Viel beachtete Bildhauerin in Südafrika, herumreisende Performance-Künstlerin, schwieriger Neuanfang in Berlin. Die Künstlerin Isolde Krams hat einen spannenden Weg hinter sich.
Vielleicht hilft ja dieser Aufsteller auf dem Bürgersteig. Ohne den deutlichen Hinweis „Kunstunterricht" würde man wahrscheinlich an diesem Atelier im Souterrain eines alten Wohnblocks vorbeilaufen. Die vierspurige Urbanstraße in Berlin Kreuzberg ist ohnehin kein Ort zum Flanieren, hier kann man Wasserpfeifen kaufen und Ramsch, aber Kunst? War Isolde Krams naiv oder mutig, als sie hier 2009 ihre Werk(t)räume eröffnete, fernab von den besseren Bezirken? „Das war mutig. Hier gibt es keine feinen Galerien, aber es ist schon der richtige Platz für mein Atelier, für meine Kunst." Das klingt entschlossen, muss es wohl auch. Denn Jahre zuvor hatte sie es zum ersten Mal versucht, im Stadtteil Weißensee. Vergeblich.
Steile Treppenstufen hinab und man steht inmitten eines Empfangsraums, nicht ausladend, keine edlen Möbel, kein Chrom. Trübes Straßenlicht fällt durch das kleine Fenster auf ein rotes Sofa, ein einfacher Tisch, zusammengewürfelte Stühle, das hat ein wenig Wohngemeinschaftsatmosphäre. Helle Lampen strahlen nur im hinteren Teil des Raums, wo Isolde Krams einen Teil ihrer Arbeit zeigt. Auch hier alles schnörkellos. Auf den ersten Blick passt das zu der 57-Jährigen, die äußerlich ein wenig streng daher kommt, schwarz das Kleid, die Stiefel, das Halsband. Aber eine spröde Frau ist sie nicht, denn sie lacht gern, und wenn sie auf eine Frage keine Antwort weiß, dann verbiestert sie nicht, sondern kapituliert heiter: „Mein Gott, woher soll ich das denn wissen?" Sie fragt dann auf eine Art, als solle man über ihre Verlegenheit hinwegsehen.
Ihre Arbeiten fordern den Betrachter. Da gibt es vieles, was sich einfach und staunend anschauen lässt, mehr noch, was sich um Afrika dreht: ein mächtiger, naturgetreu nachgebildeter Elefantenkopf mit Riesenohren und mit eindringlichem Blick. Ein schillernd bunter Fisch, gefesselt auf einem Steinblock. Skulpturen afrikanischer Ureinwohner: wulstige, teils mannshohe Figuren, die stoisches Selbstbewusstsein ausstrahlen. Sie gruppieren sich vor einem ausladenden Wandteppich, in den allerlei Urtier eingearbeitet ist: Gürteltier, Fledermaus, Schwein, Fliege, Frosch. Und plötzlich dazwischen ein Hammer, menschliches Werkzeug, das in dieser wilden Fauna nichts zu suchen hat. Erahnen lässt sich, dass unter der lapidaren Beschreibung ihres Schaffens „Skulptur und Keramik, Modellieren aus Ton, Formen aus Gips, Silikon, Kunstharz, Latex" etwas verborgen ist. Widerhaken, Beunruhigendes, Brüche. Vielleicht kann es auch gar nicht anders sein, denn das Leben von Isolde Krams verlief nie gradlinig.
Der Betrachter wird gefordert
1961 in dem beschaulich engen Münstermaifeld in Rheinland-Pfalz als zweites Kind rumäniendeutscher Eltern geboren, siedelte die Familie 13 Jahre später nach Südafrika über, auf der Suche nach dem Paradies. „Für meinen Vater war es das Traumland. Aber eigentlich hatten meine Eltern nur wenig Ahnung von den wirklichen Verhältnissen dort", stellt Krams fest. Als Marmorbildhauer kam der Vater nach Johannesburg, aber so fasste er nicht Fuß. Er sattelte um, verkaufte Plastikfenster, übernahm später eine Schokoladenfabrik, die pleiteging, und erst im Immobiliengeschäft fand er für die Familie ein Auskommen. Außenseiter blieben sie immer. Diese Erfahrung, nur auf die eigene Kraft zu bauen und sich durchbeißen zu müssen, prägte die Einwandererfamilie.
