Vor einem Jahr noch kaum vorstellbar, hat das Thema Nachhaltigkeit in der Mode inzwischen hohe Wellen geschlagen. Auch wenn bislang noch wenig mehr als ein Material-Recycling als zeitnaher Lösungsansatz zu erkennen ist.
Sie galt ja bislang nicht gerade als ältere Version der Umweltaktivistin Greta Thunberg. Von daher ist es mehr als überraschend, dass ausgerechnet die glamouröse Anna Wintour, die seit Ewigkeiten als Chefin der US-„Vogue“ fungiert, jüngst zu Nachhaltigkeit in der Mode aufgerufen hat. Und ihr Wort hat bekanntlich Gewicht, schließlich gilt sie unbestritten als mächtigste Frau des Fashion-Business. Es verwundert also kaum, dass das brandaktuelle Thema auf der Online-Plattform des Magazins dem Überblick über die neuen Trends der Sommersaison 2020 vorangestellt war.
Und nicht nur das, die „Vogue“ wagte es doch tatsächlich, die Institution der Klamottenbranche schlechthin, nämlich die im Halbjahres-Rhythmus abgehaltenen Fashion Weeks, ernsthaft in Frage zu stellen – und indirekt damit auch sich selbst. Das Prinzip dieser Events, deren Ursprung bis in die 1930er-Jahre zurückreicht, besteht überspitzt gesagt darin, dass die Kleider saisonal kontinuierlich entsorgt und durch immer nur kurzfristig trendig-neue Teile ersetzt werden. Dieses Wegwerf-System müsse dringend auf den Prüfstand gestellt werden – und mit ihm die gängigen Etiketten „In“ oder „Out“. Die Menschheit könne es sich angesichts der Umweltproblematik nicht mehr leisten, Klamotten schon nach wenigen Monaten aufs Abstellgleis zu schieben, sondern müsse ein Bewusstsein für nachhaltige Kleidungsstücke entwickeln, die viele Jahre geliebt und getragen werden sollten.
Fürwahr ein bemerkenswertes Statement, vor allem aus dem Kreise der „Vogue“. Vor gut einem Jahr war das noch relativ unvorstellbar. Doch in den vergangenen zwölf Monaten hat sich mit den Demonstrationen und den heißen Kontroversen rund um den Klimawandel vieles grundlegend verändert. Gleichermaßen geschah Ähnliches in den Köpfen einer ganzen Reihe von Prominenten aus der Mode-Welt, obwohl die Mehrzahl der Luxus-Labels noch lange nicht auf den Spuren von Öko-Fashion Vorreiterinnen wie Stella McCartney oder Vivienne Westwood wandelt. Viele beschränken sich bislang darauf, über die Verwendung von Recycling-Materialien nachzudenken. Junge Brands wie Marine Serre, Matty Bovan oder Dilara Findikoglu haben in ihren Sommer-Kollektionen 2020 immerhin schon mal beispielhaft vorgemacht, wie toll Klamotten auf Basis von wiederverwendeten Materialien aussehen können.
Die CO²-Emissionen müssen stark reduziert werden
Stella McCartney, die seit jeher nur vegane Mode kreiert, wird kommenden Sommer ihre bislang grünste Kollektion vorstellen, weil 75 Prozent der Stücke als umweltfreundlich eingestuft werden können. Bei Vivienne Westwood ist die Hälfte des Sommer-Sortiments aus unverkauften Stücken geschneidert worden. Auch bei Natasha Zinko werden Lagerbestände zweitverwertet. Andere bekannte Marken wie Gabriella Hearst, die Wolle von eigenen Schafen verarbeiten kann, Marni, Gucci, Alexander McQueen, Collina Strada, Patagonia, Maggie Marilyn, Reformation oder Preen by Thornton Bregazzi haben sich zum Ziel gesetzt, durch Innovationen im Produktionsprozess den CO²-Ausstoß zu reduzieren. Für die vergangene Wintersaison hatten das auch schon Marken wie Mara Hoffman oder Creatures of the Wind in die Wege geleitet. Und bei Alexander McQueen hatte Sarah Burton manche Stücke aus Restmaterialien entworfen oder zumindest aufgepeppt. Die großen Billig-Fast-Fashion-Retailer wie Zara oder H&M, die ihre Milliardenumsätze auch dank teils monatlichem Klamottenwechsel erzielen, haben zwar zuletzt schon jede Menge Versprechungen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit gemacht, es bleibt aber abzuwarten, ob und in welchem Umfang sie diese Zusagen wirklich einhalten.
