Die Stelle des Behindertenbeauftragten wird in Saarbrücken demnächst hauptamtlich besetzt. Bis November hatte Dunja Fuhrmann diese Arbeit ehrenamtlich erledigt. Dabei nahm die 40-Jährige nie ein Blatt vor den Mund, machte mit Aktionen von sich reden und stürmte auch mal die Bühne beim Max-Ophüls-Preis.
Für mich hat schon als Jugendliche festgestanden, dass ich mich durch die Querschnittlähmung nicht unterkriegen lasse, sondern mein Leben aktiv gestalte", sagt die 40-jährige Dudweilerin, die 1995 nach einem Zeckenbiss erste Lähmungserscheinungen hatte. Schon früh erkannten Ärzte im Blutbild eine Borreliose, sprangen darauf aber nicht so an, wie sie es heutzutage tun würden. Drei Jahre blieb die Krankheit ohne Behandlung. Dann bekam Dunja Fuhrmann Antibiotika. Doch es war zu spät. Seit inzwischen 20 Jahren ist sie querschnittgelähmt – und ließ sich dennoch nicht davon abbringen, ein erfülltes Leben zu führen. Sie begann trotz ihrer Lähmung zu klettern und bewältigte Wände bis zum Schwierigkeitsgrad 6+, ohne Hilfe zu benötigen. Die dafür nötige Vorrichtung baute sie sich aus Hundeleinen. Das ZDF berichtete über Fuhrmann, die „Aktion Mensch" erklärte die starke Frau zur Botschafterin, die nebenbei Fallschirm springt und Ski fährt. Auf den Hinweis eines Fernsehzuschauers, ihre Vorbildfunktion zu würdigen, bekam Dunja Fuhrmann Ende vergangenen Jahres den Bundesverdienstorden überreicht. Ihre ehrenamtliche Tätigkeit bei der Stadt Saarbrücken endete da gerade nach vielen Jahren.
„Ich habe 2006 das erste Mal in der Zeitung gelesen, dass die Stadt Saarbrücken ehrenamtliche Behindertenbeauftragte sucht", erinnert sie sich. „Und da dachte ich: Das wäre genau das, was ich gern als Ehrenamt bekleiden würde, um die Politik dahingehend zu beraten, wie man das gesellschaftliche Leben innerhalb der Landeshauptstadt verbessern kann." Gesagt, getan. Dunja Fuhrmann begann eine Karriere als wahre Kämpferin für die Rechte und Gleichberechtigung behinderter Menschen in Saarbrücken. Bis zuletzt hat ihr diese Aufgabe viel Freude gemacht. Sie endet, weil die Stadt 2018 beschlossen hatte, eine hauptamtliche Stelle daraus zu machen. „Das ist auch richtig so, weil man im Ehrenamt nicht immer die Möglichkeit hat, seinen ganzen Ressourcen nachzukommen", sagte Fuhrmann, die Gesundheitsstaatssekretär Stephan Kolling einmal als „streitbar" bezeichnet hatte.
„Es gibt eben viele Termine, die in meine Arbeitszeit fallen, und deshalb ist es geschickter, wenn jemand die Stelle hauptamtlich ausführt", sagt sie. Selbst bewerben wird sie sich nicht. „Das hätte ich vielleicht vor zehn Jahren getan, aber inzwischen weiß ich, was das für eine Sisyphosarbeit sein kann. Man ist nicht so autark, gerade wenn es der eigene Arbeitgeber ist, gegen den man Rechte für Behinderte durchsetzen will. Diese Unabhängigkeit ist nicht gegeben, wenn derjenige einem seinen Lebensunterhalt bezahlt."
Selbst bewerben will sie sich nicht
Fuhrmann bleibt ihrem Hauptberuf treu. Als diplomierte Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin arbeitet sie beim Regionalverband Saarbrücken, seit 2008 im Gesundheitsamt. Gern gemacht hat sie ihr Ehrenamt dennoch. Auch, wenn sich vieles darin auf Stellungnahmen zu baulichen Fragen beschränkte. Das war selten einfach. „Oft hat man erst hinterher überlegt, wie man eine Barrierefreiheit in Bauvorhaben bekommt, die man schon längst geplant hatte", erzählt Fuhrmann, die in Stellungnahmen darauf Einfluss nehmen konnte. Allerdings oft nur auf dem Papier. „Oft wurde kritisiert, was mit diesen Stellungnahmen dann passiert ist, denn viele wurden in Ausschüssen gar nicht angehört. Da wurden dann Dinge beschlossen, die konträr dazu waren." Etwa der viel zu steile und zu lange Radweg hinter dem Finanzamt, der gar nicht barrierefrei sein kann. Oder die Aufzüge an der Berliner Promenade, die um zwölf Uhr abgeschaltet werden und damit dafür sorgen, dass Rollstuhlfahrer im Sommer auf Schiebehilfen angewiesen sind oder gar nicht erst abends lang unterwegs sein können. „Das hat mit Gleichberechtigung nichts zu tun", schimpft Fuhrmann. Das aktuellste Beispiel, führt sie an, sei die Wilhelm-Heinrich-Brücke. Fuhrmann machte einen Rollstuhlfahrertest nach der Fertigstellung der neuen Brücke und führte dem Bauherren vor, dass sie ganz und gar nicht barrierefrei ist. Die Arbeiter mussten die Bordsteine absenken – um ganze sieben Zentimeter. „Solche Situationen zeigen, dass man als Rollstuhlfahrer oft nicht ernstgenommen wird", sagt Fuhrmann. „Das hat Alibicharakter. Man muss immer genau hinsehen." Hier kommt auf Fuhrmanns Nachfolger eine große Aufgabe zu. Denn: „Wenn man sich auf die Fahne schreibt, dass man vielfältig und eine Stadt für alle sein will, dann sollte man sie auch so gestalten, dass man eine Stadt für alle sein kann."