Die Mittlere, Isolde, gilt schon in frühem Alter als begabt, sie zeichnet und malt gut, sein Künstlerblut fließt durch ihre Adern, meint der Vater. Er ist es auch, der ihr Talent erkennt, der sie in Museen und Kunstausstellungen mitnimmt, ihren Wechsel von der deutschen Schule zu einer englischsprachigen Kunstschule fördert, ihr Studium unterstützt. Isolde macht sich. Sie studiert an der University of Witwatersrand, experimentiert mit verschiedenen Materialien, gewinnt Preise, ein Stipendium für Paris, reift zu einer beachteten Künstlerin, ist in Ausstellungen und Museen landesweit vertreten. „Ich war schon wer in Südafrika, ich hatte lange Zeit einen guten Namen in diesen Kreisen. Was den Leuten gefiel, das kauften sie sofort", sagt sie. „Das war damals eine meiner besten Zeiten!" Vor allem ihre Skulpturen barocker, körperbewusster Frauen finden Beachtung. Die Figuren sind plastisch, sinnlich, ihre Posen auch ein wenig zweideutig, was ihr nicht nur Anerkennung einbringt. Isolde sieht diese Arbeiten als ironische Kritik am männlich geprägten Frauenbild in der Kunst, aber Feministinnen, mit denen sie eigentlich sympathisiert, bemäkeln ihr Werk. Es wird zickig und unangenehm, weil sich Isolde nicht festlegen lassen will. Sie fühlt sich ihrer Kunst verpflichtet, niemandem sonst. An der Universität macht sie ihren Master, aber sie fühlt sich unverstanden. Sie heiratet einen weißen, südafrikanischen Rechtsanwalt, bringt eine Tochter zur Welt, doch die Jahre privaten Glücks stehen im Schatten dieser Missverständnisse und Querelen in der Kunstszene. „Die haben mich nicht mehr ernst genommen. Ich wollte da raus." Als Performance-Künstlerin reist sie nun mit einem Theaterzelt durchs Land, experimentiert mit animierten Skulpturen, startet ein Filmprojekt, die Besucherzahlen bleiben übersichtlich. Doch durch diese Reisen entdeckt sie schließlich ein neues Feld, ihr künftiges Lebensthema: die unberührte Landschaft, die Welt der Tiere, schützenswerte Natur ohne Kitsch und Folklore-Klamauk. Geld verdienen kann sie damit kaum. Und einen wirklichen Plan B für die Zukunft hat die kleine Familie auch nicht.
2006 geht dann alles ziemlich schnell, die südafrikanische Gesellschaft wurde der Familie unheimlich. Vergangen die Nelson-Mandela-Euphorie, Kriminalität und Gewalt nehmen zu, kein gutes Umfeld auch für die kleine Tochter. Zudem beunruhigen fehlende wirtschaftliche und künstlerische Perspektiven. Es scheint, als vererbe sich in dieser Familie eine merkwürdige Rastlosigkeit.
Der Neustart in Berlin beginnt mit Fehlschlägen, es kommt knüppeldick: Isoldes Mann bekommt in Deutschland keine Zulassung, das Ersparte schmilzt dahin, die Ehe zerbricht, die Wohnungssuche für die Alleinerziehende wird immer schwieriger. Kontakte, Freunde, Bekannte gibt es nicht, Isolde schlägt sich irgendwie durch. Fast schlimmer noch: die Berliner Kunstszene ist ihr fremd, ein hilfreiches Netzwerk fehlt, fast unmöglich, auf Anhieb eine Galerie zu finden.
„Ich wollte da raus"
Hätte sie nach all den Erfahrungen in Johannesburg nicht auf einen schwierigen Neuanfang besser vorbereitet sein müssen? „Es musste Berlin sein, weil hier das Leben tobt. Und ich wollte einfach nur weiter Künstlerin sein. Das ist mein gelernter Beruf, das ist meine Berufung. Aber im Vergleich zu Südafrika war Berlin sehr grau, sehr traurig." Isolde Krams, wenn man ihr besserwisserisch einreden will, dass es anders, dass es besser hätte laufen müssen, kann dann sehr grundsätzlich werden: „In der Kunst zählt die Wahrheit, nicht in erster Linie der Verkaufserfolg." In den ersten Berliner Jahren schwankt sie zwischen Resignation und Revolte. Aufgeben will sie nicht, sie kann es gar nicht. Eine kleine Galerie zeigt einige ihrer Arbeiten, ein Hoffnungsschimmer. Sie mietet ihr erstes Atelier – ein Flop. In Kunstgeschäften hängt sie Zettel auf, verteilt Flyer, sie gibt Englischunterricht, sucht und findet gelegentlich Schüler, die sich für Skulpturenkunst interessieren. Sie kämpft. 2009 mietet sie ein anderes Atelier, diesmal in Kreuzberg. Sie arbeitet an neuen Figuren, entwirft mit Erfolg ein Plakat für die Fußball-WM in Südafrika 2010. Vier Jahre später endlich gelingt es ihr, für das Gasag-Kundenzentrum eine Ausstellung zu konzipieren und ihre Skulpturen einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. In der Einladung zur Vernissage von „Asphalt, Steine, Scherben" heißt es: „Es sind freie Skulpturen und Abformungen der urbanen Haut Berlins entstanden, die sie mit Fundsachen kombiniert hat. Mit der spielerischen Verkehrung von Positiv und Negativ inszeniert die Künstlerin Effekte, die den Betrachter zum genauen Hinsehen herausfordern." Das klingt ziemlich gedrechselt-krude, aber es ist so etwas wie ein Ritterschlag. Sie verkauft jetzt einige ihrer Arbeiten, weitere Projekte und Aufträge bleiben aber aus.
Bedauert sie ihren Weg? Nein. „Es gibt Tausende wie mich", sagt sie. „Was mich aber ärgert? Wenn jemand so herablassend fragt: Machen Sie etwa immer noch Kunst?" Sich aus eigener Kraft durchzubeißen, das ist auch Kunst, Lebenskunst. Seit Jahren verfolgt Isolde Krams energisch ein neues Ziel: den Aufbau einer privaten Akademie mit dem Schwerpunkt Skulptur. Ihr Kreuzberger Atelier hat sie dafür in den letzten Monaten gründlich umgestaltet: weite Räume, Materialien, stabile Arbeitsflächen, Werkzeug und eine kleine Bibliothek stehen bereit. Erste Interessenten haben sich angemeldet und es zieht Leben in die Souterrainräume in der Urbanstraße ein. „Ich mache einfach weiter meine Kunst. Ich kann gar nicht anders", sagt sie. Vielleicht sollte sie das auf das Schild vor ihrem Atelier schreiben.