Wunsch wird auch die Unterschiedlichkeit der Volksgruppen und die Feindschaft zu den Taliban überwinden helfen. Frieden hat hier durchaus einen hohen Stellenwert durch alle Bereich hinweg.
Nach vielen Diskussionen in Deutschland um die technische Ausstattung der Bundeswehr: Wie sieht es damit konkret im Einsatz aus?
Mit dem mir zur Verfügung stehenden Material kann ich meinen Auftrag gut erfüllen. Die politischen Diskussionen in Deutschland haben keine Auswirkungen auf meinen Auftrag hier.
Sie leben in Berlin und kehren im August 2020 nach Deutschland zurück. Wie geht Ihre Familie mit der langen Abwesenheit um? Gibt es vor Ort ein Betreuungsangebot für Soldatenfamilien?
Ich habe vorher meinen Einsatz mit der Familie besprochen. Sie konnten es gut aufnehmen. Eine regelmäßige Kommunikation ist möglich, wir chatten jeden Tag für mindestens zehn Minuten. Das klappt gut, zumal die technische Ausstattung dafür gegeben ist. Mindestens zehn Minuten pro Tag sollten alle Soldatinnen und Soldaten für die Familie zu Hause aufwenden. In Deutschland gibt es ein gutes Netz von insgesamt rund 50 Familienbetreuungszentren in allen Regionen, die ganz speziell auf die Bedürfnisse der zu Hause gebliebenen Familien sowie Partnerinnen und Partner eingehen.
Haben Sie Sorge, dass ein möglicher Abzug der Amerikaner beziehungsweise eine Reduzierung der US-Truppenstärke die Mission „Resolute Support" beeinträchtigen oder gefährden könnte?
Am Ende des Tages zählt für mich, dass wir hier mit einem hohen Engagement unseren Auftrag erfüllen. Die politischen Diskussionen um Veränderungen tangieren die Männer und Frauen nicht. Wir leisten einen wichtigen Beitrag im Sinne der Nato. Höchste Priorität hat dabei der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten. Da gehen wir keine Kompromisse ein.