Die ewigen Streitigkeiten mit den Behörden zählen zu den Aufgaben ihrer Tätigkeit, die Fuhrmann nicht vermissen wird. Demgegenüber stehen erfolgreiche Aktionen, mit der sie hin- und wieder im Licht der Öffentlichkeit stand und mit gewagten Aktionen auf die Probleme behinderter Menschen hinwies. In Saarlouis hielt sie eine Wutrede zur Inklusion und brüskierte damit Sozialministerin Monika Bachmann. 2014 stürmte sie die Bühne beim Max-Ophüls-Preis. Es ist vor allem diese Aktion, die ihr bis heute in Erinnerung geblieben ist. „Es gibt in Saarbrücken kaum barrierefreie Kinos und beim Ophüls-Preis gab es nicht einmal eine Untertitelung für Gehörlose." Dass es in diesem Jahr wieder eine Gebärdendolmetscherin bei der Eröffnungsfeier gab, war Fuhrmanns Verdienst. Sie erinnert sich: „Wir waren am Eröffnungsabend dort. Draußen war schrecklichstes Wetter. Das Kino hat uns erlaubt, drin mit Protestplakaten zu stehen." Obwohl Fuhrmann keine Karten hatte, gelang sie mit der Hilfe eines Freundes, der einen Presseausweis vorzeigte, auf den Rollstuhlplatz. Er nahm sie huckepack und trug sie auf die Bühne, wo sie der Ehrenpreisträgerin Gabriele Pfennigsdorf einen Blumenstrauß überreichte. „Die Moderatorin war total glücklich, und flugs hatte ich ein Mikrofon in der Hand", erzählt Fuhrmann. Sie machte in einer Rede auf die Situation der behinderten Menschen aufmerksam und verbesserte damit bis heute ihre Situation auf dem Filmfestival. „Es sind solche Erfolgsgeschichten, an die man sich erinnert, auch wenn es schöner wäre, man müsste solche Aktionen gar nicht planen", sagt Fuhrmann, die klare Worte findet: „Behinderte auszugrenzen ist Rassismus. Es ist egal, ob es gegen Behinderungen, Nationen oder Religionen geht."
„Die Stadt kriegt mich nicht los"
Aufgegeben hat die starke Saarbrückerin nie, „weil ich einen wahnsinnigen familiären Hintergrund habe", wie sie sagt. Ihre Familie, ihr Partner, ihr Freundeskreis. Auch wenn das Thema nicht täglich Gesprächsbasis ist, „man bestärkt mich schon in dem, was ich tu." Und das, was sie für Menschen mit Behinderung tut, wird sie fortführen. Dunja Fuhrmann bleibt der Stadt Saarbrücken treu. Sie ist stellvertretende Vorsitzende im Behindertenbeirat. „Die Stadt kriegt mich nicht los", sagt sie und lacht. Zudem engagiert sie sich für den Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderte im Saarland.
Das einzige, was sie in Zukunft indes erleichtert, ist die Tatsache, dass sie nicht mehr die Ansprechpartnerin für jedes kleine Anliegen ist. „Ich habe in den vergangenen Jahren häufig Anrufe auf dem Anrufbeantworter gehabt von Mitbürgern, die der Bus stehengelassen hatte, die Probleme mit der Rollstuhlrampe oder sonstige Anliegen hatten", erzählt sie. „Ich kann ihnen dann nicht helfen, sondern muss ihre Anliegen immer nur weiterleiten. Ich hatte ja nicht mal ein Rede- oder Stimmrecht in Ausschüssen. Man kann sagen, dass es ein bisschen ein Alibiamt war."
Fuhrmann hofft, dass sich die Situation unter ihrem Nachfolger verbessert. „Es mangelt nach wie vor an der Umsetzung der Barrierefreiheit. Auch wenn ich diesen Begriff nicht mehr hören kann: Aber die Barrieren in den Köpfen müssen beseitigt werden." Wo immer neue Gesetze entstehen, müsse man darauf achten, dass sie den Weg zu einer inklusiven Gesellschaft fördern und nicht verbauen. „Als man 2015 zum bislang letzten Mal die Bauordnung novelliert hat, hat man den Wohnungsbau komplett vergessen", sagt Fuhrmann. „Das hat dann drei Jahre gedauert, bis man das Behindertengleichstellungsgesetz angepasst und den Wohnungsbauparagrafen angepasst hat." Häufig werde Barrierefreiheit immer nur mit einem Menschen mit Behinderung gleichgesetzt. „Dabei ist es das Grundprinzip eines universellen Designs", sagt Fuhrmann. „Jeder sollte alles ohne fremde Hilfe nutzen können. Das ist ja für niemanden ein Nachteil."
Um die künftigen Stadtplanungen vonseiten des Behindertenbeauftragten gebührend zu betreuen, braucht es einen Netzwerker, der sich mit Verbänden austauscht „und hoffentlich auch nicht bei Widerständen sagt, er wolle bloß nicht anecken", wünscht sich Fuhrmann. „Man muss anecken, sonst erreicht man nichts. Wenn Frauenbeauftragte angepasst wären, könnten sie auch nicht viel erreichen." Dunja Fuhrmann war in ihrer Rolle stets unangepasst und eckte an, wo sie konnte. Sie hat viel erreicht.