Während manche Menschen bereit sind, immer wieder neue Risiken einzugehen oder sich in wagemutige Abenteuer zu stürzen, wollen andere unbedingt auf der sicheren Seite sein. Warum ist das so, und wovon hängt unser Risikoverhalten ab?
No risk, no fun" ist ein viel zitierter Leitspruch. Doch während die einen ihr Leben danach auszurichten scheinen, jede Action-Sportart mitnehmen oder auf riskante Aktien setzen, wollen andere lieber auf Nummer sicher gehen. Woher kommt unser Risikoverhalten?
Als Risikobereitschaft wird die individuelle Bereitschaft, ein Risiko zu akzeptieren beziehungsweise einzugehen, bezeichnet. Die wiederum ist abhängig davon, was wir subjektiv als Risiko einschätzen und wie wir dieses bewerten. Forscher konnten belegen, dass Jugendliche und junge Erwachsene am ehesten Risiken eingehen. Meistens sind sie dabei auf der Suche nach neuen und aufregenden Erlebnissen, was man als sogenanntes Sensation Seeking bezeichnet. Besonders stark findet sich dieses Verhalten Studien zufolge bei 19-jährigen Männern und 16-jährigen Frauen. Während unserer Kindheit steigt die Sensationslust langsam an, im Erwachsenenalter sinkt sie dann wieder. Daneben gibt es auch andere Arten des Risikoverhaltens, wie etwa zu handeln ohne nachzudenken – auch etwas, was man am häufigsten unter Jugendlichen findet.
Um herauszufinden, warum junge Menschen risikobereiter sind, haben Wissenschaftler des University College London 25.000 Probanden ein Spiel mit Hilfe einer speziell entworfenen App spielen lassen. Bei diesem konnten die Studienteilnehmer mehrere Wetten eingehen und dabei Punkte verlieren oder hinzugewinnen. Dabei stellten die Forscher fest, dass Probanden aller Altersgruppen riskante Wetten eingingen, um dadurch keine Punkte zu verlieren. Allerdings waren Probanden, die zwischen 18 und 24 Jahre alt waren, eher bereit, auch Wetten einzugehen, um Punkte zu gewinnen, als ihre 60 bis 69 Jahre alten Mitspieler. Ihr Fazit: Ältere Personen sind nicht grundsätzlich risikoscheuer. Gehen sie Risiken ein, dann vor allem um Verluste zu vermeiden. Risiken, bei denen eine Belohnung folgen könnte, scheuen sie jedoch eher.
Die Forscher führen das auf den mit dem Alter abnehmenden Dopamin-Level zurück. Das Glückshormon Dopamin wird vom Körper ausgeschüttet, wenn wir einer schönen, freudvollen Tätigkeit nachgehen. Unser Gehirn registriert das und lernt dabei, dieser Tätigkeit öfter nachgehen zu wollen. Im Alter nimmt nun der Dopaminpegel sukzessive ab. „Ältere Menschen sind einfach nicht so angezogen von großen Belohnungen und daher auch weniger bereit, entsprechende Risiken einzugehen", erklärt es der Neurowissenschaftler Robb Rutledge vom University College London.
Höhere Risikobereitschaft in Gruppen
Zudem können auch die Mitmenschen das Risikoverhalten junger Menschen deutlich steigern. Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene riskanter verhalten, wenn sie mit Altersgenossen unterwegs sind. Funktionelle Magnetresonanztomografie-Studien von Laurence Steinberg, Psychologe der Temple University, etwa belegen, dass das Belohnungssystem im Gehirn pubertierender Kinder besonders stark angekurbelt wird, wenn sie Anerkennung aus der Peergroup erhalten. Wenn die ganze Clique raucht, ist darum die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie irgendwann mitmachen.
Auch bei einem Experiment, bei dem der Straßenwechsel simuliert werden sollte, zeigte sich der Einfluss der Mitmenschen. Zwölfjährige und Erwachsene sollten jeweils alleine und mit einem Freund die Straße überqueren. Während die Jugendlichen deutlich wagemutiger waren, wenn sie in Gesellschaft die Straßenseite wechselten, konnte bei Erwachsenen kein Zusammenhang festgestellt werden.
Ein weiterer Faktor, der in Verbindung mit unserem Risikoverhalten stehen soll, ist die sogenannte graue Substanz. Als graue Substanz bezeichnet man die Gebiete des Zentralnervensystems, die vorwiegend aus Nervenzellkörpern bestehen. Die Nervenfasern bilden dagegen in ihrer Gesamtheit die weiße Substanz. Umgangssprachlich ist auch von „grauen Zellen" die Rede. Neurowissenschaftler der Yale School of Medicine untersuchten diese Nervenbahnen, indem sie 52 Probanden zwischen 18 und 88 Jahren 60 Mal wählen ließen, ob sie bei einem sicheren Spiel fünf Dollar gewinnen oder im Rahmen einer Lotterie mehr Geld oder eben kein Geld erhalten wollten. Das Ergebnis: Ältere Teilnehmer tendierten eher zu einem sicheren Gewinn als jüngere. Mittels eines MRT-Scans stellten die Forscher fest, dass es gar nicht so sehr das Alter selbst war, sondern dass vor allem das Volumen der grauen Substanz die Risikobereitschaft bestimmte. Gleichwohl nimmt die graue Substanz mit dem Alter auch ab. Evolutionsbiologisch mache das auch Sinn, weil ältere Menschen weniger Möglichkeit hätten, mit den Konsequenzen ihrer Risikobereitschaft zu leben oder sie zu beheben.