Tillmann Prüfer machte in der „Zeit“ auf umweltfreundliche PR-Aktionen bekannter Labels im Rahmen der Pariser und Mailänder Fashion Weeks aufmerksam. So habe der Luxuskonzern Kering bekannt gegeben, künftig alle CO²-Emissionen kompensieren und zusätzlich in Wiederaufforstungsmaßnahmen investieren zu wollen. Marni habe sein verwendetes Plastikmaterial als aus dem Meer herausgefischt deklariert. Doch das allein dürfte laut Prüfer nicht genügen: „Am umweltfreundlichsten ist es, keine Mode zu kaufen.“ Weil das natürlich ein unrealistisches Szenario ist, gab Prüfer seinen Lesern folgenden Rat auf den Weg: „Schon ein bisschen Mode weniger könnte dem Planeten ganz guttun.“
Bei all den aktuellen Diskussionen um eine nachhaltige Mode lohnt zunächst mal ein Blick auf die Fakten. Weltweit werden derzeit mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke jährlich neu gekauft. In deutschen Kleiderschränken sind über fünf Milliarden Teile deponiert, pro Kopf macht das rund 95 Stücke, von denen die meisten kaum getragen werden. Das meiste davon, nämlich stolze 75 Prozent, landet irgendwann im Kleidercontainer und soll danach Menschen in Entwicklungsländern glücklich machen. Laut Greenpeace werden selbst bettelarme Nationen mit dermaßen vielen Lieferungen überflutet, dass diese schon abwinken und keine Altkleider mehr abnehmen möchten.
Es wird in den wohlhabenden Gesellschaften zu schnell und zu viel Kleidung gekauft. Allein innerhalb der letzten 15 Jahre ist der Verkauf von Kleidung weltweit um das Doppelte gestiegen, während die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Teils auf im Schnitt gerade mal ein Jahr extrem stark zurückgegangen ist. Durch das Waschen synthetischer Textilien werden die Meere zunehmend verseucht. 35 Prozent des Mikroplastiks stammt daher aus Kleidungsstücken, wozu vor allem die Fast-Fashion-Ketten den Großteil beitragen. Derzeit verursacht die globale Textilindustrie jährlich 1,2 Billionen Tonnen Kohlendioxid – und damit mehr Mengen vom umweltschädlichen Treibhausgas als Flüge und Kreuzfahrten zusammen. Zur Verarbeitung der Kleidung ist ein enormer Wasserverbrauch nötig, und giftige Chemikalien gelangen über das Abwasser direkt in Flüsse oder die Ozeane. Neben der Zerstörung der Umwelt in vielen Staaten, die Kleidungsstücke produzieren, ist die Ausbeutung der dortigen Arbeiter ein großes Problem für die Modebranche.
Nachhaltigkeit ist ein recht diffuser Begriff
Als Lösungsansatz, um aus dem Teufelskreis auszubrechen, wird derzeit besonders das Stichwort „Kreislaufwirtschaft“ immer häufiger ins Spiel gebracht und basiert im Wesentlichen auf vier Elementen. Erstens sollte das Rohmaterial von möglichst hoher Qualität sein, um eine lange Haltbarkeit gewährleisten zu können. Zweitens sollte die Kleidung von Anfang an so entworfen werden, dass sie nicht ganz so schnell unmodern werden kann und dadurch nicht so schnell entsorgt werden muss. Drittens sollte die mögliche spätere Recycelbarkeit der Teile von Anfang an mit berücksichtigt werden. Viertens sollte der Einsatz von Rohstoffen möglichst reduziert und nur erneuerbare Rohstoffe verwendet werden. Zahlreiche Modemarken haben bereits ihre Zustimmung zu diesem Neuansatz erteilt, doch Umweltschützer mit Greenpeace an der Spitze kritisieren, dass bislang kaum mehr als das Produkt-Recycling angegangen worden sei, während das eigentliche Problem, die immer schnellere Überproduktion und der übermäßige Konsum von Kleidung bislang nicht gestoppt worden sei.
Dass ökologisch und fair produzierte Mode in der Regel teurer als billige Massenware sein muss, dürfte sich von selbst verstehen. Ob die Mehrzahl der Verbraucher damit einverstanden sein wird, bleibt abzuwarten. Zudem wird jeder für sich etwas anderes unter dem Stichwort „Nachhaltigkeit“ verstehen, weil es dafür in der Fashion-Welt keine allgemein verbindliche Definition gibt. Aber eine möglichst schadstoffarme Produktion unter Verwendung erneuerbarer natürlicher Rohstoffe oder zumindest ökologisch nachhaltiger Kunstfasern durch korrekt bezahlte Arbeitskräfte könnte schon mal als Verständnisbasis sicherlich sehr hilfreich sein.