Aber nicht nur das Alter, sondern auch das Geschlecht scheint einen Unterschied in puncto Risikofreude zu machen. Fragt man in Studien Teilnehmer nach einer Einschätzung, welches Geschlecht risikofreudiger ist, fällt die Wahl meist auf Männer. Zahlreiche Untersuchungen aber belegen, dass das so nicht ganz richtig ist. Männer sind demzufolge risikobereiter, wenn es um Finanzen, Autofahren, Drogenkonsum oder riskantes sexuelles Verhalten geht. Eine Studie der Columbia Business School in New York aber belegt beispielsweise, dass Frauen eher als Männer bereit sind, auch noch mit Mitte 30 eine neue berufliche Karriere zu starten. Auch unangenehme Themen werden eher von Frauen als von Männern angesprochen. Wer von beiden also risikobereiter ist, hängt stark von der Fragestellung ab.
Stimmung hat einen Einfluss
Auch die Stimmung beeinflusst uns: Gute Laune erhöht die Risikofreude, während Pessimismus eher dazu führt, die sichere Variante zu wählen. Interessant dabei ist, dass die mit der Stimmung einhergehende Risikobereitschaft von äußeren Faktoren wie dem Wetter, der Jahreszeit oder dem Wochentag beeinflussbar ist. Die Psychologen Ross Otto und Johannes Eichstaedt konnten zeigen, dass solche Effekte ganze Städte oder Regionen betreffen können. Kommt beispielsweise nach mehreren wolkigen Tagen die Sonne heraus, werden in dieser Gegend mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Lottoscheine verkauft.
Wissenschaftler der Universität Zürich fanden zudem heraus, dass auch zu wenig Schlaf die Risikobereitschaft erhöht. Sie setzten 14 männliche Studenten zwischen 18 und 28 Jahren auf Schlafentzug: Eine Woche lang durften sie nur fünf Stunden schlafen. Zweimal täglich mussten die Studenten entscheiden, ob sie sofort einen kleineren Geldbetrag bekommen oder lieber um eine größere Geldmenge wetten wollen. Der maximale Gewinn lag bei 100 Franken. Das Risiko stieg mit der Gewinnsumme – wer auf viel Geld wettete, hatte also auch mehr zu verlieren. Das Fazit: Während eine einzelne kurze Nacht keinen Einfluss auf die Risikobereitschaft hatte, wirkte sich eine ganze Woche stark aus. Elf der 14 Studienteilnehmer zeigten sich nach der Woche mit reduziertem Schlaf risikobereiter als zuvor. „Es lassen sich keine Prozentzahlen aus den Ergebnissen errechnen", räumt Christian Baumann, Leiter des Klinischen Forschungsschwerpunkts „Sleep and Health" ein. Die Ergebnisse zeigten jedoch deutlich, dass die Risikobereitschaft bei zu wenig Schlaf signifikant höher sei. Das Alter der Studenten habe übrigens nichts mit dem Resultat der Studie zu tun.
Auch am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und der Universität Basel geht man der Frage nach, was hinter unseren Risikoentscheidungen steckt. Eine großangelegte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Risikoverhalten einerseits davon abhängt, worum es sich handelt und je nach Lebensbereich variiert. Andererseits erweist es sich aber auch als weitestgehend gleichbleibend. Die Wissenschaftler untersuchten die Risikopräferenz von 1.507 Erwachsenen im Alter von 20 bis 36 Jahren mit drei verschiedenen Messansätzen. Dazu zählten: Selbstauskünfte über hypothetische Risikoszenarien, experimentelle Verhaltenstests mit finanziellen Anreizen sowie Angaben zu risikoreichem Verhalten im Alltag. Insgesamt 39 Tests mussten die Probanden innerhalb eines Tages absolvieren. Um zu sehen, wie stabil die Risikobereitschaft über die Zeit ist, ließen die Wissenschaftler 109 der Probanden die Tests nach sechs Monaten wiederholen. „Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Risikobereitschaft ein ähnliches psychometrisches Muster hat wie psychologische Persönlichkeitsmerkmale. Vergleichbar mit dem allgemeinen Faktor der Intelligenz gibt es auch einen allgemeinen Faktor der Risikobereitschaft. Das heißt, dass man in verschiedenen Lebensbereichen zwar unterschiedlich risikobereit sein kann, doch dass ein allgemeiner Faktor immer mitwirkt", sagt Erstautor Renato Frey. Für diese Erkenntnis spricht auch, dass dieser individuelle Faktor der Risikobereitschaft in den Tests über die Zeit stabil blieb. Auf Basis dieses Wissens wollen die Forscher in Zukunft auch die biologischen Grundlagen der Risikobereitschaft weiter ergründen.